23. Dezember 2002

Handeln in freier Selbstverantwortung

Der Aktionsradius der jungen Frau - Sozialpädagogin, Behindertenbeauftragte und Kreisrätin, freiberufliche Regisseurin und Redakteurin - sprengt jeden üblichen Rahmen. Seit zehn Jahren sitzt Anita Knochner im Rollstuhl als Folge einer Querschnittslähmung. Im nachfolgenden Gespräch schildert die in Großkarolinenfeld bei Rosenheim wohnhafte Nichte des bekannten Siebenbürger Historikers Prof. Dr. Thomas Nägler ihre außergewöhnliche Karriere. Das Interview führte Christian Schoger.
Seit Mitte Juli diesen Jahres verbinden die Landkreise Temesch und Rosenheim rund 1 000 Kilometer und ein offizielles Partnerschaftsabkommen. Es fehlt am Notwendigsten, hatte im Vorjahr eine Delegation aus dem oberbayerischen Rosenheim in Temeschburg festgestellt und dabei verblüfft registriert, dass die Behindertenbeauftragte des Landkreises Rosenheim, die ein akzentfreies Hochdeutsch spricht, sich mit den Gastgebern in der Landessprache unterhielt. Was jetzt erst bekannt wurde: Diplom-Sozialpädagogin Anita Knochner ist am 28. Februar 1969 in Neppendorf geboren.

Frau Knochner, Sie kommen soeben aus Innsbruck von Recherchen zu einem Dokumentarfilm, Sie sind politisch aktiv und arbeiten gleichzeitig als Sozialpädagogin. Verraten Sie uns, wie Sie das alles schaffen.

An drei Wochentagen bin ich in Teilzeit als Sozialpädagogin im Katharinenheim in Bad Endorf tätig. An den übrigen vier Tagen arbeitete ich als Dokumentarfilmerin, recherchiere, schreibe Drehpläne, organisiere Requisiten etc. Abends übe ich meine politischen Ämter aus.

 Medienprofi Anita Knochner, Kreisrätin und Behindertenbeauftragte des Landkreises Rosenheim, beim Moderieren eines Galaabends in der Rosenheimer Stadthalle.
Medienprofi Anita Knochner, Kreisrätin und Behindertenbeauftragte des Landkreises Rosenheim, beim Moderieren eines Galaabends in der Rosenheimer Stadthalle.

Wie viel Mobilität gestattet Ihnen Ihr Rollstuhl? Wann und wie trat Ihre Körperbehinderung ein?

Bald nachdem meine Familie nach Deutschland ausgesiedelt war (ich war damals 15 Jahre alt und besuchte das Brukenthallyzeum), stellten sich Lähmungserscheinungen in meinen Beinen ein, die immer gravierender wurden. Wie sich herausstellte, hatte sich ein Tumor in meinem Rückenmark gebildet, der herausoperiert werden musste. Als Folge dieses Eingriffs bin ich querschnittsgelähmt, sitze seit zehn Jahren im Rollstuhl. Davon abgesehen bin ich äußerst mobil, fahre einen geräumigen Van, ob zu Ortsterminen, Sitzungen oder zu Recherchen nach Österreich oder Italien. In Rumänien drehte ich zwei Filme und ich bin vor zwei Jahren selbst nach Südafrika gereist.

Ihre Karriere hätte in Siebenbürgen, respektive in Neppendorf, Ihrem Geburtsort, wohl kaum diesen Verlauf genommen. Welche Perspektiven hatten Sie als Schülerin vor Augen?

Ich danke Gott jeden Tag, dass mich meine Eltern aus Rumänien nach Deutschland gebracht haben, wo ich übrigens auch während meiner Ausbildungszeit nie diskriminiert worden bin. Als Schülerin wollte ich ursprünglich das Brukenthallyzeum in Hermannstadt abschließen, auf das "Päda" (Pädagogisches Lyzeum) gehen und Grundschullehrerin werden.

Inwieweit fußt Ihr soziales, ehrenamtliches Engagement heute auf der im Elternhaus in Siebenbürgen genossenen Erziehung? Welche Werte vermittelten Ihnen Ihre Eltern.

Meine Eltern, der Vater Landler, die Mutter Sächsin, haben mich und meine Schwester Uschi zur Selbstständigkeit erzogen. Mein Vater, von Beruf Maurer, betonte stets, wir sollten einmal unser Geld nicht so schwer verdienen wie er. In unserer Familie wurde beim Mittag- bzw. Abendessen viel diskutiert. Wir durften, ja, sollten unsere Ansichten äußern und vertreten. Ehrlichkeit, selbstständiges, selbstverantwortliches Denken und Handeln ging meinen Eltern über alles. Unsere religiöse Erziehung war frei von Zwang, liberal. Da unsere Eltern diese Werte vorlebten, lernten wir am "Modell". Das prägt mich bis auf den heutigen Tag.

Nach Mittlerer Reife und Fachabitur erwarben Sie in Heidelberg 1997 das Diplom als Sozialpädagogin. Anschließend nahmen Sie Ihre Tätigkeit im Alten- und Pflegeheim in Bad Endorf auf.

Im Katharinenheim ist meine Verantwortlichkeit auf der Leitungsebene angesiedelt im Bereich des Qualitäts-, des Personal- und Konfliktmanagements.

Das bedeutet konkret?

Zu meinem Aufgabenfeldern gehört die Öffentlichkeitsarbeit ebenso wie Personalberatung und -fortbildung, ich entwickle Konzepte und Stellenbeschreibungen.

1997 muss für Sie ein Schlüsseljahr gewesen sein. Sie schlossen Ihr Studium ab und kamen zum Film. So ohne weiteres?

Öffentlichkeitsarbeit war Teil meines Studiums. Als ich dann beim "Rosenheimer Regional Fernsehen" ein Volontariat machte, alle wesentlichen Stationen durchlief vom Drehplan über die Nachrichtenredaktion bis hin zur Live-Moderation, da reizte es mich, ein Thema einmal auszuloten, kontinuierlich daran zu arbeiten, in die Tiefe zu gehen, wie es beim Dokumentarfilm möglich ist. Vor zwei Jahren bewarb ich mich mit Erfolg um ein Praktikum bei ABM (Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien), einer Münchner Produktionsfirma. Gleich mein erstes Exposé zu einem Film wurde angenommen.

Apropos Erfolg. Ihre jeweils 30-minütigen Dokumentarfilme wurden und werden von den Sendern 3sat, Kabel 1 und DSF ausgestrahlt. Nach "'Meine Mama weint zu Hause' - Kinderschicksale in Rumänien" (1. Dezember, auf Kabel 1) ist demnächst Ihr Film "Doru Munteanu schwimmt sich frei. Ein rumänischer Sportler auf dem Weg zu den Paralympics" (5. Februar 2003, 15.45 Uhr, 3sat) zu sehen. Wie wirkte sich Ihre Behinderung beim Drehen vor Ort aus? Die Protagonisten Ihrer Filme sind körperlich oder geistig behinderte Menschen.

Schneller als nicht-behinderten Kollegen gelingt es mir, eine Vertrauensbasis zu Menschen mit Behinderung aufzubauen, sie auf Probleme, wie sie mir selbst bekannt sind, anzusprechen. Im Idealfall vergessen sie, dass die Kamera läuft. Speziell in Rumänien, im Kinderheim in Bratca (etwa auf halber Strecke zwischen Großwardein und Klausenburg) kamen uns zudem meine Rumänisch-Kenntnisse zugute.

Sie sagen "uns". Ihr Kamerateam?

Genau. Ich arbeitete eng zusammen mit dem Kameramann Jochen Hägle, den ich schon seit sechs Jahren kenne. Zum Team gehören ferner ein Cutter, ein Tontechniker sowie ein Kameraassistent.

Im Herbst diesen Jahres wurden Sie - als Parteilose auf der CSU-Liste - zur Kreisrätin gewählt. Zudem fungieren Sie seit 1999 als Behindertenbeauftragte des Landkreises Rosenheim. Was bewog Sie zu diesem politischen Engagement?

Als Betroffene will ich die Öffentlichkeit auf die Belange behinderter Menschen aufmerksam machen und zugleich Einfluss nehmen auf politische Prozesse.

An welchen Stellen üben Sie konkreten Einfluss?

U.a. wirke ich in der von der Behindertenbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Ina Stein, initiierten Arbeitsgruppe zum Gleichstellungsgesetz für behinderte Menschen mit. Darüber hinaus erarbeite ich gegenwärtig ein Konzept für den Landkreis Rosenheim, das 2003 im Rahmen des "Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderung" realisiert werden soll. Geplant sind eine Reihe von Veranstaltungen, Diskussionen und Benefizkonzerte.

Am 1. Juli 2001 trat das neue Sozialgesetzbuch IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen in Kraft. Hat es sich nach Ihrer Einschätzung bewährt?

Positiv ist sicherlich, dass seither behinderte Menschen nicht mehr von Amt zu Amt laufen müssen, sei es Arbeitsamt, Sozialamt oder Wohngeldstelle, sondern dass nun eine einzige Servicestelle die Sachgebiete koordiniert. Allerdings wurde dieses Gesetz installiert ohne die Zuständigkeiten zu klären: Wer muss diese Servicestellen einrichten? Offen bleibt ferner das Datum der Umsetzung und wer diese Einrichtungen zu finanzieren hat.

Wie verbringen Sie Weihnachten?

Im Kreis meiner Familie, besser Großfamilie, mit der Oma. Und traditionell siebenbürgisch. Wir gehen gemeinsam in die Kirche, bescheren uns am Tannenbaum, essen geräucherte Wurst in Krautsuppe.

Frau Knochner, ich danke Ihnen für das Gespräch.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2002, Seite 14)

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