22. August 2002

Volkstracht-Schneiderin Susanne Miess

Heuer feierte eine Dame in Nürnberg ihren 75. Geburtstag, die in Siebenbürgen einst gefragte, weil fachkundige Trachtenschneiderin war: Susanne Miess.
Susanne Miess mit einem plissierten Busenkittel. Foto: Doris Hutter
Susanne Miess mit einem plissierten Busenkittel. Foto: Doris Hutter

Wenn wir eine sächsische Volkstracht betrachten oder, kürzlich in der Meistersingerhalle Nürnberg, neben den getragenen auch die Puppentrachten bewundern, sind wir hingerissen von der Vielfalt, Farben- und Motivpracht und von dem handwerklichen Geschick derjenigen, die sie angefertigt haben. Kaum vorstellbar heute, dass noch vor wenigen Jahrzehnten Mädchen schon im Alter von 14 Jahren ihre Schürzen netzten oder Hemden reihten. Damals war es nicht außergewöhnlich, dass Mütter und Töchter Trachten nähten. Und doch gab es immer schon einige Trachtenteile, die besonderer Handfertigkeit und fachmännischer Ausbildung bedurften.

Heuer feierte eine Dame in Nürnberg ihren 75. Geburtstag, die in Siebenbürgen einst gefragte, weil fachkundige Trachtenschneiderin war: Susanne Miess. 1927 in Zied bei Agnetheln geboren, wurde Susanne aufgrund wohlhabender, also "ungesunder" Herkunft der Besuch einer höheren Schule verwehrt. Anfang der fünfziger Jahre lernte sie privat in Schäßburg bei Johanna Deag das Handwerk der Volkstracht-Schneiderin. Recht bald wurde sie in weiten Teilen des Sachsenlandes bekannt, denn sie fertigte u.a. Ornate, Kirchenmäntel für Frauen und Busenkittel (die Mädchenröcke der Bürgertracht), die plissiert/gouveriert wurden. Susanne heiratete 1956 Michael Miess und zog 1963 nach Agnetheln, wo ihre beiden Töchter der Mutter oft zur Hand gehen mussten, um die Bestellungen termingerecht (z.B. für eine Konfirmation) fertig zu bringen. In den 23 Jahren, die Susanne Miess in Agnetheln bis zur Ausreise nach Deutschland lebte, fertigte sie nebenberuflich u.a. 70 neue Busenkittel, reparierte alte Trachtenteile, frischte Ornate auf, nähte Borten und Kirchenmäntel für Bauerntrachten, netzte nebenbei, schlingelte (z.B. Loch auf Loch) und stickte Bänder und Altartücher für den Zieder Predigerstuhl. Die Muster beschaffte sie sich manchmal auf abenteuerliche Weise. Sie entwarf aber auch eigene. Ganz besonderes Geschick erforderte das Sticken schwarz in schwarz, weil das Muster mit Hilfe von Butterpapier, das durchlöchert und mit Kreide angeblasen wurde, aufgelegt und durch Anblasen mit Spiritus angeklebt wurde. So ergab sich die Mustervorlage, nach der man stickte.

Von weit her reisten die Abnehmer ihrer wertvollen Trachtenteile zu Susanne Miess nach Agnetheln, und stolz darf die tüchtige Trachtenschneiderin darauf sein, dass Hunderte ihrer Handarbeiten im Sachsenland und nun auch in Deutschland den Bestand unserer wertvollen Trachten erweitert und bereichert haben. Wir blicken in Dankbarkeit auf eine tüchtige Sächsin, die wichtige Mosaiksteine unserer Trachtenlandschaft gefertigt hat.

Doris Hutter


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 15. August 2002, Seite 8)

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