10. November 2002

Hermannstädter Theater spielt in München Caragiale

Im Vorwort des Festprogramms zu den rumänischen Kulturtagen in München (18. – 26. Oktober) hieß es: „Die rumänischen Kulturtage bieten dem Publikum die Möglichkeit, das moderne Rumänien kennen zu lernen.“ Als Münchener Premiere spielte die deutsche Abteilung des Radu-Stanca-Theaters aus Hermannstadt am 26. Oktober im Gasteig die Komödie „Herr Leonida und die Reaktion“ von Ion Luca Caragiale (1852-1912).
Seit der Wende im Jahr 1989 stemmt sich die 1956 gegründete deutsche Abteilung des Hermannstädter Stadttheaters gegen die massiven Folgen der Auswanderung der deutschen Bevölkerung. Nach einer zehnjährigen Dürreperiode ohne hauseigenen Regisseur, Dramaturg und Bühnenbildner konnte sich das Radu-Stanca-Theater in den vergangenen drei Jahren konsolidieren, insbesondere dank des Engagements der vormaligen Leiterin Renate Müller-Nica. So ist das Ensemble mittlerweile auf neun Mitglieder angewachsen. Mit Unterstützung des Instituts für Auslandsbeziehungen veranstaltet das Theater neuerlich wieder Tourneen durch Siebenbürgen, das Banat und nach Bukarest.
Die Komödianten des Hermannstädter Radu-Stanca-Theaters beim Schlussapplaus (von links nach rechts): Georg Potzolli (Leonida), Monika Dandlinger (Safta), Renate Müller-Nica (Efimitza). Foto: Christian Schoger.
Die Komödianten des Hermannstädter Radu-Stanca-Theaters beim Schlussapplaus (von links nach rechts): Georg Potzolli (Leonida), Monika Dandlinger (Safta), Renate Müller-Nica (Efimitza). Foto: Christian Schoger.

Die vom rumänischen Kulturministerium getragene Gastspielreise Ende Oktober mit Auftritten in München, Landshut und Ulm ist die bereits dritte Auslandstournee in diesem Jahr. Acht Bühnenmitglieder waren nach 20-stündiger Busfahrt in München eingetroffen, um am Samstagabend den Einakter „Herr Leonida und die Reaktion“, ein drei-Personen-Stück aus der Feder des damals 27-jährigen Caragiale, in Szene zu setzen. Für die Regie der in deutscher Übersetzung gespielten Komödie zeichnete Mihai Constantin Ranin verantwortlich. Das niveauvolle Rahmenprogramm der Veranstaltung begann am Nachmittag mit einem Festakt anlässlich des UNESCO-Gedenkjahres zum 150. Geburtstag des großen rumänischen Dramatikers. In der Folge diskutierten Caragiale-Experten am runden Tisch Leben und Oeuvre des zum Klassiker avancierten Gesellschaftskritikers.

300 Theaterbesucher hatten sich abends erwartungsvoll im Carl-Orff-Saal eingefunden. Kobaltblaues, kaltes Licht taucht die Bühne zu Beginn der ersten Szene in eine gespenstische Atmosphäre. Varietéklänge setzen ein. Gleichsam Puppen an unsichtbaren Fäden, trippeln und staksen ein Mann und eine Frau wie fremdgesteuerte Roboter auf die Bühne. Der halbgebildete Pensionär Leonida (Georg Potzolli) und seine naive Gattin Efimitza (Renate Müller-Nica, clownesk grell geschminkt) führen in ihrer kleinbürgerlichen Wohnstube, in der angefangen vom Bilderrahmen so ziemlich alles verzogen und schräg anmutet, kuriose Dialoge. Herr Leonida erklärt seiner „Mitza“ die komplexen Zusammenhänge von Politik und Wissenschaft. Vor allem die Vision von der Republik fasziniert die kauzigen Eheleute in ihren Nachtgewändern. Leonida bezieht sein „universales“ Wissen aus der Zeitung (die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien dient als Requisit).

Ansonsten lebt das Paar isoliert in den eigenen vier Wänden. In dieser Kammer stehen zwei schiefwinklige Betten, ein Tisch mit Öllämpchen, ein Herd und still stehen die Zeiger der Wanduhr. Fünf Minuten vor zwölf. Da bricht die vermeintliche Revolution aus. Von der Straße dringt Krach in die muffige Stube. Die aufgeschreckte Efimitza weckt den schnarchenden Leonida: „Mordskrawall, Pistolen, Flinten!“ Dem vernünftelnden Gemahl („Niemand darf schießen. Verordnung der Polizei!“) schwant sogleich, die Revolution sei ausgebrochen. Erst mit dem Erscheinen der Magd Safta (Monika Dandlinger, als Zigeunerin gewandet) klärt sich auf, dass der anarchische Lärm von der Feier des örtlichen Polizeiwachtmeisters herrührte.

Mehr als auf die Logik kommt es auf die (lautmalerische) Sprache der Dialoge an. Funktioniert Molière auf Serbokroatisch? Caragiale auf Deutsch tut es nicht, was in erster Linie an der Übersetzung liegt. Die charakteristischen Verballhornungen der Begriffe (Phantaxie) zünden nicht. Man lachte dezent. „Buberl“ und „Alte“ hinken hinter der vor Witz sprühenden, pointierten Originalsprache her. Umso stärker legten sich die Akteure ins Zeug, dieses Handicap durch ihr Rollenspiel, durch Mimik und Gestik zu kompensieren. Im sprachleeren Raum glückte es noch am besten: amüsant die „Bettszene“, das Zeremoniell des Zubettgehens unter gegenseitiger Kontrolle, komisch die nahezu synchrone „Schnarcharie“. Nach gut vierzigminütiger Spielzeit endet die Komödie in artigem Applaus. Am Ende ist auch der Versuch, „eine surreale, durch das Imaginäre geschaffene Welt“ (Regisseur Ranin) zu inszenieren. Trotz motivierter Hauptdarsteller in Müller-Nica und Potzolli, trotz eines phantasievollen Bühnenbildes und einer Akzente setzenden Bühnenmusik - zu einem unvergesslichen Caragiale-Abend fehlte die Wirkung der Originalsprache.

Christian Schoger


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