24. Dezember 2002

Eine kurze Weihnachtsgeschichte

In den ersten Maitagen des Jahres 1952 wurden 2000 Burzenländer Sachsen zwangsevakuiert. Am Samstagvormittag, dem 3. Mai, ereilte auch die Familie Zoltner die Mitteilung, dass sie binnen dreier Tage ihre Wohnung in Kronstadt zu räumen habe. Bestimmungsort: Elisabethstadt. Die Erzählung von Meta Zoltner nimmt Bezug auf diese zeithistorischen Ereignisse, die sich nunmehr zum 50. Mal jähren.
Es war im Jahr 1953, als wir schon bald eineinhalb Jahre in Elisabethstadt als Evakuierte lebten. Mein Mann musste Schwerarbeit verrichten, erst Beton gießen, dann Waggons mit Zement, Sand oder Kalk am Bahnhof in Schäßburg ausladen, was ihm oft Nasenbluten verursachte. Gegen Weihnachten fiel jede Arbeit aus, weil es zu kalt war, bis auf das Waggonausladen, was auch jetzt noch in eingeschränktem Maße geschah. Wovon wir und alle anderen Evakuierten leben sollten, interessierte den Staat nicht.

Das Weihnachtsfest stand bevor. Jedes Familienmitglied versuchte, jeden mit einer Kleinigkeit zu überraschen. Den Tannenbaum besorgten wir unter den größten Gefahren, erwischt zu werden, in der Abenddämmerung aus dem abgelegenen Wald, hinter der Schweinemästerei. In Gestalt einer Kiefernspitze, sollte das Nadelgewächs unser Zimmer in weihnachtliche Stimmung tauchen. Heilig Abend. Die Weihnachtsfeier sollte um 18 Uhr in der kleinen evangelischen Kirche beginnen. Wenn wir noch einen Sitzplatz haben wollten, mussten wir uns beeilen. Wir bürsteten unsere Kleider und Schuhe gründlicher als an den Wochentagen und machten uns auf den Weg. Trotz Kummer und Sorgen, wie es mit uns weitergehen sollte, froh und heiter, denn unsere Familie war vereint. Die jüngeren Kinder hakten sich bei Vater, Mutter und der ältesten Tochter ein.

Die Kirche war gerammelt voll. Meine Tochter Christa, mein Mann und ich sangen im Kirchenchor und wir bekamen unsere Plätze zugewiesen. Gerhild und Ewald machten im Krippenspiel mit, das Prof. Liesel Cosper, Lehrerin aus Kronstadt, mit den evakuierten Schulkindern eingeübt hatte. Orgelspiel leitete den Gottesdienstes ein. Ein großer Teil der evangelischen Schulmädchen schritt paarweise, als Engel verkleidet, durch den Mittelgang sowie links und rechts außen an den Kirchenbänken entlang, brennende Kerzen in beiden Händen vor sich tragend, bis vor den Altar, wo sie im Halbkreis Stellung nahmen. Die Kirche war dunkel, nur vom Lichterbaum erhellt.

Der Chor sang das Lied von Rudolf Lassel "Was tönt so wunderbarer Klang". Gemeinsam mit der Gemeinde wurden dann unsere alten, schönen Weihnachtslieder, wie "Stille Nacht", gesungen. Pfarrer Hofgräf hielt eine zu Herzen gehende Rede, die zugleich die Hoffnung auf eine bessere Zeit weckte. Abschließend wurde das Lied "O du fröhliche" von der ganzen Gemeinde im Stehen gesungen. So tief und schön empfunden wie damals habe ich das Weihnachtsfest selten in meinem Leben. Es mag wohl nicht nur mir so ergangen sein, der Stille während des gesamten Gottesdienstes nach zu schließen. Vor der Kirche wünschte man sich - so wie es auch bei uns in Kronstadt vor der Schwarzen Kirche üblich war - ein frohes Fest, tauschte die letzten politischen Nachrichten aus, die man heimlich im Rundfunk hörte oder von seinen Verwandten aus der Heimat verschlüsselt erfuhr.

Dies alles dauerte unseren Kindern zu lange: Sie waren gefroren und liefen nach Hause. Sie wollten uns mit einer warmen Küche überraschen und machten in dem sonst ungeheizten, großen, gekachelten Sparherd Feuer, in der Sommerküche, wo wir mit meinem Mann auf dem Backofen schliefen. Außerdem deckten sie den Tisch in der Winterküche, die wir als Zimmer nett eingerichtet hatten.

Wir kamen nun mit meinem Mann nach, öffneten das große Gassentor, als uns ein penetranter Geruch entgegenschlug. Wir eilten mit gemischten Gefühlen zu unserer Behausung und rochen und sahen, was da passiert war. Mein Mann hatte seine nassen Arbeitsschuhe (Bakantsch) auf zwei Holzstäbchen zum Trocknen gegeben. Diese waren verkohlt und auch die Schuhe bis auf die Durchaussohle verbrannt. Es war nicht der Verlust der Schuhe allein, der uns alle zur Verzweiflung brachte. Es waren orthopädische Schuhe, die in Wien gefertigt wurden und infolge der Kriegswirren nun nicht mehr geliefert werden konnten. Alle waren untröstlich. Meine Kinder und ich weinten, mein Mann war traurig - von Weihnachtsfreude konnte keine Rede mehr sein. Das (heute besser gekochte) Essen mundete niemandem mehr. Die Kinder konnten wir auch nicht bestrafen, sie hatten es mit uns Eltern besonders gut gemeint, uns diesmal ein warmes Bett anzubieten. Unser "Himmelbett", in das wir sonst mit der Leiter steigen mussten und das kalt war, musste nun noch einmal gründlich durchgelüftet werden. Ein mitfühlender Elisabethstädter Schuster erbarmte sich meines Mannes und reparierte die Schuhe mehr schlecht als recht; eine Qual für meinen Mann, in diesen weiter zu arbeiten.

Meta Zoltner, Lechbruck


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2002, Seite 13)

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