29. September 2002

Hanf-Rösten in der Kokel

Aus dem Zyklus „Baaßner Geschichten“ von Christine Franck
Im August ‚reifte‘“ der Hanf. Die Ernte war besonders gut ausgefallen, das Wetter hatte mitgeholfen, es war ein heißer Sommer gewesen und der Regen hatte sich immer rechtzeitig eingestellt. Aber auch der Großvater hatte den Samen dicht gestreut, und nun bewunderten die Frauen die Hanfpflanzen und entschieden, dass man in diesem Jahr zum ‚Hanf-Rösten‘ an die Kokel fahren müsste.

Aus Hanf gewannen wir die Fasern, die dann zu Stoffen verarbeitet wurden. Nur die männlichen Pflanzen waren für die Fasergewinnung wichtig, die weiblichen Pflanzen wurden groß, verzweigten sich zur Spitze hin und brachten im Herbst den öligen Samen. Man ließ sie am Rande der Felder stehen, sie umgaben auch die Maisfluren und bildeten einen natürlichen Schutzzaun gegen Vieh und Wild. Kein Tier hätte eine Hanfpflanze gefressen, ihr penetranter Geruch schreckte alle Vierbeiner ab.

Die männlichen Pflanzen wurden etwa 1,5 m hoch, hatten einen hohlen, dünnen Stängel, der mit Fasern umgeben war, und in der Spitze wuchsen die unscheinbaren Blüten mit dem gelben Staub. Büschelweise wurden die Pflanzen aus der Erde gezupft, zu Bündeln zusammengelegt und zum Trocknen aufgestellt. Acht bis zehn Bündel wurden so aufgestellt, dass sie einen Kegel bildeten, einem Indianerzelt ähnlich. Am Abend war dann das Feld mit vielen Indianerzelten bedeckt, die in Reih und Glied standen, und die Augen der Frauen leuchteten vom Cannabisstaub und ihr Lachen belebte die Dämmerung.

Nach dem Trocknen wurden die Hanfbündel auf den großen Wagen geladen, ein Schlagbaum wurde oben draufgelegt, mit Seilen wurde alles rundherum festgebunden und am Schlagbaum zurechtgezurrt. So war die Fuhre transportfähig.

Im Morgengrauen fuhr man los, über die Hulla. Die Erwachsenen gingen hinter dem Gefährt. Ich durfte diesmal mitfahren und wurde auf die Ladung, neben den Schlagbaum, in eine Vertiefung zwischen die Bündel gebettet. Unser ehemaliger Dienstknecht, unser Bârci, der Zigeuner Bârcea Nicolae, war mit seinem Pferdegespann gekommen. Er war nicht begeistert, als er mich oben neben den Hanfbündeln sah. Zum Kokeltal hin war der Abstieg von der Hulla sehr steil, man musste langsam fahren, immer den Serpentinen entlang, und man musste die Bremsen gekonnt handhaben, um mit so einer Ladung unten an der Kokel heil anzukommen. Der Bârci kannte mich gut und wusste, dass ich ein unruhiges Kind war. Am liebsten hätte er mich vom Wagen herunter geholt, aber die alte Herrin, die stăpînă, meine Großmutter, hatte entschieden, und er fügte sich brummend.

Der Bârci hatte etwas zu kurze Beine, einen großen Oberkörper und zu lange Arme. Dieser Körperbau verlieh seiner Gangart eine Orang-Utan Note. Sein großes, ovales Gesicht, von dunkler Schattierung, wie das bei Zigeunern üblich war, trug meist eine finstere Miene. Das beeindruckte uns nicht, denn er gehörte zur Familie. Obwohl er nicht mehr in unseren Diensten stand, war er immer zur Stelle, wenn wir ihn brauchten. Er redete Sächsisch, aber aus seinem Mund klang das komisch, denn mit der Grammatik klappte es bei ihm nicht. Sein Einwand desser Kändj kitt dett dir nett mätt, Härrän (dieser Kind kommt das dir nicht mit, Herrin) hatte also diesmal nichts gebracht.

Oben auf der Hulla angekommen, sagte er mir, ich müsse mich nun ganz ruhig halten und in meine Vertiefung ducken, denn wer zum ersten Mal an die Kokel fahre, müsse einen dicken Kieselstein zerbeißen und hinunter schlucken. Da stünden Zöllner in grünen Uniformen, und die würden mich vom Wagen holen und dort behalten, bis ich den Kieselstein zerkleinert und geschluckt hätte. Wenn ich das daheim gewusst hätte, wäre ich nicht mitgefahren!

In Angstschweiß gebadet und kreidebleich holten sie mich unten an der Kokel aus meiner Vertiefung. Der Bârci war selber erschrocken und sagte, jetzt wäre alles überstanden, ich müsste nie mehr einen Kieselstein durchbeißen und könnte somit immer „ohne Zoll“ nach Mediasch hinein.

An der Kokel war ein buntes Treiben. Überall war Hanf zum ‚Rösten‘ drin, mit Stangen und Pflöcken befestigt, mit Lehmklumpen und großen Steinen beschwert. Dazwischen wurde Hanf gewaschen. Da standen Frauen und Männer in der Unterwäsche, bis zu den Hüften im Wasser, schwangen die Hanfbündel hoch und schlugen sie dann mit voller Kraft aufs Wasser. So säuberten sie die Bündel von Schlamm und Sand und stellten sie dann ans Ufer zum Trocknen. Immer entstanden dabei die typischen Kegel, Indianerzelten ähnlich.

Am Ufer tummelte sich ein buntes Völkchen: Zigeuner mit wachen Blicken, Juden, die etwas zu verkaufen hatten, Mediascher, die zum Baden gekommen waren, und die fremden Bauern aus den Nachbardörfern in ihrer nassen Unterwäsche, die sich mit dem Hanf plagten. Weiter drinnen im Wasser badeten Kinder, Gänse, Enten und Büffel. Es schien kein Platz zu sein für unseren Hanf.

Ich verfolgte angespannt das Treiben und sah einen Mann, der sich an einem abgestellten Wagen zu schaffen machte. Er packte hastig Kleidungsstücke unter seinen Arm und blickte unruhig um sich. Da schrie ich aus vollem Hals: „Ein Räuber, fangt den Räuber!“ Der Mann rannte, ich hinter ihm her, unser Bârci hinter mir. Eine ganze Meute Hunde und Kinder folgte uns. Der Dieb ließ das Bündel fallen, und wir brachten es zum Wagen zurück. Kleinblasendorfern gehörte der Wagen, und sie konnten uns nicht genug danken. Sie waren auch fast fertig mit ihrem Hanf, und weil ihr Nachbar mit seiner Hanfladung noch nicht da war, überließen sie uns ihren Platz samt ihren Stangen und ihren Befestigungspflöcken.

So kam unser Hanf in die Kokel und musste eine Woche dort ‚rösten‘, damit man die Fasern vom Stängel lösen konnte. Man überließ ihn den Fäulnisbakterien des Flusses und konnte nur beten, dass ihn kein Hochwasser wegschwemmte.

Ich bekam eine Breze als Belohnung und durfte auf der Heimfahrt bis nach Baaßen vorne neben dem Bârci sitzen – ganz stolz, hatte ich doch einen Platz im Fluss für unseren Hanf erobert.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2002, Seite 8)

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