13. September 2002

Die schönste Ruine Siebenbürgens

Aus Anlass des 800-jährigen Jubiläums seit Bestehen der Zisterzienser Abtei in Kerz am Alt fand Mitte August ein geistiges, geistliches und geselliges Fest statt.
Er hätte sich fast schon lieber 800 Taufen an diesem 800. Geburtstag der Kerzer Abtei gewünscht. Doch dem war leider nicht so Mitte August 2002 in der Gemeinde am Alt, wo es zurzeit noch knapp 80 evangelische Seelen gibt. Taufen eigentlich kaum noch. Darum funktionierte Pfarrer Michael Reger zu jenem denkwürdigen Anlass ausnahmsweise das barocke Taufbecken in ein Lese- und Rednerpult vor dem barocken Altar um. Denn welches Baudenkmal in Siebenbürgen kann sich eines solchen Alters schon rühmen?

Selbst Staatssekretär Ioan Opris aus dem Bukarester Ministerium für Kultur und Kulte rühmte das, wie alle anderen Ehrengäste und Festredner ihre Gedanken an das Gründungsjahr 1202 der Zisterzienser Abtei, aber auch darüber hinaus knüpften. Schließlich hat diese mitunter schönste Ruine weit und breit im Sachsenland stets "für Überraschungen gesorgt und Bewunderung erweckt", meinte Dr. Christoph Machat. Wohl kaum eine andere wurde nämlich bislang so umfangreich erforscht, selten wird eine so häufig wie diese besichtigt. Von daher entdeckte der Vorsitzende des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrats aus Deutschland und gebürtige Schäßburger jetzt in Kerz den "zweiten Nabel der Welt" - neben dem UNESCO-Weltkulturerbe Schäßburg.
Kerzer Zisterzensierabtei-Ruine von Osten gesehen. Lufbildaufnahme von Georg Gerster
Kerzer Zisterzensierabtei-Ruine von Osten gesehen. Lufbildaufnahme von Georg Gerster

Allerdings nicht nur die Bergkirche in der "Perle Siebenbürgens" weist ähnliche Chordimensionen wie jene der Kerzer Abtei auf, sondern in fast allen Pfarrkirchen des 14. Jahrhunderts von Hermannstadt über Mediasch bis hin nach Kronstadt, so Dr. Machat, sind Bauformen der ehemaligen Zisterzienser Bauhütte am Alt erkenntlich. In Tartlau, Honigberg, Petersberg oder erst recht in Marienburg lässt sich die Ausstrahlung besagter Architektur noch viel weniger leugnen. Schließlich gehörten auch diese teilweise vom Deutschen Ritterorden gegründeten Ortschaften samt Michelsberg bei Hermannstadt ab dem 13. Jahrhundert bereits der Kerzer Tochter des Zisterzienser Klosters aus Egresch (Banat), im 14. Jahrhundert kamen als untertänige Gemeinden ferner Abtsdorf, Deutschkreuz, Hühnerbach, Klosdorf, Kellen, Meschendorf und Walachisch-Kerz hinzu. Doch schon im 15. Jahrhundert fand das mächtige Kloster sein unrühmliches Ende, lediglich das dreiseitig geschlossene Chor auf der Ostseite ist erhalten geblieben und wurde 1721 zum gottesdienstliche Raum umfunktioniert und steht so heute noch im Dienste der evangelischen Kirchengemeinde von Kerz.

Nur was der Zahn der Zeit verschonte, wurde von Menschenhand weitgehend zerstört. Steine der großen Anlage hatte man sogar zur Eindämmung des Baches verwendet, der durch des Pastors Garten murmelt, erläuterte in seinem Festvortrag Manfred Wittstock und berief sich dabei auf den umfangreichen und unvoreingenommenen Reisebericht "Transylvania, its products and its people" von Charles Boner. Mit ihm und der Romantik des 19. Jahrhunderts wurde die Kerzer Ruine allmählich wieder entdeckt. Maler und bildende Laienkünstler haben sie seither auf Holzschnitten, Stahlstichen, Aquarellen und Zeichnungen bildlich festgehalten, Namen wie Franz Neuhauser d.J., Johann C. Orendi, Martin Schlichting, Franz Pindur, Trude Schullerus, Juliana Fabritius-Dancu und Franz X. Resch erwähnte Wittstock in diesem Zusammenhang, desgleichen die Dichtung "Reinhold" von Gustav Schullerus oder den "Abt von Kerz" von Adolf Meschendörfer.

Allein Kerz ist viel mehr als nur die Abtei, betonte die Bukarester Architektin Hanna Derer, die Anfang der neunziger Jahre an der Bestandsaufnahme zum Dokumentationsprojekt siebenbürgisch-sächsischer Kulturgüter beteiligt war. In ihrem Festvortrag erinnerte sie vor allem an die Kerzer Bauernhäuser in der Lehmgrubengasse, der Neugasse, Obergasse oder hinter den Gärten, die sich anders als die Abtei nicht in einem Dornröschenschlaf befinden, jedoch ähnlich eine "klassische Ruhe ausstrahlen".

Bloß ohne die Abtei kann sich der Märchen- und Sagensammler Friedrich Schuster (derzeit Gundelsheim) seinen Geburtsort Kerz nicht vorstellen. Rund um sie hatte sich nicht nur der Alltag der Mönche abgespielt, sondern später auch jener der Kerzer Bauern und vieler siebenbürgischer Fürsten, die abwechselnd um den Besitz dieser Klosterruine buhlten. "Zuletzt war es der kommunistische Bauernstaat", meinte Schuster, der über seine in Deutschland gegründete "Initiative Kerz" nun das 800-jährige Jubiläumsfest im Kerz des postkommunistischen Rumäniens ermöglichte.

Der "geistige Teil" (Reger) war denn auch ausschließlich der Abtei und ihrem 800-jährigen Geburtstag gewidmet, tags darauf jedoch gedachte man im zweiten "geistlichen Teil" mit Festgottesdienst und Abendmahl vorrangig der Opfer des Zweiten Weltkriegs und der Deportation in die Sowjetunion. Und der dritte "gesellige Teil" vereinigte schließlich am Sonntagnachmittag unter dem Bierzelt im Pfarrgarten alle Kerzer von nah und fern. Bald jedes Haus beherbergte einen Gast, schätzte Friedrich Schuster, der im Vorfeld dieses Festes rund 400 seiner Landsleute in aller Welt nicht nur um Teilnahme, sondern auch um eine Spende gebeten hatte. Sein schriftlicher Aufruf hatte einen "überraschenden Erfolg". Die von Wilhelm Fabini entworfene und von Steinmetz Helmuth Polder (beide Schäßburg) ausgeführte Gedenktafel für die 30 Kerzer Kriegsopfer und die neun während der Zwangsarbeit Verstorbenen konnte so neben der Kanzel im Anschluss an den Festgottesdienst enthüllt werden.

Die Kerzer indes hinterließen nicht nur die Ruine und waren auch nicht nur "Kulturbanausen" (Reger). Mit dem Ort am Alt wird allemal der Name Viktor Kästners verbunden. Tauf- und Trauschein dieses wohl größten siebenbürgisch-sächsischen Mundartdichters waren ebenso wie Briefe, Abschlusszeugnisse, Tagebuchaufzeichnungen oder Manuskriptblätter in der Ausstellung zu sehen, die Friedrich Schuster für diese Schau im Gemeindesaal, aber nicht nur in Erinnerung an Kästner zusammengetragen hatte. Hinzu kamen zwei Kohlezeichnungen des bekannten Kerzer Malers Franz J. Pindur und mehrere seiner Bleistiftstudien aus einem Skizzenheft. Die erste Kerzer Postkarte, übrigens ein Lichtdruck nach einem Foto von Emil Fischer aus dem Jahre 1902, eröffnete den umfangreichen Reigen mit ähnlichen Zeugnissen aus der jüngsten Vergangenheit der Gemeinde, darunter die Chromlithografien des Ortslehrers Paulini aus dem Jahre 1911 sowie andere Fotografien mit und von anderen Kerzern. Praktisch druckfrisch verteilte die "Initiative Kerz" noch weitere Postkarten, verteilt beispielsweise mit Viktor Kästners Porträt und Gedicht "De Brockt am Alt" oder mit Traugott Teutschs "Die versunkene Glocke bei Kerz", ferner mit dem Kerzer Wappen, der Abtei und nicht zuletzt eine mit Georg Gersters Luftaufnahmen von insgesamt 16 Kirchenburgen entlang des Alts von Tartlau bis Talmesch. Für die grafische Gestaltung zeichnete durchwegs der Hermannstädter Künstler Chris Balthes, der auf die gleiche Tour noch die Apostel Petrus und Paulus vom Altar der Kirche verewigte. Die beiden hölzernen Plastiken wurden, wie bekannt, im März 2000 aus dem Gotteshaus entwendet, ein Jahr danach fielen die drei Engel aus Gips hier einem weiteren Diebstahl zum Opfer. Allerdings noch vor dem Fest stellte das Landeskonsistorium der Kerzer Kirche zwei ebenso alte wie wertvolle Plastiken der gleichen Apostel zur Verfügung. Sie stammen aus der mittlerweile aufgelösten Kirchengemeinde Mardisch. Und aus Rätsch stammt das Positiv, das eigene Tasteninstrument, 1852 aus Agnetheln übernommen, ist vorerst leider noch stumm. Ähnlich die Glocke: "Einst klang sie hoch vom Turme / die Glocke der Abtei, / da braust's heran im Sturme / mit wildem Kriegsgeschrei; / ergrimmte Heiden ohne Zahl - / die Glocke klang zum letztenmal/ vom Turm am Ostermorgen" (Traugott Teutsch). Doch die Sagen um die Glocke wie auch um die Ruine machen ihre Runden weiterhin weit über Kerz hinaus. Und selbst wenn die Kerzer davon nur sichtbar die Ruine hinterlassen haben, so sind sie auf eines berechtigter Weise dennoch stolz: Es ist die schönste Siebenbürgens.

Martin Ohnweiler


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 14 vom 15. September 2002, Seite 3)

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