16. November 2002

Rumänien im Krimifieber

Bombenattentat an einer Schule im Bukarester Nobelviertel "Primaverii"/ Schüler verletzt, weitere Drohungen ähnlicher Art folgten / Ermittlungen bislang erfolglos
Einen regelrechten Krimi erlebt zurzeit Rumänien. In den Abendstunden des 6. November explodierte ein Geschoss vor dem Bukarester Jean-Monnet-Lyzeum in Bukarest. Bislang sind lediglich die Opfer bekannt: Fünf Mädchen wurden zum Teil schwer verletzt, die 13-jährige Mariana Ciuraru gar schwebte zwei Tage lang zischen Leben und Tod in der benachbarten Unfallklinik "Floreasca". Täter und Motiv sind unbekannt, über die Herkunft der mitunter von Hand gefertigten Bombe oder einer defensiven Militärgranate rätseln immer noch Fachleute aus Polizei, Armee und anderen Sicherheitsdiensten.

Die Ordnungshüter aus besagten Institutionen waren sofort zur Stelle, als der Unglücksfall bekannt wurde, private Rundfunk- und Fernsehanstalten unterbrachen ihre Sendungen und stellten kurzfristig Übertragungswagen vor Ort auf, Premier Adrian Nastase, und der Staatspräsident, Ion Iliescu, erschienen noch am gleichen Abend mit einer ganzen Ministerriege sowohl beim Lyzeum als auch in der Klinik.

Schließlich befindet sich die Bildungsanstalt sich nahe der Residenz des Staatsoberhauptes und einiger diplomatischer Vertretungen, in der Schule selbst lernen u.a. der Sohn des Premiers sowie gleich zwei Kinder des Außenministers Mircea Geoana. Erst Tage danach gab Nastase bekannt, dass sich zum Zeitpunkt der Detonation nebst Sohn Andrei auch seine Ehegattin im Schulgebäude aufhielt.

Ein politisches Motiv allerdings schließt der Premier aus, obgleich die Medien vorerst in diese Richtung ihre Hypothesen aufstellten. Nach dem Geiseldrama in Moskau hatten rumänische Sicherheitsdienste verstärkt vor ähnlichen Vorfällen gewarnt, fast zeitgleich mit dem tragischen Attentat im Bukarester "Primaverii-Viertel" beteiligten sich Vertreter von CIA und FBI neben europäischen Kollegen an einer Tagung in Snagov. Trotzdem will US-Präsident George W. Bush seinen für den 23. November geplanten Besuch in Bukarest antreten, übrigens auch in Begleitung von Nadia Comanici, der legendären Welt- und Olympiaturnmeisterin Rumäniens.

Der rumänische Staatschef lenkte mit seiner ersten Erklärung am 6. November indes die Fahndungen auf andere Fährte: Das Unfallopfer Mariana Ciuraru soll schon einmal Ziel eines Attentats in der Schule ihres derzeitigen Wohnviertels "Colentina" gewesen sein. Das habe die Eltern veranlasst, ihre beiden Kinder an das Bukarester V.I.P.-Gymnasium "Jean Monnet" zu versetzten. Ein Kopfgeld in Höhe von 10 000 US-Dollar setzte zudem Vater Nicolae Ciuraru noch am Abend des Attentats für die Festnahme des Täters aus. Das war Anlass genug für die Medien, den mutmaßlichen Täter innerhalb der Roma-Clans Ciuraru und Jitanu zu suchen. Zeitungsberichten zufolge seien die einen "Mafiosi", die mit Falschgeld handelten, die anderen als Drogen-Dealer bestens bekannt und beide angeblich verfeindet mit Nicolae Ciuraru. Der Vater des Unfallopfers bestritt jedoch öffentlich alle vermeintlichen Verstrickungen mit diesen Leuten aus der Bukarester Unterwelt. Erste Anhörungen bei der Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang führten denn auch zu keinem aufschlussreichen Ergebnis.

Aber auch alle übrigen Ermittlungen der rumänischen Behörden erwiesen sich bislang als Flop. Allen voran die erste Vermutung, wonach das Geschoss aus einem vorbeirollenden Wagen der Marke "Audi-A-4" in die Schülergruppe geworfen worden sei. Augenzeugen vor dem Lyzeum wollten auf dem Verkehrsschild des verdächtigen Audi die Eintragung B-30-CDR erkannt haben. Als Fahrzeugbesitzer erwies sich der Vater von Mariana Ciuraru. Den Ordnungshütern werden gravierende Mängel bei der Abriegelung und Spurensicherung von Schule und Krankenhaus nachgesagt.

Ein Phantombild eines Mannes mittleren Alters, der Augenzeugen Tage zuvor immer wieder vor der Schule aufgefallen war, erwies sich bald als irrelevant, weil die Gesichtszüge des vermeintlichen Täters zu allgemein gehalten war. So wusste man nach bald einer Woche erfolgloser Fahndungen lediglich, dass man in diesem Fall nichts wisse. Und die verhängte Nachrichtensperre erschwerte den Informationsfluss. Mit den Ermittlern rätselten daher auch die Medien rund um den Vorfall herum. Und beinahe wäre auch eine relative Ruhe eingetreten, hätten nicht zwei Schülerinnen des gleichen Monnet-Lyzeums offenbar mit einer Tränengas-Spraydose in der Woche danach gespielt. Eine Kollegein wurde dabei leicht verletzt und musste ärztlich betreut werde.

Die zweite Pressebombe platzte am gleichen Tag in der Bukarester Allgemeinschule Nr. 85, als ein Schüler der sechsten Klasse seine Mitschüler mit einer Handgranate bedrohte. Das Geschoss erwies sich zwar als Blindgänger, allein der Eleve und sein älterer Bruder, der die Handgranate nach Abschluss des Militärdienstes nach Hause gebracht haben soll, müssen sich nun vermutlich vor Gericht verantworten.

Das Bildungsministerium griff nun verantwortungsbewusst ein. Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen wurden bei den Schulen landesweit angeordnet und eine neue Gesetzesvorlage mit härteren Strafen für ähnliche Taten ins Auge gefasst. Eltern sollen fallweise mithaften. Und prompt gab es in dieser Institution am selben Tag einen telefonischen Bombenalarm. Das Gebäude des Ministeriums wurde zwar nicht geräumt, weil es sich dabei, wie vermutet und von Sicherheitskräfte nach zwei Stunden auch bestätigt, um einen falschen Bombenalarm handelte. Knapp vor Redaktionsschluss gab es zwei ähnliche Zwischenfälle: einen abermals in Bukarest, den anderen im Kreis Arges. Und schließlich mussten von der Polizei und Staatsanwaltschaft zwei als hauptverdächtig geltende Personen auf freien Fuß setzen - aus Mangel an Beweisen. Der Krimi also geht weiter.

Martin Ohnweiler

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