11. Oktober 2002

Zinn auf Wanderschaft

Eine beeindruckende Schau mit kaum bekannten Exponaten aus Siebenbürgen wird bis zum 3. November in den Räumlichkeiten des „Weygang-Museums“ in Öhringen in Baden-Württemberg gezeigt. Wie das Faltblatt programmatisch festhält, geht es in der Ausstellung „Zinn aus Siebenbürgen um „ein Kapitel der Zinngeschichte“ in siebenbürgisch-hohenlohischer Gegenüberstellung. Dabei wird nicht nur Zusammenhängendes ausgestellt, sondern es werden Zusammenhänge hergestellt, die es erlauben, „zeitlich und räumlich etwas weiter auszuholen“.
Die zur Veranschaulichung von funktionalen, material- und kunstgeschichtlichen, gesellschaftlichen und historischen Zusammenhängen ausgewählten und zusammengetragenen Exponate siebenbürgischer Herkunft sind bislang der Öffentlichkeit kaum zugänglich gewesen. Sie gehören zu den Sammlungsbeständen des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und des Siebenbürgischen Museums in Gundelsheim, viele stammen aber auch aus privatem Besitz. Darunter befinden sich Objekte von ausgesprochen ästhetischer Qualität: eine Münzkanne mit in Hermannstadt geprägten Silbertalern („Rákoczi-Kanne“) aus dem 17. Jahrhundert, eine Deckelkanne aus der Werkstatt des Hermannstädter Zinngießermeisters Stephan Wynhold aus derselben Zeit, das Fragment einer bemalten Emporentafel aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, eine Platte mit Hirschgravur von 1725 aus dem ehemaligen Besitz der Hermannstädter Schusterzunft, dazu ein äußerst dekorativer Hochzeitsteller aus dem 18. Jahrhundert, zinnerne Wöchnerinnenschüsseln aus der Biedermeierzeit, kostbare Brauchtextilien und Trachtenstücke.

'Altertümer'  aus Siebenbürgen, von einem siebenbürgischen Antiquitätenhändler per Foto in Budapest und Wien zum Verkauf angeboten, um 1900. Das Schlüsselschild am Tisch trägt die Jahreszahl '1550'.
'Altertümer' aus Siebenbürgen, von einem siebenbürgischen Antiquitätenhändler per Foto in Budapest und Wien zum Verkauf angeboten, um 1900. Das Schlüsselschild am Tisch trägt die Jahreszahl '1550'.

Insgesamt ist hier eine Präsentation gelungen, die gefällt, obwohl sie nicht nur eine oberflächlich-ästhetische Inszenierung ist. Die Kuratorin der Ausstellung, die aus Hermannstadt stammende Kunsthistorikerin Karin Bertalan, geht hierbei einen für Sonderausstellungen ungewöhnlichen Weg. Die siebenbürgischen Exponate werden nicht, wie allgemein üblich, getrennt von der ständigen Ausstellung präsentiert, sondern sind collagenartig einfühlsam in diese integriert. Sie teilen sich dem Betrachter mit, indem sie mit den Stücken aus der hauseigenen Sammlung assoziative Bindungen eingehen und zugleich auch etwas von der Aura der hier gewachsenen Einheit der Weygang’schen Gebäude, Hauseinrichtung und Sammlung auf sich lenken. In diesem Haus mit Werkstatt in der Öhringer Karlsvorstadt hat August Weygang (1859-1946), letzter Spross und Meister einer über die Region hinaus wirkenden Zinngießerdynastie, gewohnt, gearbeitet und gesammelt. Seine Sammlungen bilden den Grundstock der musealen Einrichtung, sie geben folgerichtig auch einen zinngeschichtlich interessanten Präsentationshintergrund für die siebenbürgischen Exponate ab.

Im Vergleich der Formen und Ornamente siebenbürgischer Zinngefäße mit Stücken deutscher bzw. weiterer westeuropäischer Herkunft werden Kulturkanäle sichtbar. Die Aspekte Musterfiliation und Ornamentauffassung kommen im thematischen Kontext der europäischen Gesellenwanderung vergangener Jahrhunderte zur Sprache. So zeigt ein Gefäß von 1828 dekorativ die Hermannstädter Stadtmarke auf den beiden Henkeln. Das ihm zugeordnete, zeitgleiche Öhringer Gegenstück präsentiert Besitzermarken als Henkelverzierungen, die mit ähnlicher dekorativer Wirkung ins Ornamentprogramm aufgenommen worden sind. Die beiden biedermeierlichen Wöchnerinnenschüsseln – eine aus Siebenbürgen, eine aus dem süddeutschen Raum – bezeugen durch ihr sehr ähnliches Aussehen, wie bestimmte zeitmodische Formen urbaner Prägung und zunfthandwerklicher Produktion in Verbindung mit gesellschaftlichen Ritualen im Brauchgeschirr späterer Jahrhunderte zeitlos standardisiert die Mode überdauern. Eine sächsische „Gevodderfonn“ (Gevatterpfanne, d. i. Wöchnerinnenschüssel) aus Steingut volkstümlicher Fertigung vom Beginn des 20. Jahrhunderts belegt nicht nur die materialübergreifende Gültigkeit solcher Brauchformen, sondern auch ihre Verbreitung innerhalb aller Gesellschaftsschichten.

Es ist das besondere Verdienst dieser Ausstellung, dass sie die Themenvielfalt, die sich aus dem Gegenüber der herkunftsmäßig so unterschiedlichen Exponate zwangsläufig ergibt, dem Besucher nicht in didaktisch trockener Aufarbeitung vermitteln will, und schon gar nicht mit dem Anspruch auf „Vollständigkeit“, wie dies oft bei Ausstellungen dieser Art der Fall ist. Keine seitenlangen Texte „erschlagen“ den Besucher. Das diskret und locker zugeordnete Bildmaterial zu den thematisch sehr gezielt ausgewählten Exponaten suggeriert viele Fragen, gibt aber keine vorgekauten Antworten. Die Ausstellungsstücke führen in die Welt des Zinns ein - in ganz direkter sinnlicher Konfrontation mit den Ausdrucksformen der Originalobjekte - und überlassen es den Besuchern, Verbindungen herzustellen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Das originäre, sinnliche Emotionserlebnis bleibt so garantiert erhalten.

Ausstellung 'Zinn aus Siebenbürgen' in Öhringen: Wöchnerinnenschüsseln aus dem 18. Jahrhundert aus Hermannstadt (links) und Weyarn (rechts). Foto: Helmut Wenzel
Ausstellung 'Zinn aus Siebenbürgen' in Öhringen: Wöchnerinnenschüsseln aus dem 18. Jahrhundert aus Hermannstadt (links) und Weyarn (rechts). Foto: Helmut Wenzel

Diesem Konzept entsprechend, kommt dann auch das wichtigste thematische Anliegen dieser Ausstellung scheinbar nur beiläufig daher. Zum Ende des Rundganges verweisen Fotos und Publikationen auf wertvolle, heute nur noch in Bruchstücken erhaltene oder aber längst verschollene Bestände siebenbürgischer Zinnsammlungen. Beispielhaft erwähnt sind die Adalbert-Resch-Sammlung in Kronstadt, die Sigerus-Sammlung in Hermannstadt oder aber jene von Richard Hubert in Reichenberg / Nordböhmen. Sie werfen viele Fragen auf: Wann wurde aus dem Gebrauchsobjekt Zinn ein Sammlergegenstand mit hauptsächlich kultureller Funktion? Wer sammelte und seit wann Zinn aus Siebenbürgen? Wo, wie und wann kam siebenbürgisches Zinn in europäische Museen? Was ist im Laufe der Zeit mit solchen Sammlungen geschehen? Ist Musealisierung überhaupt ein Garant für den Erhalt kultureller Zeugnisse? Am Beispiel Zinn, einem Material vergangener Jahrhunderte, das heute nur noch für Liebhaber von Interesse ist, streift die Öhringer Ausstellung die gravierende Frage nach den „Schicksalswegen“ kultureller Zeugniskraft einer sich allmählich auflösenden Kultur. Diese ist heute für das Siebenbürgisch-Sächsische brisanter denn je. In diesem Sinne kultureller Verantwortung ist die Ausstellung mehr als nur eine Reverenz der Kunsthistorikerin Karin Bertalan an ihre kulturellen siebenbürgischen Wurzeln und die fachlichen Anfänge an einem der wichtigsten Aufbewahrungsorte siebenbürgischer Kulturzeugnisse, dem Brukenthal-Museum in Hermannstadt.

Irmgard Sedler


Öffnungszeiten und Infos - Die Sonderausstellung „Zinn aus Sinnbürgen“ ist bis zum 3. November freitags bis sonntags von 11.00 bis 17.00 Uhr im Weygang-Museum, Karlsvorstadt 38, in Öhringen zu sehen. Gruppenbesuche sind nach Vereinbarung auch außerhalb der Öffnungszeiten möglich. Infos unter Telefon (0 79 41) 3 53 94, E-Mail: info@weygang-museum.de, Internet: www.weygang-museum.de

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 16 vom 15. Oktober 2002, Seite 5)

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