12. März 2001

Restriktive Praktiken in der Spätaussiedleraufnahme gehen weiter

Trotz aktuellen, für Spätaussiedler günstigen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts gestalten sich Aufnahme und Anerkennung von Spätaussiedlern aus Rumänien nach wie vor schwierig. Vor allem der Freistaat Bayern, der sich gerne als den in der Republik konsequentesten "Freund und Anwalt der Aussiedler" bezeichnet, aktioniert restriktiv: Selbst gegen die von seinen Verwaltungsgerichten positiv gefällten Urteile zu mehreren Fällen legte und legt er Rechtsmittel ein, um die Gerichtsentscheide in den höheren Instanzen doch noch zu kippen. Darauf angesprochen, hüllt sich das zuständige bayerische Sozialministerium seit Wochen und Monaten in Schweigen. Dazu und zur Problematik der Spätaussiedleraufnahme allgemein äußert sich in dem hier abgedruckten Überblick der Rechtsanwalt und zuständige Bundesrechtsreferent der Landsmannschaft, Dr. Johann Schmidt.
Zur aktuellen Rechtsprechung


Das Bundesverwaltungsgericht hat am 19. Oktober letzten Jahres in diversen Revisionsverfahren gegen Berufungsurteile des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes in München durch Urteil zu Gunsten von Spätaussiedlern mehrere Entscheidungen verkündet (Beispiel: Az. BverwG: 5 C 44.99). Sie sind im Januar 2001 begründet und veröffentlicht worden.
In den Verfahren ging es im Wesentlichen um die Bedeutung der deutschen Sprachkenntnisse bei Antragstellern, die um den Erhalt des Aufnahmebescheids bzw. der Spätaussiedlerbescheinigung eingekommen sind. Die Leitsätze des Urteile lauten dahingehend, dass z. B. gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG das bestätigende Merkmal der Sprache grundsätzlich vom Säuglingsalter bis zur Selbständigkeit vermittelt worden sein muss. Die deutsche Sprache muss allerdings nicht vorrangig vor anderen Sprachen vermittelt worden sein. Es ist ausreichend, wenn das Kind im Elternhaus die deutsche Sprache und die Landessprache gelernt hat, also mehrsprachig aufgewachsen ist. Das heißt, dass die Kenntnis der deutschen Sprache zur Zeit der Einreise ins Bundesgebiet nicht zwingend vorliegen muss. Im oben genannten Urteil heißt es diesbezüglich: "Setzt demnach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG nicht voraus, dass bestätigende Merkmale wie Sprache, Erziehung, Kultur beim Verlassen des Aussiedlungsgebietes vorliegen, ist vielmehr entscheidend, ob deutsche Sprache, Erziehung, Kultur vermittelt worden sind, so ist die Kenntnis deutscher Sprache zur Zeit der Aus- bzw. Einreise zwar kein Tatbestandsmerkmal (Hervorhebung d. Red.), ihr kommt aber im Rahmen des Beweises als Indiz für eine frühe Vermittlung deutscher Sprache Bedeutung zu."
Die Abkehr des 5. Senats von der Rechtsprechung des 9. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (z. B. Urteil vom 03.11.1998, Az. BverwG: 9 C 4.97) dürfte demnach etwa für russlanddeutsche Spätaussiedlerbewerber eine Erleichterung mit sich bringen. Rumäniendeutsche Antragsteller dürften allerdings hiervon kaum betroffen sein, da sie in den meisten Fällen zeitlebens muttersprachlich deutsch gesprochen haben.

Zur Aufnahmepraxis


Für sie aber gestaltet sich die Praxis seit dem mehrfach in dieser Zeitung kommentierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 1998 dennoch weiterhin schwierig, denn nach wie vor wird die Vereinsamung seither nicht mehr als Benachteiligungsmerkmal im Sinne des § 4 Abs. 2 BVFG anerkannt. Das bedeutet - hierauf wurde ebenfalls mehrfach hingewiesen -, dass die Antragsteller andere konkrete Nachteile von nicht bloß geringem Gewicht glaubhaft machen müssen, die sie als eigene Person erlitten haben und die ihnen in Anknüpfung an ihre deutsche Volkszugehörigkeit durch den Staat oder - bei fehlendem staatlichem Schutz - von Dritten zugefügt worden sind. Anerkannt werden auch Nachwirkungen von früheren Benachteiligungen, die vor dem 31.12.1992 entstanden sind. Damit sind belastende Folgen von Nachteilen gemeint, die dem Betroffenen selbst zugefügt worden sind und in seiner Person bis zur Ausreise fortbestanden haben.
In den Aufnahmeverfahren wird im Wesentlichen deutlich, dass das Bundesverwaltungsamt bzw. die zustimmungspflichtigen Bundesländer eine restriktive Handhabung bei der Erteilung von Aufnahmebescheiden praktizieren. Dies gilt auch für die Widerspruchsverfahren. Positive Ergebnisse lassen sich eher im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, hier speziell bei dem Verwaltungsgericht in Köln, erzielen.
Nicht anders ist die Situation in den eigentlichen Spätaussiedleranerkenungsverfahren durch die Ausgleichsämter der Länder. Sie lehnen im Wesentlichen wegen fehlender Benachteiligung die Anträge ab, selbst wenn die Antragsteller mit Aufnahmebescheiden in der Zeit vom 01.01.1993 bis 1998, dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung durch das Bundesverwaltungsgericht zur (Nicht-)Berücksichtigung von Benachteiligungen, eingereist sind. In der Praxis führt dies zu mehrfach geschilderten Härtefällen, wonach den legal - also mit Aufnahmebescheid - eingereisten Bewerbern gar der Ausländerstatus droht. Hier besteht Aussicht auf Erfolg im Wesentlichen nur dann, wenn der Antragsteller andere konkrete Nachteile bzw. Nachwirkungen früherer Benachteiligungen glaubhaft macht, die nicht lediglich die Vereinsamung zum Gegenstand haben.
Interessanterweise und sehr bemerkenswert ist in letzter Zeit festzustellen, dass Baden-Württemberg in Fällen, in denen z. B. das Verwaltungsgericht Stuttgart zugunsten der Spätaussiedler entschieden hat, kein weiteres Rechtsmittel eingelegt hat. Dies bedeutet, dass das Bundesland die erstinstanzlichen Entscheidungen des Stuttagrter Verwaltungsgerichts offensichtlich bereit ist zu akzeptieren, während hingegen der Freistaat Bayern bis auf wenige Ausnahmen und in fast allen uns bekannten Prozessen die positiven Urteile der Verwaltungsgerichte nicht bereit ist zu akzeptieren und Rechtsmittel eingelegt hat. Inwiefern demnach die Schlagzeile in der Siebenbürgischen Zeitung vom 30. Juni 2000, Seite 5: "Bayern bleibt Anwalt der Aussiedler", zutrifft, mögen Betroffene und Interessierte entscheiden.
Auch nachdem das einschlägige Bundesrechtsreferat der Landsmannschaft versucht hat, über bayerische Politiker und Bundestagsabgeordnete hier eine "Korrektur" zugunsten der Spätaussiedler zu erreichen, die erstinstanzlich ihre Prozesse gewonnen haben, hüllt sich das zuständige bayerische Sozialministerium weiter in Schweigen. Am 26. Februar dieses Jahres teilte das zuständige Büro des Bundestagsabgeordneten Christian Schmidt (CSU) mit, seine schriftliche Anfrage, die diesbzüglich an das Ministerium in München gerichtet worden sei, trotz telefonischer Intervention bis heute unbeantwortet geblieben sei.
Selbst wenn Verständnis gezeigt werden muss, dass in den letzten Wochen und Monaten in dem betroffenen Ministerium dringlichere, weil gesamtbevölkerungsmäßig bedeutende Probleme zu lösen waren (Stichwort: BSE), müsste doch zumindest aus humanitären Gründen und angesichts der ansonsten sicherlich unbestreitbaren Leistungen Bayerns für "seine" Aussiedler und Spätaussiedler eine positive Reaktion möglich sein. Der müssten dann allerdings auch Taten folgen des Inhalts, dass der Freistaat Bayern in den vielen anhängigen Prozessen, etwa vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht in München, die Rechtsmittel zurücknimmt, die er eingelegt hat, so dass es bei den positiven erstinstanzlichen Urteilen der Verwaltungsgerichte im Freistaat bleibt, wonach die Antragsteller als Spätaussiedler anzuerkennen sind.
Gewarnt werden müssen an dieser Stelle Betroffene, die zwar im Besitz eines Aufnahmebescheids sind, aber nach Deutschland lediglich mit einem sogenannten "Schengener Visum" einreisen. In diesen Fällen werden in Bayern die Anträge auf Erteilung der Spätaussiedlerbescheinigung abgelehnt, da die Betroffenen nicht den speziellen Sichtvermerk einer deutschen Auslandsvertretung vorweisen können und somit nicht im Wege des Aufnahmeverfahrens eingereist seien.

Fazit


Sollten das Bundesverwaltungsamt sowie die zustimmungspflichtigen Länder weiterhin in den Aufnahmeverfahren ihre restriktive Haltung und die betroffenen Bundesländer in den eigentlichen Spätaussiedleranerkennungsverfahren ihre Strategie der Ausschöpfung des Rechtsweges beibehalten, wird auch seitens der Antragsteller der Rechtsweg bis zum Bundesverwaltungsgericht wahrzunehmen sein. Leider kann dies durch den "Zeitablauf" vereinzelt auch zu bedauerlichen Ergebnissen führen, wie abschließend folgendes Beispiel deutlich macht:
In einem Fall, den die Kanzlei des Verfassers anwaltlich vertritt, konnte vor dem Verwaltungsgericht in München für drei etwa 70-jährige Klägerinnen, alle waschechte Siebenbürger Sächsisnnen, aufgrund einer mündlichen Verhandlung am 27.09.2000 der erstinstanzliche Prozess gewonnen werden. Der Freistaat Bayern ließ es sich jedoch nicht nehmen, gegen das Urteil Berufung zu beantragen. Auch wenn die Erfolgsaussichten in der zweiten Instanz gut sind, war zu befürchten, das mindestens eine der Betroffenen altersbedingt die psychische Belastung weiterer Verfahren kaum durchstehen würde. Leider geschah genau dies: Eine der Klägerinnen verstarb in der Zwischenzeit. Prozessual zwar korrekt, menschlich jedoch kaum nachvollziehbar, fragte darauf der Bayerische Verwaltungsgerichtshof an, "ob nicht hinsichtlich der verstorbenen Klägerin... die Hauptsache für erledigt erklärt wird". Man kann nur hoffen, dass eine derartige "Erledigung der Hauptsache", auch wenn es sich prozessual um die zutreffende Terminologie handelt, die Ausnahme bleiben wird.

Dr. Johann Schmidt

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