27. Dezember 2002

"Tschuka-Maruka, und aus ist das Lied"

Christian Maurer, mehrere Jahrzehnte Schauspieler und Intendant der deutschen Bühne in Hermannstadt, Lyriker, Erzähler und Dramatiker, bringt sich mit seinem kürzlich erschienen Band Schöpf Sieb um Sieb vom Regen. Gedichte eines Siebenbürgers als Autor wieder in Erinnerung.
Nach der frühen Talentprobe "Die Hände" (1964) und der Gedichtsammlung "Bussardland und Nebenher" (1975), die ihn als rumäniendeutschen Lyriker mit durchaus eigener Stimme bestätigten, war von dem formgewandten sprachspielerischen Dichter - welcher Umstand hatte ihm wohl zeitweilig die Sprache verschlagen? - kaum noch eine Wortmeldung erfolgt. Gelegentlich konnte man in Zeitschriften etwas Neues von ihm zu lesen.

Was er nun vorlegt, ist auch nur bedingt eine Sammlung dessen, was in der zurückliegenden Zeit von mehr als 25 Jahren entstanden war. Einer dem Buch nachgestellten biographischen Notiz entnehmen wir, dass alle Gedichte der Sammlung, bis auf fünf, in Deutschland entstanden sind. Hierher war der 1939 geborene Sohn eines Siebenbürger Sachsen (k.u.k. Offizier) und einer Kleinschenker Bauerntochter 1990 "im Sog der Abwanderung der Siebenbürger Sachsen" mit Frau und Tochter ausgesiedelt, im Gepäck "mobila de sas", also "fröstelnd wieder kha-und-kha: Kiste und Karton", wie vom Dichter mit bitterer Ironie der Vorgang beschrieben wird, dieser "Hokuspokus-bums-tralla / Bonnesdorf grüßt Bonn" (Auswandern).

Im Spannungsfeld zwischen hier und dort, Momente und Situationen von dort und hier einfangend, so entstanden zum Großteil Maurers Gedichte eines Siebenbürger Sachsen, wie der Band im Untertitel benannt ist. Gegenüberstellungen, die er in einzelnen Texten vornimmt, fehlt es nicht an Deutlichkeit. Einer, der enttäuscht ist und sich hier fremd fühlt, wird zum überwachen Beobachter vom Rande her. Mithin identifiziert er sich mit den Opfern einer als rücksichtslos empfundenen Erwerbsgesellschaft sozialer Kälte ("Hier huren Zins und Mark"), so etwa in dem Bild eines auf dem Highway von "Lack und Blech" überfahrenen Igels: "... vorbei... / Ein Klümpchen stumpfer Stacheln / knäult unter starrem Pneu." Dieser Situation wird die des lyrischen Subjekts gegenübergestellt: "Du irrst durch Bimbes-Zonen, / vorbei an Macht und Nerz / ... Und all die bittre Fremde / spült dich den Kloaken zu. / Was knäult da unterm Hemde? / ... Herz, roter Igel du." (Igel-Story) - Durch das Bild des Igels, der, schon in Bussardland anzutreffen (Frage in den Schnee), zum Symbol für gefährdete Existenz wird, wird bei Maurer auch an die Welt der zurückgelassenen Heimat erinnert, die Geborgenheit bedeutet (hatte). Nahezu feindlich stehen zwei Welten einander gegenüber, wenn es in einem weiteren Text zum Schluss heißt: "Hier führt die Autobahn / (idiotensicher ausgeschildert) / durch grellen Smog / und fette Staus. / Dort führte jeder Feldweg / schlicht nach Haus." (Im Gegen-Über) Origineller ist die Bilderfolge Deutsche Graffiti, ins Stundenbuch gesprayt der Höllgasse zu Passau, die städtische Eindrücke aus 24 Stunden in eben so vielen vignettenartigen Vierzeilern von frühmorgens bis wieder frühmorgens sprachlich nuanciert festhalten, bis um 2 Uhr: "Sterne, Dorn an Dorn, / reifen dem Erlöser. / Da: das Martinshorn! / Traumschrittmacher, böser."

Maurer, der in dem Gedichtband den Exodus der Siebenbürger Sachsen thematisiert und sich biographisch im "Sog" dieser Auswanderung sieht, lässt in manchen der Texte auch etwas über die Beweggründe verlauten, die dazu führten. Einmal annonciert er sarkastisch (in graphisch sinnfällig gebrochenen Zeilen): "Siebenbürger Sachs / aus-/ laufmodell / EZ 1141 / tüv bis Stalin-/grad / donbass-/ kühlung / securitate-/ schockheftgepflegt / total-/ schaden/ aus- / schlachten / noch / möglich" (aus der motor-ecke).

Er war früh schon ein Dichter, der auch die beunruhigende Stimmungslage einfing, die das Weggehen vieler, noch vor dem entscheidenden politischen Dezember 1989, bei den Daheimgebliebenen hervorrief. Im 1975 erschienenen Bukarester Band Bussardland und Nebenher steht dafür das gefühlsintensive Gedicht Heimweh nach euch verwirrt mir Zeit und Ort. Es ist übrigens der einzige Text, den er auch in das neue Buch übernommen hat: "Heimweh nach euch verwirrt mir Zeit und Ort, / wir sind beisammen, und ich bin schon fort. / Noch wünschen wir uns zögernd schlafe gut, / und wissen nicht, in welchen Hauses Hut, / und tragen Krüge her und hin und her, / und tragen Urnen, mohn- und tulpenschwer, / und setzen Kerzen in den Kürbis ein, / und warten auf den Allerseelenschein. / Ein Brunnenfinger zeigt den Abend an. / O Mutter, dass ich dir nicht lächeln kann ..."

In Bussardland ... ist Siebenbürgen mit Mensch, Landschaft und Überlieferung der thematische Schwerpunkt des Bandes. Der Großteil der neuen Gedichte knüpft hier an, mit zwangsläufig gewandelter Sicht freilich, denn inzwischen war die Lebenswirklichkeit, der der Lyriker begegnet, eine grunderschütternd andere geworden. Nicht nur das Bild der näheren Umwelt erscheint beschädigt und gespenstisch verzerrt. Wie hier die Zeit floss, verändert auch den Blick auf die Gestirne. Über der Erde krümmt ein Mond sich, "brandbenagte Ähre", und am Saum des Himmels erscheinen Geisterkühe, "murschig von Engeln gemolken". Eine frühlinghafte Helle schimmerte noch in Zeilen wie: "Alzen winkt aus Sonnenscheiben / über Aufbruch, über Bleiben ..." (Alzen zur Schmelze, in: Bussardland ...). Nun aber lässt sich die bedrohliche Dämmerung eines wie rettungslosen Untergangs herab: "Himmel, mit Sternen gesalzen, / fröstelt in zottigem Pelz. / Schüttelt er Mondhörner, fällt's / aschig und aasig auf Alzen. / Ach, und die Flurwächter schnarchen / selig auf faulendem Raps, / träumen von Sintflut und Schnaps, / voll wie gesunkene Archen." (Um sterbende Höfe) Was zu Zeiten "siebenbürgisch weiß" war (Bussardland ...: Im Giebeldreieck), tritt allmählich zurück, "näher aber und blauer blüht das rumänische Haus" (Wer). (Mit den Nuancen der Dominanz von Blau wurde auch der Umschlag des Buches gestaltet.)

Zur Deutung der gegebenen historischen Situation greift Maurer immer wieder auf Zeugnisse tradierten siebenbürgisch-sächsischen Lebens und Wirkens zurück. Charakteristische Ortsnamen und dialektale Rede, emotional eingefärbte Belege eigentümlicher Existenz, rettet er, dem nur "Staub und Wort" blieb, in die transsylvanische Wort-Arche seiner Dichtung. Ebenso werden Lieder, Sprüche, Sagen und Märchen in neuen Zusammenhängen neu gedeutet, der "Ewigkeitsschauer" der "Siebenbürgischen Elegie" mit dem Frösteln der Gegenwart konfrontiert und gescheiterte geschichtliche Entwürfe in "siebenbürgischer Trauer" beklagt in einem neuen Waisen-Liedchen mit dem wehmütigen Refrain "Tschuka-Maruka, und aus ist das Lied", oder, abgewandelt, mit der charakteristischen inneren Spannung in den sieben Lügenmären, für die ein burlesker Ritt auf dem reifen Kürbis nach Hameln erdichtet wird (Die Erste Mär), aber auch die Phantasmagorie einer Rückkehr in das "Land von Blass und Bloß", wo dann alles wieder ist, "wie's einmal war ...": "Und über das Kirchendach / braust ein Getier: / die Büffelherde / der Büffelstier!" (Die Dritte Mär) Fazit des Illusionslosen mit dem siebenbürgischen "Regen-Sieb": "Die Purligaren blinzeln scheu / ins Lügenbrückenfreie, / und sieben die Legendenspreu / und bürgen für die Kleie." (Die Siebte Mär)

Mit den nachhaltigsten der Gedichte eines Siebenbürgers, den es nach Deutschland verschlug, leistet Maurer, Verluste einsammelnd und bedenkend, sprachkünstlerisch wie auch emotional oft beeindruckende, schmerzlich berührende, aber auch befreiend wirkende Erinnerungs- und Trauerarbeit für "die alte/ verschüttete heimat." (die fünfte himmelsrichtung oder kompass vor hermannstadt)

Eduard Schneider


Christian Maurer: Schöpf Sieb um Sieb vom Regen. Gedichte eines Siebenbürgers. Typografie und Gestaltung von Armin Maurer. Passau 2002. Druck und Herstellung Honterus-Druckerei, Hermannstadt. 159 Seiten, ISBN 3-00-010019-9. Zu bestellen zum Preis von 13,80 Euro, zuzüglich 1,20 Euro Versandkosten, bei Christian Maurer, Bachstraße 5, D-94130 Obernzell, Telefon (00 49) 85 91 - 16 97, oder über die E-Mail-Adresse: nfkerber@aol.com.

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