28. Oktober 2002

Leserecho: Zuwanderungsgesetz aus Sicht des Aussiedlerbeauftragten

Zum Artikel Zuzug von Aussiedlern erheblich erschwert, Siebenbürgische Zeitung Online vom 16. September 2002, hat der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen, Jochen Welt, folgende Stellungnahme verfasst. Die Redaktion kommt dem Wunsch des SPD-Bundestagsabgeordneten nach und druckt den Text im Wortlaut ab.
Angebliche Erschwerung des Spätaussiedlerzuzugs aufgrund des Nachweises ausreichender Deutschkenntnisse durch Familienangehörige von Spätaussiedlern

Das am 1. Januar 2003 in Kraft tretende Zuwanderungsgesetz sieht in Art. 6 eine Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vor: Kern der Neuregelung ist die Regelung, wonach die Einbeziehung von Ehegatten oder Abkömmlingen von Spätaussiedlerbewerbern, die selbst keine Spätaussiedler sind, in den Aufnahmebescheid von Spätaussiedlerbewerbern nur noch bei Vorliegen ausreichender Deutschkenntnisse möglich sein soll. Das vernünftige Ziel dieser Regelung liegt klar auf der Hand. Es geht darum, die aufgrund fehlender Deutschkenntnisse immer stärker in den Vordergrund tretenden Integrationsprobleme dieser Familienangehörigen zu beseitigen, welche die Akzeptanz des Spätaussiedlerzuzugs in den vergangenen Jahren in erheblichem und zunehmendem Maß belastet haben. Dieser Vorschlag ist daher notwendig, ausgewogen und richtig. Er liegt auch im wohlverstandenen Interesse der Spätaussiedler und ihrer in den Aufnahmebescheid einbeziehbaren Familienangehörigen. Denn er stellt für die Betroffenen einen wirksamen Anreiz dar, sich bereits vor der Aussiedlung die notwendigen Deutschkenntnisse anzueignen. Dieser Regelungsvorschlag baut keine unüberwindlichen Hürden auf. Die Möglichkeit, Deutschkenntnisse im Aussiedlungsgebiet zu erwerben, ist gegeben und die Dauer des Aufnahmeverfahrens kann beispielsweise hierfür gut genutzt werden. Im Übrigen ist der Nachweis ausreichender Deutschkenntnisse bis zur Aussiedlung wiederholt möglich, sofern der vorangegangene Versuch nicht erfolgreich war. Wenn eine Einbeziehung in den Aufnahmebescheid nicht möglich ist, können Familienangehörige trotzdem nach den ausländerrechtlichen Regelungen des Familiennachzugs (zu Deutschen) nach Deutschland einreisen. Damit wird keine russlanddeutsche Familie auseinandergerissen.

Angeblicher Verstoß von § 4 Abs. 2 BVFG gegen Artikel 116 Abs. 1 des Grundgesetzes (Angebliche Benachteiligung von Rumäniendeutschen)

Unter welchen Bedingungen eine Person im Sinne des Artikel 116 Abs. 1 GG als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit in dem dort genannten Gebiet Aufnahme gefunden hat, ist seit Inkrafttreten der durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 geänderten Fassung des Bundesvertriebenengesetzes am 1. Januar 1993 abschließend nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu beurteilen. Seitdem können Personen, die die im Bundesvertriebenengesetz genannten Aussiedlungsgebiete nach dem 31. Dezember 1992 verlassen haben, nur noch dann Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland finden, wenn sie Spätaussiedler im Sinne des § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG sind. Die einschlägigen Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes stellen insoweit die in Artikel 116 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber vorbehaltene gesetzliche Regelung für den Erwerb des Deutschen-Status dar.

Im Gegensatz zu der Regelung des § 4 Abs. 1 BVFG, nach der Volksdeutsche aus der früheren Sowjetunion und den baltischen Staaten entsprechend der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Rechtslage bei Erfüllung der Wohnsitzvoraussetzungen in der Regel ohne weiteres Spätaussiedler sind, kann nach § 4 Abs. 2 BVFG ein deutscher Volkszugehöriger aus den übrigen Aussiedlungsgebieten, zu denen auch Rumänien gehört, nur dann Spätaussiedler sein, wenn er glaubhaft macht, dass er am 31. Dezember 1992 oder danach Benachteiligungen oder Nachwirkungen früherer Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit unterlag. Mit dieser, durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl. Seite 2094) eingeführten Bestimmung hat der Gesetzgeber die Lage nach Aussiedlungsgebieten differenziert bewertet: Eine durch die Spätfolgen der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen gekennzeichnete Situation der deutschen Volkszugehörigen bestehe zwar noch in der früheren Sowjetunion und den baltischen Staaten, aber nicht mehr u.a. in Rumänien, so dass einem deutschen Volkszugehörigen ein Verbleiben in diesen Aussiedlungsgebieten nur dann nicht zugemutet werden könne, wenn er Benachteiligungen ausgesetzt gewesen sei und damit ein konkretes Kriegsfolgenschicksal erlitten habe. Diese Wertung des Gesetzgebers beruht hauptsächlich auf dem Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa, den die Bundesrepublik Deutschland am 21. April 1992 (vgl. Bulletin Nr. 43, Seite 474) mit Rumänien geschlossen hat. Die darin vereinbarten Rechte der deutschen Minderheit und die Bereitschaft der Vertragspartner, Förderungsmaßnahmen Deutschlands zu erleichtern, rechtfertigen insbesondere bei Berücksichtigung des Spielraums, den der Gesetzeber bei seiner prognostischen Einschätzung besitzt, dessen Bewertung, dass trotz der nachhaltigen Verminderung der volksdeutschen Bevölkerung eine Entfaltung deutschen Volkstums nunmehr für die Zukunft gewährleistet und damit ein neuer Anfang gemacht ist. Die Bestimmung des § 4 Abs. 2 BVFG ist daher nicht willkürlich. Sie verstößt auch im Vergleich zu der in § 4 Abs. 1 BVFG für Volksdeutsche aus der früheren Sowjetunion und den baltischen Staaten getroffenen günstigeren Regelung weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG (vgl. BVerwGE 106, 191-202).

Benachteiligungen im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG sind nur konkrete Nachteile von nicht bloß geringem Gewicht, die der Volksdeutsche in eigener Person erlitten hat und die ihm in Anknüpfung an seine deutsche Volkszugehörigkeit durch den Staat zugefügt worden sind. Der Umstand der Vereinsamung - auf Grund vorangegangener Aussiedlung anderer Volksdeutscher - stellt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keine derartige Benachteiligung dar. Er ist nur eine Folge der allgemeinen Vertreibungsmaßnamen und der späteren Aussiedlungen; ein dem Einzelnen persönlich zugefügter Nachteil liegt darin nicht.

Angebliche Kürzung der Integrationsförderung

Nach dem Zuwanderungsgesetz haben Spätaussiedler sowie deren Ehegatten und Abkömmlinge, welche die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 1 BVFG erfüllen, sofern sie der allgemeinen Schulpflicht unterliegen, Anspruch auf kostenlose Teilnahme an einem Integrationskurs. Dieser Kurs umfasst einen Basis- und einen Aufbausprachkurs von gleicher Dauer. Darüber hinaus sollen in einem Orientierungskurs Kenntnisse der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte in Deutschland vermittelt werden. Der Kurs dauert bei ganztägigem Unterricht (Regelfall) längstens sechs Monate. Soweit erforderlich, soll der Integrationskurs durch eine sozialpädagogische Betreuung sowie durch Kinderbetreuungsangebote ergänzt werden. Des Weiteren sieht eine Öffnungsklausel vor, dass bei Spätaussiedlern weitere Integrationshilfen für Jugendliche und ergänzende Sprach- und sozialpädagogische Förderung gewährt werden können. Darüber hinaus haben erstmals Familienangehörige des Spätaussiedlers, die nicht Ehegatten oder Abkömmlinge sind (§ 8 Abs. 2 BVFG), ebenso wie andere Ausländer, die rechtmäßig auf Dauer in Deutschland leben, einen Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs.

Angebliche Verengung des Abstammungsbegriffs

Dem Bundesvertriebenengesetz liegt nach der obergerichtlichen Rechtsprechung seit jeher ein enger Abstammungsbegriff zugrunde, der „nicht über die Elterngeneration hinausweist“. Diese bestehende Rechtslage wird durch das Zuwanderungsgesetz nicht verändert, sondern lediglich klargestellt. Die Abstammung von der Großelterngeneration reicht daher - wie in der Vergangenheit - für die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid nicht aus.

Empfehlung an Zuzugswillige, die bereits im Besitz von Aufnahme- oder Einbeziehungsbescheiden sind, noch vor dem 1. Januar 2003 einen Zuzug in Erwägung zu ziehen

Das Zuwanderungsgesetz lässt die Wirksamkeit bereits erteilter Aufnahme- und Einbeziehungsbescheide, die vor dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes erteilt worden sind, unberührt. Diese Bescheide können demzufolge auch nach Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes uneingeschränkt für die Aussiedlung benutzt werden. Es besteht daher für die Inhaber bereits erteilter Aufnahme- und Einbeziehungsbescheide keinerlei Veranlassung, bereits vor dem 1. Januar 2003 einen Zuzug in Erwägung zu ziehen.

Jochen Welt, Aussiedlerbeauftragter der Bundesregierung


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 17 vom 31. Oktober 2002, Seite 9)

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