2. April 2003

Charme und Schönheit des Balkans

Rezension des Erzählbandes von Oscar Walter Cisek: „Das entfallene Gesicht. Erzählungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Peter Motzan“, Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, München 2002, 18,00 Euro, ISBN 3-88356-166-5.
Oscar Walter Cisek (1897-1966), Spross einer deutsch-böhmischen Kaufmannsfamilie, die in Bukarest ansässig war, schrieb Gedichte, Erzählungen, Romane und Essays und war neben seinem Dienst im rumänischen Außenministerium unter anderem als Kunstkritiker, Redner und Übersetzer tätig. Fünf seiner Erzählungen hat Peter Motzan, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e. V. (IKGS), jetzt im Band „Das entfallene Gesicht“ zusammengestellt und herausgebracht.

Ciseks Erzählungen handeln von Liebe und gesellschaftlichen Grenzen, von Wandlung und Aufbruch vor einer detailgetreu und virtuos in Sprache gefassten landschaftlichen Kulisse. Sie lassen zwar den Einfluss eines spezifischen Lokalkolorits vermissen, vermitteln aber dennoch den Charme und die Schönheit des gesamten Balkanraumes. In dieser, von Cisek mit Liebe zum Detail ausgestalteten Landschaft, macht sich Einsamkeit breit. Seine Protagonisten suchen sie entweder selbst, wie in der Erzählung „Die Entlastung“, oder werden ohne eigenes Verschulden aus ihrem familiären Gefüge herausgerissen und müssen plötzlich mit dem Gefühl des Alleinseins zurechtkommen. Auch in der titelgebenden Erzählung „Das entfallene Gesicht“ ist Einsamkeit ein zentrales Motiv. Borum Humarian, ein Ladenbesitzer, der eine Frau und einen halbwüchsigen Sohn hat, verliebt sich in die 15-jährige Dienstmagd Anica und verfällt ihr mehr und mehr, obwohl sie ihn von Anfang an zurückweist. So verliert er den Bezug zu seiner alltäglichen, normalen Welt und verstrickt sich immer mehr in seine geheimen Träume, bis er am Ende nur noch ein Schatten seines früheren Selbst ist.

Der Autor spielt mit Gefühlen, die keinem Menschen fremd sind: Hunger, Liebe, Angst, Einsamkeit. So kann sich der Leser mit den Figuren identifizieren, bleibt aber durch Ciseks immer wieder gezielt eingesetzte, sprachlich ausgefeilte Landschaftsbeschreibungen dennoch auf Distanz zum Geschehen. Anklänge an Hemingway und Thomas Mann lassen sich finden, Letzterer, mit dem Cisek in Briefkontakt stand, lobte die Stilsicherheit in seinen Werken.

Oscar Walter Cisek ist ein in Deutschland weitgehend unbeachteter Autor. Der Erzählungsband „Das entfallene Gesicht“ soll dazu beigetragen, diese Lücke zu schließen und einen vielseitigen Menschen und Schriftsteller einem breiteren Publikum näher zu bringen.

Doris Roth


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 5 vom 31. März 2003, Seite 6)

Das entfallene Gesicht. Erzähl
Das entfallene Gesicht. Erzählungen

München : Südostdt. Kulturwerk,,
Broschiert
EUR 15,00
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