25. August 2002

Schönheit und Leid

Zehn Zivildienstleistende aus Trier haben kürzlich in einer journalistischen Werkwoche Siebenbürgen erkundet und mit den Menschen vor Ort gesprochen. Unter der Leitung von Jürgen Kreller, ARD-Redakteur in Hamburg, entstanden aufschlussreiche Reiseberichte und Reportagen über das Karpatenland. Oliver Markes, einer der Zivildienstleistenden, nähert sich im folgenden Bericht genau beobachtend und einfühlsam dem spannungsreichen Leben der Deutschen in Siebenbürgen.
Schmal und holprig schlängelt sich die Straße durch das sanft gewellte Land zwischen Schäßburg und Hermannstadt. Sie führt uns durch kleine, teilweise aber auch drei Kilometer lange Dörfer, deren längliches Zentrum die Straße selbst ist. Vor den Hauseingängen und auf den Gartenmäuerchen sitzen die Menschen, unterhalten sich, die Kinder spielen am Straßenrand, und alles scheint aus dem Fenster unseres Fahrzeugs so ursprünglich-einfach, so feierlich, so ausgeglichen.

Zwei junge Alznerinnen, die zu ihrer Konfirmation aus Hamburg in die alte Heimat angereist sind (1998). Foto: Edith Dengel-Feleky / Bildarchiv Konrad Klein
Zwei junge Alznerinnen, die zu ihrer Konfirmation aus Hamburg in die alte Heimat angereist sind (1998). Foto: Edith Dengel-Feleky / Bildarchiv Konrad Klein

Es ist Ostermontag. Die Leute sind sauber gekleidet, aus dem Abfall des Westens. Die Jungen sind gekämmt und hergerichtet, die Mädchen duften nach billigem Parfum, das ihnen an diesem Tag nach alter Tradition von ihren Verehrern ins Haar gegossen wird, auf dass sie wachsen und gedeihen mögen wie eine Blume. Geschäftig tummeln sich die Menschen in der heißen und staubigen Luft des Straßenrandes, ihres Zentrums. Unseren "kapitalistischen Hippie-Bus", den wir wegen den vielen bunten Firmenaufklebern so getauft haben, begrüßen sie teils mit Jubel, teils mit Argwohn, mit Blicken der Erwartung, der Neugier, des Neides, der Sehnsucht? Leider muss man sagen: "Ja". Kaum einer von ihnen will hier bleiben. Was für uns das romantische Bild ursprünglichen Daseins ist, bedeutet für sie alltägliches Leid. Leben in Perspektivlosigkeit. Die Arbeit auf dem Lande ist für viele die einzige Zukunftsaussicht. Dies wissen sie schon in jungem Alter, so dass sich eine allgemeine Frustration breit macht. Dadurch verlieren sie schon bald den Mut und resignieren: Ja, so ein Neunzehnjähriger, er würde sehr gern studieren gehen, aber er hat kein Auto und es fährt auch kein Bus in die Stadt, um in die Stadt zu ziehen fehlt das Geld, und überhaupt sei das Studieren zu teuer und Stipendien gäbe es nicht. - So reden heute junge Leute auf dem Land. In der Stadt erfahren wir dann, dass es sehr wohl Stipendien und andere Möglichkeiten für die Jugend gäbe, ihren Horizont zu erweitern. - Man weiß nicht recht, wem man glauben soll.

Langsam geht die Sonne Richtung Horizont und taucht das grüne Land in ihre warmen Strahlen. Wir folgen der Straße auf eine Hügelkuppe. Von hier erblicken wir zum ersten Mal in der Ferne den gewaltigen Saum des sich so sanft wölbenden Landes um uns: Die schneebedeckten Gipfel der Karpaten. Ein Anblick, der uns erstarren lässt und uns den eigentlichen Reichtum dieses vergessenen Landes zeigt. Wieder fühlen wir uns dem Ursprung näher, wenn wir zwischen den verwilderten Äckern und Hügeln hindurchfahren, so wie die Natur sie eigenmächtig geformt und nach Belieben mit Bäumen und Sträuchern dieser oder jener Art bespickt hat.

Der eine oder andere Acker wird tatsächlich auch bewirtschaftet. Wir sehen Pferde vor den Pflug aus Holz gespannt, und Menschen mit mittelalterlichem Werkzeug. - Wie schön! Wie idyllisch! - Doch diese Welt lebt nicht für uns, die wir zu unserem Überfluss auch noch solche Bilder brauchen, um uns unserer Wurzeln bewusst zu werden! Für die dort Lebenden ist das idyllische Bild eine Verschwendung von kostbaren Ressourcen, die der eigenen Existenzgrundlage dienen sollten, und nicht unserem nostalgischen Blick.

Rumänien bestimmte vor dem Zweiten Weltkrieg die Getreidepreise am europäischen Markt. Es wurde die "Kornkammer Europas" genannt. Heutzutage werden über 40 Prozent aller Grundnahrungsmittel und nahezu 100 Prozent der "Luxusgüter" (Kaffee, Kosmetika, Süßigkeiten, Elektrogeräte etc.) importiert. Die Preise für Mehl, Eier und Öl sind teurer als in Ungarn, Österreich oder Deutschland! Und da liegt es vor uns, das einst ertragreichste und jetzt verwilderte Land.

Verantwortlich sind die Politiker, die alten und die neuen, so die breite Meinung. Unter der Diktatur Ceausescus, fälschlich auch Kommunismus genannt, wurde das Land entscheidend geschwächt. Die Korruption erleichterte es der winzigen Oberschicht, sich auf Kosten der Bevölkerung zu bereichern und ihre Macht sowohl in Politik als auch in Wirtschaft, willkürlich und nach persönlichem Interesse, auszuspielen.

Am eindrucksvollsten manifestiert sich dieses Verbrechen wohl in dem Palast des 1989 hingerichteten Ex-Diktators. Etwa sechseinhalb Hektar Grundfläche (ca. 40 Fußballfelder) machen ihn nach dem Pentagon zum zweitgrößten Gebäude der Welt. 18 Meter hohe Decken mit entsprechend langen Seidenvorhängen und weißen, rosanen oder blauen Marmorsäulen, zahllose Kronleuchter aus Kristall und üppige Verzierungen an allem, was sich von Menschenhand formen lässt, zeigen den Größenwahn und die Grausamkeit eines Mannes, der gewissenlos die Schätze dieses Landes raubte und sie im Angesicht des Schweißes und des Leides "seines Volkes" zu diesem Werk errichten ließ.

Nach der Revolution wurde das Land in lauter kleine Parzellen unterteilt und den einzelnen Kleinbauern zugewiesen. Die Fläche reichte zwar um die eigene Familie zu ernähren, wirtschaftliches Wachstum war allerdings ausgeschlossen. Wer kann sich schon einen Traktor für zwei Hektar Land leisten, die er dann effektiver bewirtschaften könnte? Die folgenden Regierungen waren nicht imstande, eine Lösung für das Problem zu finden, sondern verschlimmerten alles noch durch Fehlinvestitionen. Anstatt den Bauern z.B. Prämien für Zusammenschlüsse zukommen zu lassen, wurde in Traktorenfabriken investiert, deren Produkte für den Export zu minderwertig und für die einheimischen Bauern unerschwinglich waren.

Anstatt sich für Natur- und Abenteuertourismus einzusetzen, was im finanziellen Rahmen läge und ein landschafskompatibler Tourismuszweig wäre, macht die heutige Regierung Abermillionen Euro Schulden, um einen Disneyland-artigen Vergnügungspark in eines der schönsten Naturschutzgebiete zu bauen. "Der Draculapark" heißt das Projekt, das ungeachtet der nachgewiesenen Unwirtschaftlichkeit und lauter Proteste in der Bevölkerung nahe Schäßburg gebaut werden sollte.

Schließlich erreichen wir das Schild, das zu unserem Zielort weist: "Hosman", zu deutsch "Holzmengen". Unser Ansprechpartner heißt Thomas Kraus, den die Leute vertrauensvoll beim Vornamen nennen. Er ist ein Siebenbürger Sachse, der nach sieben Jahren im deutschen Exil zurückkehrte und eine Roma heiratete. Als Kurator, weltlicher Beauftragter der Kirche, steht er seinem Dorf zu Diensten und ist für die meisten, ob jung oder alt, wie ein Vater oder wohlwollender Onkel. Alle kennen ihn, er ist in aller Munde und wenn man ein Problem hat, so wird man sofort zu ihm geschickt. Ob auch dieses Verhalten, die Notwendigkeit einer führenden Kraft, die alle Verantwortung innehat, eine Folge der Diktatur ist?

Was für die Einheimischen bescheidener Alltag ist, wird für uns zum Abenteuer. Mit Thomas' Hilfe besorgen wir Fleisch für "Mici". In der Küche macht einer Feuer im Holzofen um das Wasser, das mit Eimern aus dem 18 Meter tiefen Brunnen geholt wird, zum Kochen zu bringen. In ihm sollen die Kartoffeln gekocht werden. Zum Warmduschen wird das gleiche Verfahren angewandt. Und die Romantik eines Donnerbalkens mit Blick in die Natur lässt auch den pingeligsten unter uns seine Bedenken bezüglich Hygiene vergessen.

Es wird dunkel, wir feiern ein Grillfest mit Thomas und seiner Familie. Am nächsten Tag fahren wir nach Hermannstadt wo uns ein in vieler Hinsicht anderes Bild erwartet.

Bisher haben wir nur Dörfer oder Städte besichtigt, wo die Grundstimmung ziemlich traurig und mutlos war. Die Gesprächsthemen drehten sich um die Siebenbürger Sachsen, die zu vielen ausgewandert sind und jene, die geblieben sind, allein gelassen haben. Der Verfall einer Kultur. Siebenbürger Deutsche sterben aus, es gibt kein Zurück, keiner will mehr herkommen, zu viel Negatives ist den Menschen hier widerfahren, vergeblich waren die Versuche, hier noch etwas zum Guten zu wenden, zu stark die Repression, zu groß das Leid und zu übermächtig das Bild des Schlaraffenlandes Deutschland. Es scheint die Zeit steht still, es fehlt der Blick nach vorn und zurück kann man nicht gehen. Die Leute, sie leben mit dem großen Schatten der Vergangenheit und dem der aussichtslosen Zukunft über sich.

Es bleibt aber bewahrt, die Kunst des Liebens und der Freundschaft. Es kann sich kein Wohlstand mit dem Lächeln und der Freundschaftlichkeit dieser Menschen messen.

In der Stadt gibt es zwar auch Nostalgie, sie ist aber nicht bestimmend. Das Stadtbild ist positiv, die Häuser renoviert, die Straßen reingefegt, die Leute gut gekleidet. Mit Sicherheit ist dies nur die eine Seite, denn die Armut in den Städten ist schlimmer als auf dem Lande. Hier kommen Hunger und Kriminalität hinzu. Doch dass es auch die schöne Seite gibt, macht Hoffnung auf Veränderung. Die Stimmung ist optimistischer, soziale Einrichtungen werden von der Kirche und von Hilfsorganisationen errichtet, die Presse ist frei, die Menschen scheinen politisch Standpunkt zu beziehen. Zwar muss dies nichts bedeuten, denn selbst Spitzenpolitiker stehen der Korruption machtlos gegenüber, doch was zählt, ist der Mut ein Ziel anzustreben.

Oliver Markes


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 13 vom 15. August 2002, Seite 10)

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