14. Februar 2018

Deiner Sprache bleibe treu: Nachruf auf die Mundartforscherin Anneliese Thudt

Wem Hermannstadt und seine Bewohner am Herzen liegen, der hat sie bestimmt gekannt. Manche vielleicht nur dem Namen nach, denn als langjährige Mitarbeiterin des Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuches (1956-1986) war ihnen Anneliese Thudt bestimmt ein Begriff. Aber viele Menschen kannten sie persönlich, waren mit ihr in Verbindung und besuchten sie oft. Ihr herrlicher Blumenhof, ihre Zimmer voll sächsischer Volkskunstgegenstände, ihre Bücher und vor allem ihre feine, humorvolle Art, mit der sie Land und Leute darstellte, machten sie zu einer beliebten Gesprächspartnerin. Anneliese Thudt ist am 24. Januar 2018 im Alter von 90 Jahren im Hermannstädter Altenheim „Carl Wolff“ gestorben.
Es gibt Menschen, die werden uralt und schaffen es doch, jung zu bleiben! Wer Anneliese Thudt in ihrem Häuschen oder dann im Altenheim besuchte, hat sicher nicht nach ihrem Alter gefragt. Die rüstige Frau mit den blauen Forscheraugen saß über Bücher, Zeitungen und Zeitschriften gebeugt, forschte nach Neuem und hatte ständig etwas zu notieren und zu berichten. Gäste kamen und gingen. Die meisten wollten mehr über ihre langjährige Tätigkeit am Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuch wissen, andere über die Stadtgeschichte, über Land und Leute im Sachsenland, denn sie war viel herumgekommen.

Ihrer sächsischen Mundart treu geblieben: die ...
Ihrer sächsischen Mundart treu geblieben: die Sprachwissenschaftlerin Anneliese Thudt, aufgenommen im August 1989. Foto: Konrad Klein
Woher stammte die „eingefleischte“ Hermannstädterin eigentlich? Ihre Wiege stand am 29. Mai 1927 in Mühlbach, wo ihr Vater, ein gebürtiger Alzener, Oberstuhlrichter war; die Mutter war Mühlbacherin. Auch nachdem die Thudts nach Leschkirch übersiedelt waren, blieb Mühlbach das Ferienparadies der kleinen Anneliese. Die Schneider-Grisi und ihr Mann, ein Lehrer, hatten fünf Kinder großgezogen. Um durchzukommen, wurde rumänischen Kostkindern die deutsche Sprache beigebracht. Erst wenn der Opa kam, wurde aufs Sächsische übergewechselt. Von den Großeltern kamen die ersten Anregungen. Die Grisi sang wunderschön, sie kochte, stickte und gärtnerte, während die Mutter sich als Kind auf Bäumen versteckte, um zu lesen und Tagebuch zu schreiben. Kein Wunder, dass sie später Lehrerin wurde und auch ihre Tochter beeinflusste.

Anneliese, ein empfindsames Einzelkind, war oft krank und viel allein. Sie hatte kaum Anschluss und fand nur schwer eine Freundin. In der Schule lernte sie leicht und schnell. Das Leben in Leschkirch war nicht einfach. Der Vater verdiente wenig, die Mutter begann Teppiche nach türkischem Muster zu weben, was sie von einer Rumänin gelernt hatte. Die Wolle wurde selbst gefärbt, Anneliese musste am Bachufer Blätter und Rinden sammeln, weil hier keine Nussbäume wuchsen. Es war viel kälter als im warmen Mühlbach, sie war oft erkältet. Ansonsten war der Alltag vom Vater geregelt. Jeden Tag Schule, jeden Sonntag ein Fußmarsch in die Nachbargemeinde Alzen, wo die Mutter des Vaters lebte. Ihr waren Mann und Tochter gestorben, die alte Frau konnte das nicht verkraften. So war der Sonntag den Sorgen und Klagen der Großmutter gewidmet, das Enkelkind war nicht sehr glücklich darüber. Dann ging es über den „Hefel“ zurück, manchmal in großer Hitze, manchmal im Schnee mit dem Schlitten. Sie hat sich kaum dagegen gewehrt, denn sie war ein braves und gehorsames Kind.

Ein vertrautes Bild, das es nicht mehr geben ...
Ein vertrautes Bild, das es nicht mehr geben wird: Anneliese Thudt am Eingang zu ihrem Häuschen auf der Kleinen Erde mit dem stets liebevoll gepflegten Blumengärtchen (2009). Foto: Konrad Klein
Schon nach der fünften Klasse wurde sie in Hermannstadt in die Brukenthal-Schule eingeschrieben und musste sich nun allein durchschlagen. Sie wohnte mit anderen Mädchen in Kost und Quartier bei den drei Capesius-Tanten, und von den größeren Mädchen lernte sie alles, was es zum neuen Leben brauchte. Schule machte ihr keine Schwierigkeiten, sie lernte eifrig Französisch. Freundinnen hatte sie wenige, sie war als Einzelkind geboren und sollte es ein Leben lang bleiben. Dafür tanzte sie gerne, doch für Ausflüge und Skifahren fehlte das Geld. Im Lyzeum hatte sie den ersten Konflikt mit der berüchtigten „Securitate“. Ihr Vater muss etwas von der Deportation gewusst haben, denn über Nacht erhielt seine Tochter den Namen Thudt-Vărșan, weil sie von einem rumänischen Bekannten des Vaters adoptiert worden war. Jemand zeigte sie an, doch nach drei Tagen Haft kam sie frei, weil die Anzeige haltlos gewesen war. Der Reklamant hatte es auf das Haus in Leschkirch abgesehen.

Nach Abschluss des Lyzeums 1947 inskribierte sie an die Uni in Klausenburg und begann ein Germanistik-Studium. Nach drei Jahren wurde die Uni aufgelöst, das Weiterstudium und die Diplomprüfung bestritt sie in Bukarest. Der Zuteilung nach Oltenien entging sie durch einen Glücksfall, und so gelangte sie 1951, wie viele andere, zur Bukarester Tageszeitung „Neuer Weg“. Die neugegründete Zeitung in deutscher Sprache suchte im anzen Land Leute, die alle im Wohnheim in der Pitar-Moș-Straße landeten. Hier war ein ständiges Kommen und Gehen. Das Durcheinander passte nicht zu ihrem Lebensstil. Sie wäre gern sofort abgehauen, um ins geliebte Lehramt zu gelangen, hätte nicht die gefürchtete Kaderchefin ihr Angst eingejagt: „Wer bei einem kommunistischen Blatt nicht arbeiten will, hat auch im Lehramt nichts zu suchen, dafür werde ich sorgen!“ Sie gelangte zuerst in die Korrespondenz-Abteilung, wo sie auf den jungen Hans Liebhardt stieß. Dann wechselte sie in die Übersetzerabteilung, wo sie mit Grete Bartel, der späteren Frau von Ernst Breitenstein, zusammenarbeitete und sich mit ihr befreundete. Sie erinnerte sich noch gern daran.
Ließ sich bei ihren Feldforschungen keinen Bären ...
Ließ sich bei ihren Feldforschungen keinen Bären aufbinden, selbst der bekannte Reichesdorfer Kirchenkurator und Spaßvogel Johann Schaas musste sich warm anziehen, als es plötzlich um mundartliche Dinge ging (2013). Foto: Konrad Klein
Aber das Leben in Bukarest war nicht nach ihrem Geschmack. Sie wurde psychisch krank, ihr Magen rebellierte, die Hitze war nicht auszuhalten. 1952 brachte sie endlich den Mut zur Demission auf und fuhr glücklich nach Leschkirch zurück. In der Dorfschule fand sie ihre Erfüllung, die Arbeit mit den Kindern machte ihr großen Spaß. An das Hermannstädter Bruk zu gelangen, war damals ein Wagnis, doch bis zuletzt hatte sie Glück. Die Jahre dort waren eine einmalige Erfahrung, ihre damaligen Schüler kennt sie alle noch mit Namen, unvergesslich blieben ein Sylvester im Gebirge oder eine Schulreise in die Ostkarpaten.

Aber dann kam Dr. Theodor Frings von der Akademie der Wissenschaften Ost aus der damaligen DDR voller Tatendrang nach Siebenbürgen. Er wollte die unterbrochene Arbeit am Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuch wieder ankurbeln und suchte passende Leute. Der Sprachforscher Friedrich Holzträger hatte im Geheimen die Dokumentation gerettet und weitergearbeitet. Es war an der Zeit, diese Forschungen fortzusetzen. Zwei Frauen hatten das Glück, für diese wertvolle Arbeit angeheuert zu werden: Anneliese Thudt und Gisela Richter. Die beiden haben ihren Traumjob jahrelang mit viel Können und Ausdauer ausgeführt. Darüber wurde schon viel geschrieben. Dass Anneliese Thudt ihr Leben allein meistern musste, liegt bestimmt auch an der damaligen Mentalität, keinen Andersnationalen zu heiraten. Wenn die Familie dagegen war, kam das Problem vom Tisch. Also versorgte und umhegte sie jahrelang ihre Eltern und ihre Hedwig-Tante und hat es als Pflicht wahrgenommen.
Anneliese Thudts Ausführungen hatten immer Witz ...
Anneliese Thudts Ausführungen hatten immer Witz und Biss, weshalb man der belesenen Dame stets gerne zuhörte. Unser Bild zeigt Thudt im Gespräch mit Musikpädagogin Edith Toth und Pfarrer Dr. Stefan Cosoroabă im Hermania-Lokal in Hermannstadt, Dezember 2013. Foto: Konrad Klein
Anneliese Thudt gehört zu jener bedeutenden und einflussreichen Generation Siebenbürger Sachsen, die die Tragödie des Zweiten Weltkriegs überlebte und die Nachkriegszeit prägte, indem sie der kommunistischen Gesellschaftsordnung Widerstand leistete, um die sächsische Ordnung zu bewahren. Keiner hat an ein Ende geglaubt, dafür war man zu fest im Hier verankert. Bei einer Umfrage des Museums für Sächsischen Volkskunde „Emil Sigerus“ zum Thema „Was bedeutet es für dich, Siebenbürger Sächsin zu sein?“ antwortete Anneliese Thudt folgendermaßen: „Sächsisch ist meine Muttersprache, in der ich aufgewachsen bin. Sächsisch ist urwüchsig, etwas selbstständig Gewachsenes, so ganz anders als die genormte Schriftsprache oder die deutsche Alltagssprache. Als ich geboren wurde, sagte mein Vater mit erhobenem Zeigerfinger zu meiner Mutter: Mit dem Kind wird nur sächsisch gesprochen! Und ich finde es wunderschön, dass daraus mein Beruf wurde, und ich aus dem Vollen schöpfen konnte, denn ich spreche mehrere Dialekte …“

Christa Richter

(Nach „Rundbrief der Frauenarbeit der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien“)

Schlagwörter: Kultur, Nachruf, Mundart, Wörterbuch, Hermannstadt

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