26. April 2003

Freiwilliger Friedensdienst in Siebenbürgen: zwölf Monate Hetzeldorf

Hetzeldorf, Ende April: Die 1 500-Seelen-Gemeinde liegt dem Frühling zu Füßen in einem Seitental der Kokel. ?Bine ati venit ? Herzlich willkommen? grüßt die zweisprachige Ortstafel. Auf dem Dorfplatz scharen sich in Nachbarschaft zur Wehrkirche das Kulturhaus, Post, Bank und das Altenheim, in dem 24 siebenbürgisch-sächsische Frauen und Männer zwischen 45 und 90 Jahren leben. Ganz in der Nähe steht auch das Haus, in dem Jana Morenz und Christoph Biller seit dem 1. September 2002 Unterkunft finden. Noch bis 31. August leisten die jungen Leute ihren Freiwilligen Friedensdienst im Altenheim von Hetzeldorf. Wohl nur was für Träumer, alternative ?Ökos?, Freaks?
Das Geld liegt auch hier in Hetzeldorf nicht auf der Straße. Autonomie ist daher die notgeborene, überlebenswichtige Verpflichtung der 1991 gegründeten Einrichtung, deren Träger der Diakonieverein Mediasch unter Leitung von Pfarrer Ulf Ziegler ist. Das Altenheim, in dem alteingesessene Hetzeldorfer sowie aus den umliegenden Gemeinden Zugezogene wohnen, umfasst drei Gehöfte mit den entsprechenden Gärten. Es finanziert sich jeweils aus den Renten der Heimbewohner, einem staatlichen Zuschuss und aus deutschen Spendengeldern. Unter Mitarbeit der Bewohner versorgt man sich weitgehend selbst durch den Anbau von Mais, Kartoffeln, Rüben oder Kohl, durch die Haltung von Schweinen, Kühen, Schafen, Hühnern und Kaninchen. ?Jeder hilft und macht das, was er noch kann und möchte?, fällt Jana auf, ?nicht wie in Deutschland, wo der alte Mensch sich mit einem völlig neuen Leben arrangieren muss, ohne seine gewohnten Aufgaben?. Verlust an Selbstständigkeit?

Heuernte zum Aufgalopp


Vom ersten Tag an mussten die Neuankömmlinge hart arbeiten: ?Es hieß am Morgen, wir fahren nach dem Frühstück zur Ernte `raus, auf dem Pferdewagen ?, aber keine Ahnung, wo genau hin und was genau tun. Angekommen sind wir dann auf einer riesigen Wiese zum Heueinholen. Von morgens bis abends bei strahlendem Sonnenschein und Hitze, eine ungewohnte, körperlich anstrengende Arbeit (?). Am Abend dann auf dem heubeladenen Pferdewagen zurück ins Dorf und erledigt ins Bett gefallen?, schildert Jana ihre ersten Eindrücke. Das anstehende Programm war für alle Beteiligten kräfteraubend, erleichterte aber auch durch enge Kontakte das Kennenlernen: Kartoffelernte, Mais brechen, Rüben ziehen, Bohnen pflücken, Maisstängel schneiden und binden etc. - und siehe da: ?Allmählich haben auch wir uns an solche Arbeiten gewöhnt, die ja auch Spaß machen können, begleitet von Unterhaltungen, Späßen und Gesang.?

Drei Wochen nach ihrer Ankunft in Hetzeldorf feierte Jana Morenz ihren 26. Geburtstag. Im sächsischen Räckelwitz zur Welt gekommen ? heute im siebenbürgisch-sächsischen Hetzeldorf (vorübergehend) zuhause. Zwischendurch erwarb sie am Albert-Schweitzer-Gymnasium Kamenz die Allgemeine Hochschulreife, studierte Ökologie- und Umweltschutz (Also doch von der ?Ökofraktion??) an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Sozialwesen Zittau/Görlitz (FH), dann, ein kräftiger Schwenk, ließ sie sich an der Gewerbeschule Freiburg zur ?Staatlich geprüften Fototechnischen Assistentin? ausbilden. Einen Tag nach Janas Geburtstag feierte Christoph den seinen. Dessen Lebenslauf beginnt am 24. September 1982 in Khamis Mushayt. Das liegt in Saudi-Arabien. Als Sohn eines deutschen Vaters und einer englischen Mutter, die beide damals auf der Arabischen Halbinsel berufstätig waren. Nach diversen Umzügen landete Christoph via Rom und Bristol im baden-württembergischen Radolfzell am Bodensee. Besuch des hiesigen Friedrich-Hecker-Gymnasiums und des Technischen Gymnasiums, nebenher Aktivsportler (Tennis und Fußball). Und jetzt also Hetzeldorf.

Soziales Engagement vorausgesetzt


Der ?Freiwillige Ökumenische Friedensdienst im Ausland?, so die offizielle Bezeichnung, versteht sich als Alternative zum Zivildienst. Junge Frauen und Männer können über die Evangelische Landeskirche in Baden einen zwölfmonatigen Freiwilligendienst im Ausland absolvieren. Kriegsdienstverweigerer können ihn als ?Anderen Dienst im Ausland? ableisten. Die ?Arbeitsstelle Frieden? im Amt für Evangelische Kinder- und Jugendarbeit bietet 20 Plätze für den Freiwilligendienst an, seit vier Jahren auch in Rumänien und in diesem Jahr erstmalig gar zwei Plätze, wie Jürgen Stude, Landesjugendreferent der Ev. Landeskirche in Baden, mitteilt. Und die nächsten beiden Stellen sind schon vergeben. Stude spricht von einer steigenden Nachfrage. Der Leitgedanke: ?In Zusammenarbeit mit ökumenischen Partnern möchten wir badischen Freiwilligen (zwischen 18 und 27 Jahren) die Gelegenheit bieten, länderübergreifende Erfahrungen in den Bereichen der Jugendhilfe, Alten- und Gemeindearbeit und in Begegnungsstätten zu sammeln.? Über Rahmenbedingungen, Einsatzstellen und Anforderungen an die Bewerber informiert ein Merkblatt, anzufordern bei: ?Arbeitsstelle Frieden? im Amt für Evangelische Kinder- und Jugendarbeit der Evang. Landeskirche Baden, Blumenstraße 1-7, 76133 Karlsruhe, Telefon: (07 21) 9 17 54 68.

Seit dem 1. Juli 1986 können anerkannte Kriegsdienstverweigerer anstelle des Zivildienstes in der Bundesrepublik einen "Anderen Dienst im Ausland" leisten. Freilich sind rechtliche Aspekte wie diese für das Wirken von Jana und Christoph vor Ort kaum von Belang. Ihr Aufenthalt in Siebenbürgen erfüllt keine Alibi-Funktion. Ohne echtes soziales Engagement wären sie fehl am Platze. Wie ihre Berichte zeigen, haben sie sich voll in das Leben der Gemeinschaft integriert. Eine gehörige Portion Anpassungsfähigkeit war erforderlich, um den im Altenheim üblichen, strikt geregelten Tagesrhythmus zu verinnerlichen. Genau festgelegt sind beispielsweise die Einnahme von Frühstück, Mittag- und Abendessen. In Zeiten von BSE geht bekanntlich nichts über gesunde Ernährung. Im Unterschied zu einem deutschen Altersheim, bemerkt Christoph, ?ist von der frisch gemolkenen Milch bis zu den Kartoffeln alles natürlichen Ursprungs?. Das kommt auch Jana - als Vegetarierin - sehr entgegen: ?Die Mahlzeiten, meist aus dem eigenen Anbau zubereitet (alles Zugekaufte kostet Geld), sind natürlich und einfach, aber lecker?.

'Sachsen deutscher'


Ein Schwerpunkt im Lebensalltag der Heimbewohner ist ihr evangelischer Glaube: Zweimal täglich treffen sie sich zur Morgen- und Abendandacht, jeden zweiten Sonntag findet ein Gottesdienst mit einem Pfarrer aus Mediasch statt. Trotz Taufe und Konfirmation nicht immer einfach für Jana: ?In den letzten Jahren von eher geringerer Bedeutung in meinem eigenen Leben, bedeutet es für mich, sich erneut durch Gespräche an Religion und Glauben anzunähern, meinen eigenen Standpunkt zu finden.? So trägt ihre Tätigkeit im Altenheim ?nebenher? auch zur eigenen Orientierung und Selbstfindung bei.

Ihre Freizeit am Wochenende gestalten die Friedensdienstler frei nach Belieben. Jana ist oft unterwegs, schaut sich Städte an (Hermannstadt, Schäßburg, Kronstadt), besucht Freunde oder trifft andere Freiwillige. Dank finanzieller Unterstützung durch das ?Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen? in München verfügen Jana und Christoph über das notwendige Taschengeld, um die so entstehenden Reisekosten bezahlen zu können.

Fast glaubt man Wehmut aus Christophs Worten herauszuhören, wenn der Zwanzigjährige bemerkt: ?In vielerlei Hinsicht finde ich die Sachsen, die hier leben, deutscher als die Deutschen. Nach ihrer Generation kommt, so wie es aussieht, kaum jemand mehr nach, und die hart erarbeiteten Höfe werden wieder an Rumänen, Ungarn oder Zigeuner übergehen.? - Janas Fazit ist Ausdruck ihrer positiven Grundhaltung: ?Ich freue mich jeden Tag, hier sein zu dürfen!?

Die Schilderungen der beiden ?Neu-Hetzeldorfer? enthalten eine Fülle lebensnaher Beobachtungen. Danach zu urteilen, werden Jana Morenz und Christoph Biller, wenn sie Anfang September Abschied nehmen von Hetzeldorf und seinen Bewohnern, um wertvolle Einsichten und Erfahrungen reicher nach Deutschland zurückkehren.

Christian Schoger



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