6. Oktober 2002

Im Spannungsfeld zwischen Exil und Heimatland

Eva Behring behandelt im Buch „Rumänische Schriftsteller im Exil 1945-1989“ (Stuttgart: Franz Steiner Verlag, 2002, 209 Seiten, Preis: 40 Euro) Werk und Wirken rumänischer Exilschriftsteller während der kommunistischen Diktatur von 1945 bis 1989, als Flucht und Emigration zu einem Massenphänomen wurden.
Nicht jeder im Ausland lebende Dichter ist ein Exilschriftsteller. Die Verfasserin des hier zu besprechenden Buches definiert als unabdingbare Determinanten zum Ausweichen ins Exil Unterdrückung, staatliche Verfolgung, persönliche Diskriminierung, Haft, Haftandrohung, Schreibverbot und Zensur. So zählen etwa die rumänischen Avantgardedichter der Zwischenkriegszeit, die sich im Ausland niederließen, nicht zu den Exilschriftstellern, wohl aber einige Intellektuelle der 1848-er Revolution wie Nicolae Balcescu, Cesar Bolliac, Dimitrie Bolintineanu, die nach der Niederschlagung der revolutionären Erhebung ins Exil gehen mussten.

In vorliegender Studie werden Werk und Wirken rumänischer Exilschriftsteller während der kommunistischen Diktatur von 1945 bis 1989 präsentiert, als Flucht und Emigration zu einem Massenphänomen wurden. So sollen in den Jahren von 1945 bis 1949 etwa 50 und zwischen 1975 und 1989 ca. 200 Schriftsteller das Land verlassen haben, wobei mit „Schriftsteller“ nicht nur Verfasser von schöngeistiger Literatur gemeint sind. Eva Behring vermerkt dazu, dass es sich bei diesen Angaben wahrscheinlich um mehr oder weniger großzügige Überschläge handelt. Wie dem auch sei, auch als Kenner der Materie staunt man über die große Zahl der im Exil namhaft gemachten Schriftsteller. Dabei werden drei „Wellen“ politisch bedingter Auswanderung unterschieden. Der ersten Welle der 40er und 50er Jahre gehörten vor allem Intellektuellen an, die in den Jahren vor der kommunistischen Machtergreifung im kulturellen und politischen Leben aktiv gewesen waren. Jene, die sich 1945 im Ausland, etwa im diplomatischen Dienst befanden, kehrten meistens nicht mehr ins Land zurück, andere Verfolgte suchten Zuflucht im Exil. Zu dieser Gruppe gehören Schriftstellerpersönlichkeiten wie Mircea Eliade, Emil Cioran, Constantin Virgil Gheorghiu, Vintila Horia, Horia Stamatu und George Uscatescu.

Zu der zweiten Auswanderungswelle der 60er und 70er Jahre zählen Schriftsteller, die in den endvierziger und 50er Jahren brutalste politische Verfolgung, Verurteilungen und Haftstrafen erlitten hatten (so Ion Ioanid, Dumitru Tepeneag), oder solche, die sich nach der kurzen und relativen politisch-kulturellen „Liberalisierung“ von 1965 bis 1971 und der folgenden „kleinen Kulturrevolution“ Nicolae Ceausescus erneut ideologischen Zwängen, Schnüffeleien und Gängelei in ihrem Schaffen ausgesetzt sahen und als Personen von der Securitate bespitzelt wurden. Das bewog sie ins Exil auszuweichen. Die Bekanntesten sind Petre Dumitriu und Petre Popescu, die bis zu ihrer Absetzung im Westen der Regimenomenklatur angehört hatten, zudem Persönlichkeiten des Literatur- und Wissenschaftsbetriebs wie Ion Negoitescu, Pavel Chihaia, Ion Vianu. Internationales Aufsehen erregte die Abschiebung des bedeutendsten Protestschriftstellers Paul Goma im Jahre 1978, der als rumänischer Solschenizyn gilt.

Das letzte Jahrzehnt der kommunistischen Diktatur mit dem grandomanen Personenkult um das Herrscherehepaar Ceausescu, mit dem damit verbundenen primitiven patriotisch-manipulierten Kulturbetrieb zwecks Verherrlichung der „lichtvollen Ära“ und mit Publikationsverbot oder Hausarrest für nichtkonforme Schriftsteller bewirkten eine dritte Auswanderungswelle. Es verließen Rumänien Schriftsteller wie Norman Manea, Ion Caraion, Dorin Tudoran, Matei Visnic und die Literaturhistoriker Nicolae Balota, Mircea Zaciu, Lucian Raicu, Mircea Iorgulescu, Gelu Ionescu u. a.

Als Gastländer wählten die Exilanten vornehmlich Länder, wo sie für ihr Wirken traditionelle, kulturelle Anknüpfungsstätten oder rumänische Diasporagemeinden vorfanden, also insbesondere Frankreich, Italien, Spanien, die USA, zusätzlich in immer größerem Ausmaße die Bundesrepublik Deutschland, ferner Österreich, Kanada, Südamerika u.a.

Nach der Chronologie des Literaturexils bemüht sich die Verfasserin in einer faktenreichen Dokumentation die Sphäre der rumänischen Exilliteratur nach dem methodischen Raster der umfangreichen Forschung des deutschen antifaschistischen Exils zu systematisieren. Es heißt dazu in der Vorbemerkung: „Der oft dramatisch verlaufene Akt von Literaturerzeugung unter den Extrembedingungen des Exils, der imposante Aufbau eines Kommunikationsnetzes, das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Lebensformen und –normen beim Eintreffen in den Gastländern, das wechselhafte Verhältnis zwischen den geflüchteten und den im Lande verbliebenen Literaten, die so spannungsvollen Rezeptions- und Interpretationsanstrengungen über fast fünf Jahrzehnte der Trennung und in den nachfolgenden Jahren freiheitlicher Literaturentwicklung sind die großen, eng miteinander verflochtenen Betrachtungsfelder dieser Studie.“

Im Exil gründeten die genannten Schriftsteller, Wissenschaftler und andere Persönlichkeiten eine Vielzahl von Institutionen, Gesellschaften, Bibliotheken, Verlage und gaben Editionsreihen heraus, um einerseits die rumänische Kultur zu pflegen, neue Emigranten aufzufangen und ihnen geistige Heimat zu bieten, die Verbindungen zwischen den Rumänen im Exil mit denen im Heimatland aufrecht zu erhalten sowie andererseits die Öffentlichkeit der Gastgeberländer über die rumänischen Verhältnisse zu informieren. Mehrere solcher Einrichtungen und Zeitschriften, dazu noch von langer Dauer und beachtlicher Leistung, befinden sich in Deutschland und Österreich, so frühzeitig schon das „Rumänische Forschungsinstitut“ und die „Rumänische Bibliothek“ in Freibug, der „Wissenschaftliche Studien- und Forschungskreis der Rumänen aus Deutschland“ in Stuttgart, der die Zeitschrift „Orizonturi“ herausgibt, eine Filiale der in Rom gegründeten „Rumänischen Akademie-Gesellschaft“ in München mit der Zeitschrift „Revista Scriitorilor Romani“, die „Vereinigung der Rumänen aus Oberösterreich“ in Linz und die „Rumänische Vereinigung“ in Wien. Neben diesen Einrichtungen von Ende der 40er und 50er Jahre entstanden später weitere kulturelle Vereinigungen und Verlage: in Freiburg die „Mihai Eminescu-Gesellschaft“ (1967), die „Rumänische Kulturstiftung Prinzessin Ioana“ (1963), der Verlag „Prodromes“ (1964), in München der „Apozitia-Kreis“ (1969), der „Verein der Freien Rumänischen Künstler“ (1977), das „Rumänische Kulturzentrum“ (1981), das „Institut für Rumänienforschung“ (1986), der „Rumänische Arbeitskreis“ (1990) sowie der Verlag „Coresi“ (1983). Der „Demokratische Kreis der Deutschland-Rumänen“ (1977) gibt die Zeitschrift „Dialog“ heraus. In Deutschland leben übrigens zurzeit die meisten Auslandsrumänen des Westens. Die Zahl der Emigranten wird seit 1948 auf 300 000 geschätzt. Zu ihnen werden auch die aus Rumänien stammenden Roma gezählt, deren Anteil über 20 Prozent ausmacht. Man kann also, wie der rumänische Historiker Lucian Boia witzelnd schreibt, feststellen, dass es in Deutschland mehr Rumänischsprechende als Deutschsprechende in Rumänien gibt.

Für die rumänischen Literaten ergab sich neben der Anpassung an die westliche geistlich-kulturelle und existenzielle Welt als Identitätsfrage vor allem die Entscheidung für eine neue sprachliche Ausdrucksform. Nach dem Grad des Sprachwechsels und des damit zusammenhängenden literarischen Schaffens werden drei Typologien unterschieden: prinzipielle Beibehaltung des Rumänischen als Sprache der Literatur (bei Paul Goma, Ion Ioanid, Ion Caraion, Ilie Constantin), Benutzung des Heimatidioms und einer westlichen Sprache (Mircea Eliade, George Uscatescu, Vintila Horia, Monica Lovinescu, Virgil Ierunca, Norman Manea, Virgil Tanase, Dumitru Tepeneac, Doru Tudoran), weitgehende Lösung von der rumänischen Identität und ausschließlicher Gebrauch der Sprache des Gastgeberlandes (Emil Cioran und Petre Popescu).

Eine besondere Stellung nehmen die jüdischen Intellektuellen aus Rumänien ein, die nach Israel auswanderten, dort aber weiterhin rumänisch schrieben und sprachen, so der Schriftsteller Alexandru Mirodan und Virgil Duda, die Literaturwissenschaftlerin Ileana Vrancea und die Literaturhistorikerin Elena Tacciu. Für sie war nach der Ansicht von Behring Israel auch ein Exilland, das die gleichen Probleme der Identifikationsfindung und des Sprachwechsels wie andere Aufnahmeländer stellte.

Nach einem Überblick über das künstlerische Schaffen der rumänischen Exilschriftsteller, von denen nicht wenige weltweite Anerkennung gefunden haben, bietet die Verfasserin „Schicksalserkundungen und Werkinterpretationen", wie sie sich hier und auch sonst gespreizt ausdrückt, zu Mircea Eliade, Ion Caraion, Paul Goma, Norman Manea und Dumitru Tepeneag.

Das letzte Kapitel der Studie verfolgt die „gesteuerte Rezeption“ der Exilliteratur in Rumänien während der kommunistischen Diktatur und die „Eingliederung des literarischen Exils in die Nationalliteratur“ nach 1990. Die genannte Integration ging und geht nicht ohne Kontroversen, da die Exilliteratur und deren Träger nicht ohne Vorbehalte akzeptiert werden. Es gibt sogar Stimmen, die meinen, „rumänische Literatur werde nur im Lande gemacht“. Tatsache bleibt jedenfalls, dass kein namhafter Schriftsteller, Literatur- oder Kunsthistoriker ins Nachwenderumänien zurückgekehrt ist, obwohl die bedeutendsten unter ihnen im heutigen rumänischen Kulturbetrieb präsent sind.

Wir vermissen in der Studie von Behring jedwelchen Hinweis auf die Rezeption des kulturellen und literarischen Schaffens des rumäniendeutschen und ungarischen Exils in der rumänischen Exilliteratur. Solche Hinweise wären wünschenswert gewesen, um Gemeinsames und Trennendes aufzuzeigen, zumal rumänische Publikationen zum Teil denselben nationalistischen Standpunkt gegenüber den nationalen Minderheiten wie die Veröffentlichungen des Heimatlandes eingenommen haben.

Michael Kroner


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 15 vom 30. September 2002, Seite 9)

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