19. November 2002

Literaturpreis an Ana Blandiana.

Zum siebzehnten Mal fand diesen Sommer das nach der Tropfsteingrotte "Vilenica" benannte mitteleuropäische Schriftstellertreffen im italienisch-slowenischen Grenzgebiet statt. Mit der diesjährigen Trägerin des Vilenica-Literaturpreises traf man eine gute, ja vorzügliche Wahl: Die bekannte rumänische Schriftstellerin Ana Blandiana erhielt den mit 5 000 Euro dotierten Preis.
Die Preisträgerin wurde gewürdigt als „Geist mit der größtmöglichen inneren Freiheit, romantisch durch ihre Natur, offen für die Wunder des Lebens und der Welt“, die sich in einem literarischen Stil manifestiert, befreit von den literarischen Klischees und von hoher artistischer Kraft.

Ausgangspunkt und Nachtquartier ist ein Hotel auf dem Areal des weltberühmten Gestüts Lipica. Seit der Gründungsveranstaltung 1986 hat sich viel geändert. Die Idee Mitteleuropa, die den Eisernen Vorhang überwinden helfen sollte, ist heute Geschichte. Der Traum vom friedlichen Zusammenleben der Völker hat im ehemaligen Jugoslawien Schiffbruch erlitten. Einst waren die Tage von Vilenica Symbol der Hoffnung: Die politischen Grenzen wurden im Namen der Kultur nicht zur Kenntnis genommen. Autoren und Intellektuelle aus dem „Ostblock" konnten dank Nachbarschaftshilfe der lokalen Behörden zum Beispiel ohne Visum nach Triest und Duino fahren. Unzweifelhaft war es auch der Reiz des Exotischen, der Vilenicas Bedeutung ausmachte. Davon ist jetzt keine Rede mehr, denn längst genießen die Tschechen und Slowaken, die Ungarn, Rumänen, Polen und Litauer Reisefreiheit. Eine Sinn- und Identitätskrise hat "Vilenica" heimgesucht: die Katastrophe auf dem Balkan und die neue Normalität des Marktes, der weniger idealistische Gesetze kennt als die der Dissidenten von einst. Die Literatur hat leider an Bedeutung für das gesellschaftliche Leben verloren, sie ist nunmehr frei von staatlicher Repression und Zensur. Die Schriftsteller und Dissidenten, die vormals als Sprecher des unterdrückten Volkes auftraten, geraten inzwischen fast zwangsläufig in Opposition zum „Volk", das sich kaum mehr um Literatur schert. Daher haben die Dichter und Denker der jungen, großteils wackligen Demokratien fast dieselben Probleme: Sie müssen lernen, sich mit ihrer Statistenrolle, mit ihrer Randexistenz abzufinden.

Das Zeremoniell der Preisverleihung ist seit Jahren ähnlich. Zur Schlussfeier reisen stets der Präsident der Republik, Botschafter und diplomatische Vertreter an. Der rumänische Botschafter war jedoch nicht anwesend. Der Landesherr erhielt zur Begrüßung Schinken und Wein aus dem slowenischen Karst. In der so genannten Feengrotte trugen die Dichter aus ihren Werken vor. Weitere Preisträger von „Vilenica“ waren: Erica Pedretti, Peter Nadas, Esterhazy, Fulvio Tomizza, Adolf Muschg, Herbert Zbigniew, Peter Handke und Milan Kundera.

Katharina Kilzer

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