20. Dezember 2002

"Filzkunst. Ein Textilprojekt in Heltau"

Das Siebenbürgische Museum Gundelsheim zeigt in Zusammenarbeit mit der Textilkünstlerin Margret Riedl bis zum 31. Januar 2003 die Sonderausstellung "Filzkunst. Ein Textilprojekt in Heltau". Die Ausstellung wurde am 15. November feierlich eröffnet.
Logo der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2002
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Rund 70 kunstinteressierte Personen, darunter neben Vertretern der Stadt Gundelsheim mit Bürgermeister Oheim an der Spitze, hochrangige Vertreter siebenbürgisch-sächsischer Einrichtungen wie Irmgard Sedler, Vorsitzende des Museumsvereins, und Christa Andree, Vorsitzende der Kreisgruppe Heilbronn, hatten sich zur Vernissage eingefunden. Das, was ihnen Dr. Beate Wild und Margret Riedl in einführenden Worten nahe brachten, und was sie während des von der Stadt ausgerichteten Empfangs näher in Augenschein nahmen, konnten sie dem Titel der Ausstellung nicht unbedingt entnehmen.

Margret Riedl, Textilkünstlerin und Projektleiterin, bei der Ausstellungseröffnung. Foto: Hans-Werner Schuster
Margret Riedl, Textilkünstlerin und Projektleiterin, bei der Ausstellungseröffnung. Foto: Hans-Werner Schuster

Auslöser und primäres Anliegen, so führte Dr. Beate Wild, die für die Ausstellung verantwortliche wissenschaftliche Mitarbeiterin des Museums in ihrer Einführung aus, ist das Projekt, das Margret Riedl im Februar 2002 initiierte. Mit der Ausstellung selbst wolle das Museum, das den musealen Blick zunehmend in die Gegenwart und Zukunft richtet, das Projekt unterstützen, mit dem ein kreativer Weg aus der Arbeitslosigkeit beschritten wird und das an die Textiltradition Heltaus anknüpft, wenn auch mit einer weniger geläufigen Technik. Dieses Heltauer Filzprojekt sei in einen mehrfachen Rahmen eingebettet: Zum einen werden die biografischen Fäden aufgenommen, die Margret Riedl mit der siebenbürgischen Stadt verbinden. Denn Ihr Großvater Fritz Bilstein, Textilingenieur aus Wuppertal, war in den 1920er Jahren Mitbegründer der Seidenfabrik Groco in Heltau. Zum anderen wird Heltau als Textilstadt vorgestellt. Und nicht zuletzt sind die in Heltau gefertigten Filzobjekte mit der klaren Handschrift Margret Riedls nur im Gesamtkontext ihres eigenen künstlerischen Schaffens nachvollziehbar.

Kunst- und Sozialprojekt

Der traditionellen Weberstadt Heltau wurde nach der Wende 1990 die wirtschaftliche Monokultur zum Verhängnis: Die meisten textilverarbeitenden Betriebe wurden geschlossen. Zeitweise stieg die Arbeitslosenquote auf über 80 Prozent. Besonders hart waren die Frauen betroffen, die sich in der von Pfarrer Stefan Cosoroaba initiierten Selbsthilfegruppe arbeitsloser Frauen unter der Schirmherrschaft der evangelischen Kirche zusammenschlossen. Vier dieser arbeitslosen Frauen filzten seit Februar 2002 unter der Anleitung der Textilkünstlerin Margret Riedl aus Lohmar mit den Händen und nur mit Wolle, Wasser und Seife. Riedl stellte das Material und entlohnte die Frauen. Zwei der Frauen haben inzwischen eine Anstellung in der Heltauer Seidenfabrik gefunden. Die beiden anderen Frauen werden seit August vom „Sebastian-Hann-Laden“, der 2001 mit Hilfe der „Edith-Haberland-Wagner-Stiftung“ eingerichtet wurde, über eine feste Stelle finanziert. Damit ist das doppelte Ziel erreicht: die Schaffung von Arbeitsplätzen, noch dazu mittels einer der ältesten, aber dennoch innovativen Textiltechniken.

Margret Riedl wird das Heltauer Projekt auch weiterhin betreuen. Immerhin hat sie mit dem „Import“ einer bislang unbekannten Technik, angewandt auf marktorientierte Produkte – Filzschuhe, Taschen und Wandteppiche –, nicht nur die herkömmliche textile Produktpalette in Heltau aufgelockert. Die Begeisterung der filzenden Frauen, ihr wieder gestärktes Selbstbewusstsein und vor allem die Verbesserung ihrer finanziellen Situation sind Folge eines ebenso vielseitigen wie nachhaltigen „Eingriffs“ in eine teilweise aussichtslos verfahrene Situation. Ein Eingriff, der als Hilfe zur Selbsthilfe auch andernorts Schule gemacht hat: Etwa gleichzeitig eröffnete eine Keramikwerkstatt in Michelsberg und eine Strohflechterei ist in Planung.

Textilstadt Heltau

In einem dokumentarischen Rahmen der Ausstellung wird die Entwicklung von Heltau zur Textilstadt dargestellt und mit historischen Fotos veranschaulicht. Der über längere Zeit hinweg größte Ort des Hermannstädter Stuhls entwickelte sich seit dem 17. Jahrhundert zur größten Textilstadt Siebenbürgens: 1634 zählte die Wollweberzunft 216 Meister und produziert 8320 Stück Tuch, 1850 waren es schon 50.000 Stück Tuch, und nach einer Phase des Auf und Ab hatten im Jahre 1935 14 Wolltuchfabriken, 13 Spinnereien, 2 Halbkammgarn-Spinnereien, 3 Teppichfabriken, 1 Seidenweberei, 1 Baumwoll-Spinnerei und 1 Wattelin-Fabrik zusammen 700 Beschäftigte (bei 4.727 Einwohnern 1939). Die forcierte Industrialisierung des kommunistischen Regimes ließ die Einwohnerzahl bis 1989 auf 23.000 – davon 2.800 Siebenbürger Sachsen – steigen, um im darauf folgenden wirtschaftlichen Niedergang, den nur drei größere Textilbetriebe überlebten, auf 15.000 (400 Sachsen) zurückzugehen.

Näher beleuchtet wird die Band- und Seidenweberei Groco, Groman & Comp. A.G., die 1926 vom Heltauer Michael Groman zusammen mit Fritz Bilstein und Franz Raucamp, beide aus Wuppertal-Ronsdorf, gegründet wurde; die erste ihrer Art in ganz Rumänien. Sie entwickelte sich prächtig: aus vier Seidenwebstühlen, mit denen in einer Heltauer Scheune – heute wäre es eine Garage gewesen – Naturseidenbänder für Herrenhüte hergestellt wurden, wurden bis 1944 über 100 Breit- und 14 Seidenbandwebstühle, an denen ca. 400 Beschäftigte in drei Schichten täglich über 5.000 qm Stoff erzeugten. Nach der Nationalisierung 1948 beschäftigte die nun Matasa Rosie genannte Fabrik an 224 Breitwebstühle bis zu 1.200 Arbeiter, ihre 1992 reprivatisierte Nachfolgerin Matasa Româna aber nur noch 200.

Margret Riedls Filzkunst

Die Verbindung zu dem nächsten großen Rahmen der Ausstellung wird über den Textilingenieur und Seidenfabrikanten Fritz Bielstein geknüpft. Liselotte Bielstein, die Tochter des Gesellschafters und Betriebsleiters der Groco, wurde 1945 nach Enakievo deportiert, wo sie den Österreicher Klemens Riedl heiratete und am 18. Februar 1949 die Tochter Margret zur Welt brachte. Diese wuchs in Köln auf, studierte 1971-1974 Sozialpädagogik und besuchte seit 1975 Qualifizierungskurse im kreativen Bereich mit dem Schwerpunkt Textilkunst. Die Ausstellung zu Heltau im Rumänien-Pavillion der EXPO 2000 weckte ihre Neugier und sie fuhr im selben Jahr auf den Spuren des Großvaters nach Heltau. Nach weiteren Fahrten und auf der Basis ihrer seit 1996 an internationalen Textilsymposien in Georgien und in der Ukraine gemachten Erfahrungen – 2000 leitet sie einen Meisterklasse Workshop Filzen – begann sie im Februar 2002 das Filzprojekt in Heltau.

<i>Zäune</i>, 2002 in Heltau entstandener Wandbehang aus Filz. Foto: Hans-Werner Schuster
Zäune, 2002 in Heltau entstandener Wandbehang aus Filz. Foto: Hans-Werner Schuster

Dort entstehen Filzpantoffeln und -taschen aber auch Wandbehänge mit künstlerischem Anspruch. Laut eigenem Bekunden erlebt Riedl „Filzen als ganzheitlichen Prozess, der Körper, Seele und Geist gleichermaßen fordert. Die körperliche Anstrengung, besonders bei großen Flächen hebt sich auf durch das haptische Vergnügen und die Spannung der permanenten Entscheidungen. Filzen fordert und fördert drei mir sehr wichtige Fähigkeiten: Entscheidungsfreude, Disziplin und Sinnlichkeit.“ Denn sie entwickelt ihre Kunstwerke ohne Entwurf, lässt sich von der jeweiligen Befindlichkeit leiten, bis der Zufall sich zur Idee verwandelt, die in das Chaos von -zig Millionen Wollfasern jene Ordnung bringt, die technisch machbar ist, wobei es im anstrengenden Arbeitsprozess kein Zurück gibt, keine Möglichkeit der Korrektur.

Die 18 ausgestellten Wandteppiche, jeweils etwa quadratmetergroß, sind der Blickfang der Ausstellung, die deswegen den Titel „Filzkunst“ zurecht trägt: „Malerei mit Stoffen“ heißt es in der Heilbronner Stimme. Sie sind sowohl stilistisch wie auch technisch (mit oder ohne Vorfilz) nicht einheitlich, sind mal figurativ, mal rein geometrisch, und entfalten auch unterschiedliche Wirkung auf den Besucher. Ob sie nun aber leuchtend strahlen oder maßvoll und verhalten in sich ruhen – alle sind sie Kunstwerke, die sich als Alternative zum herkömmlichen Gemälde anbieten, die außerdem dank der Wärme und Weichheit des Materials zur Wohnlichkeit eines jeden Raumes beitragen. Ab einem Preis von 60 Euro sind diese Wandteppiche aber auch Filzpantoffeln sowohl in Heltau im Sebastian-Hann-Laden als auch im Gundelsheimer Museum erhältlich, und mit dem Erlös wird der Fortbestand des Frauenprojekts mit den entsprechenden Arbeitsplätzen in Heltau gesichert.

Interessierte können sich ihr Filz-Kunstwerk allerdings auch selber herstellen: am 1. Februar beim Filzkurs mit Margret Riedl. Informationen dazu unter Telefon: 06269/4223-12.

Die Ausstellung in der Heilbronner Straße 13 kann man besichtigen montags-freitags, 11.00-17.00 Uhr, samstags 13.00-16.00 Uhr, mit Ausnahme der Feiertage: 24.-26. und 31. Dezember, 1. und 6. Januar 2003.

H-W


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2002, Seite 6)

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