18. März 2001

Sächsische Rockenstube in München

Die Nachbarschaft Moosach und die im letzten Herbst in München gegründete "Rockenstube" verzeichnen, im Gegensatz zu anderen siebenbürgischen Einrichtungen, die nicht selten über Mitgliederschwund klagen, einen großen Zulauf bei Jung und Alt. Treibende Kraft in Nachbarschaft und "Rockenstube" ist Samuel Krauss, dessen lebensfrohe Art bei seinen Landsleuten sehr gut ankommt.
Samuel Krauss wurde 1954 in Großau geboren. Er besuchte die Allgemeinschule in seinem Heimatort und die Berufsschule in Hermannstadt, wonach er als Schlosser in der "Independenta" arbeitete. Unter den vielen sächsischen Mitschülern und Berufskollegen, die aus Schäßburg, Mediasch oder dem Unterwald kamen, entwickelte sich eine innige Beziehung. In der Jugendzeit ging man gemeinsam auf Bälle in Großau, besuchte Michelsberg, fuhr nach Großscheuern, kam mit Neppendorfern zusammen und pflegte die "sächsische Tradition der Unterhaltung", die man als gute Sache empfand. Krauss ist ein offener Mensch, der gerne auf die Leute zugeht. Wenn Ortsfremde auf dem Ball in Großau waren, lud er sie zu Tisch und dann zu sich nach Hause ein. Diese Menschen hat er auch später, nach seiner Aussiedlung im Herbst 1989, kurz vor der rumänischen Revolution, in München wiedergefunden.
Schon in Siebenbürgen waren die Brüder Samuel und Mathias Krauss selbständig. Auf staatlicher Basis betrieben sie im heimischen Hof eine Kfz-Werkstatt. Sie mussten eine Prüfung für einen entsprechenden Schein ablegen, einem Meisterbrief vergleichbar, um selbständig sein zu können. Mit der Einstellung, auf eigenen Beinen stehen zu wollen, ist die Familie Krauss auch nach Deutschland gekommen. Schon 15 Tage nach seiner Ankunft, nach kurzem Übergang in Nürnberg, fand Samuel Krauss in München eine Beschäftigung als Kfz-Mechaniker und arbeitete fünf Jahre lang Seite an Seite mit seinem Bruder. Seine Frau Anna übernahm schon fünf Monate nach ihrer Ankunft eine Änderungsschneiderei in der Ysenburgstraße, Nähe Rotkreuzplatz, und baute sie erfolgreich aus. Blickfang im Laden ist übrigens eine siebenbürgisch-sächsische Puppe, die von vielen Kunden bewundert wird.
Über die Tradition der siebenbürgischen Nachbarschaften hat sich Krauss in Georg Binders umfangreichem Heimatbuch Arkeden kundig gemacht: danach wird 1498 erstmals eine Nachbarschaft in Tartlau erwähnt. Die Tradition der Nachbarschaften, die sich ihre eigenen Gesetze, die Statuten, selbst gaben, kennt Krauss zudem aus eigener Erfahrung. Denn bevor er als 35-Jähriger auswanderte, war er Mitglied und Schriftführer in der Nachbarschaft Großau. Es bereitete ihm Freude, im Heft, in den Unterlagen, in die seine Großväter einst hineingeschrieben hatten, zu blättern, und war fasziniert von der "lückenlosen Buchführung", der über Jahrhunderte erhaltenen Gepflogenheit. Das habe ihn auch hier in Deutschland motiviert, sächsische Werte zu pflegen. Zur Nachbarschaft Moosach kam er 1993 durch einen guten Freund, Hermann Binder aus Rumes, der leider sehr früh verstorben ist. Vom ersten Tag an habe er sich dort heimisch gefühlt.
Die Nachbarschaft Moosach war am 14. Dezember1986 von Pfarrer Helmut Teutsch ins Leben gerufen worden und hat seither einen fest geregelten Ablauf mit vier Veranstaltungen im Jahr: mit einer Vorweihnachtsfeier, wo Lieder gesungen werden, der Nikolaus nach alter Tradition erscheint, die Kinder ein Päckchen erhalten und Gedichte oder Lieder vortragen, dann einer Faschingsfeier, einer Reise, die im Frühjahr oder Herbst stattfindet, und einem Frühlings- beziehungsweise Herbstfest. Um den Mitgliedern zu helfen und ihnen Freude zu bereiten, erbringt die Nachbarschaft eine Reihe von Leistungen: bei der Geburt eines Kindes wird ein Blumenstrauß überreicht, zu Weihnachten gibt es eine Christbescherung für Kinder, bei den jährlich vier Zusammenkünften werden Kaffee und Kuchen kostenlos gestellt, ebenfalls kostenlos für Mitglieder ist die Jahresreise (Reiseziele waren bisher Luxemburg, Regensburg u.a.), bei runden Geburtstagen ab 50 erhalten die Frauen einen Blumenstrauß und die Männer eine Flasche Wein, im Todesfall schließlich stellt die Nachbarschaft einen Kranz mit Schleife. Zu Trauerfeiern werden alle Mitglieder hinzu gerufen, ein Vorstandsmitglied hält eine kurze Traueransprache.
Der in Siebenbürgen übliche Richtstag wird in der Nachbarschaft Moosach in Form eines Rechenschaftsberichts abgehalten, und zwar seit 1991 jährlich zu Fasching. Die Ein- und Ausgaben werden dabei nachvollziehbar für alle Mitglieder aufgeführt. Treffpunkt ist der Gemeindesaal der Heilig-Geist-Kirche in Moosach, Hugo-Troendle-Straße 53, wo die Nachbarschaft gegründet wurde. Hier kommen mittlerweile an die hundert Personen aus drei Generationen zusammen, so dass der Raum allmählich zu eng wird. In den neunziger Jahren verzeichnete die Nachbarschaft nämlich einen starken Zulauf und zählt derzeit 70 Mitglieder.
Am 10. Februar dieses Jahres wurde Fasching im Gemeindesaal der Olympiakirche gefeiert, weil das Gemeindehaus in Moosach gerade renoviert wird. Dafür hatte sich die Nachbarschaft wieder etwas Besonderes einfallen lassen: Mit den 200 DM, die die landsmannschaftliche Kreisgruppe München "für die gute Zusammenarbeit" gestiftet hatte, ließ man frische Krapfen backen. Doch die Mitglieder wurden nicht nur mit Kaffee und Krapfen bewirtet, sondern auch namentlich aufgerufen. Alle Damen erhielten als Dank für ihre Mitgliedschaft je eine Rose, was besonders gut ankam.
Beim Frühlingsfest am 5. Mai stehen Neuwahlen an. Krauss ist seit Februar 1999 Vorsitzender und wird sich voraussichtlich für zwei weitere Jahre zur Verfügung stellen. 1999 hatte ihm sein guter Freund Michael Mehrbrodt die schön geordneten Unterlagen übergeben. Der Ordner enthält alle Rechenschaftsberichte, Beitrittserklärungen, Geburtstage und Adressen der Mitglieder. Mehrbrodt habe "die Brücke geschlagen zwischen dem alten Vorsitzenden Teutsch, der Familie Kast und dem heutigen Vorstand", betont Krauss.
Eine weitere siebenbürgisch-sächsische Einrichtung, eine „Rockenstube“, wurde im Herbst letzten Jahres im Gemeindehaus der Auferstehungskirche, Gollierstraße 55, in München-Westend aus der Taufe gehoben. Die Initiatoren, die Ehepaare Michael und Astrid Greff sowie Samuel und Anna Krauss, hatten sich zuvor mehrmals in der Änderungsschneiderei von Anna Krauss getroffen und sich Gedanken darüber gemacht, wie sie ihren Kindern und Neffen etwas von der siebenbürgischen Werten auf den Lebensweg mitgeben könnten. So kamen sie mit den Jugendlichen zusammen, erzählten ihnen in geselliger Runde etwas über Siebenbürgen, wobei die Frauen, eher symbolisch, etwas handarbeiteten. Zur offiziellen Gründung im letzten Herbst kamen 20 Personen. In der monatlichen Rockenstube stellen sich nach der Begrüßung alle Anwesenden vor und sagen, was sie tun und woher sie kommen. Es sei erstaunlich, dass die Leute aus ganz Siebenbürgen kämen, "tatsächlich von Broos bis Draas", so Krauss. Ende 2000 präsentierte Oswald Kessler in einem wissenswerten Vortrag Metallteile an der sächsischen Tracht (Heftel, Spangengürtel, Bockelnadeln usw.). Der Vortrag wurde mit großem Interesse auch von Pfarrer Manfred Staude und Diakon Herbert Hofmann von der Auferstehungskirche aufgenommen, denen Krauss für die Unterstützung seiner Arbeit dankbar ist. Hilfreicher Hausmeister der Auferstehungskirche ist übrigens Michael Greff.
Rund 60 Leute, darunter rund ein Drittel Jugendliche, beteiligten sich im Februar 2001 am Sittag, der in der "Rockenstube" nach siebenbürgischer Tradition abgehalten wurde. Die Jugend hat Krauss' Ansprache und das halb ernste und halb gespielte Zusammensein der Nachbarn als sehr authentisch empfunden. "Es war wirklich Ruhe und Andacht, die fast explosionsartig in heiteres Faschingstreiben mündeten", berichtet Krauss. Die Jugendlichen seien erstaunt gewesen, als ihre Eltern aus ernster Stimmung auf einmal so viel an Munterkeit, Geselligkeit und frohen Mut aufgebracht haben. Die Jugend wird einbezogen in die Rockenstube und singt aus dem Liederheft mit, das von Mal zu Mal dicker wird. Und zahlreicher werden auch die Jugendlichen. Zuerst waren nur zwei, drei junge Paare dabei, nun entsteht aus der Rockenstube die neue Jugendtanzgruppe München, in der sich gerade ein Generationswechsel vollzieht. Bianka Greff, die neben Gerhard Leutschaft die Gruppe leitet, betreut jetzt die ganz jungen Tanzgruppenmitglieder weiter.
Die Landsmannschaft hat für Samuel Krauss einen besonderen Stellenwert. Unter dem Leitgedanken "Nur gemeinsam sind wir stark" wirbt er dafür unter den Siebenbürgern, die sich nicht ausnahmslos zu ihrer Herkunft bekennen. Auch in der HOG Großau ist der Siebenbürger Sachse aktiv und hilft bei der Organisation der Treffen. Die HOG habe nach ihrem Treffen im letzten Herbst in Planegg einen neuen Anlauf genommen. Der Kontakt zur Heimatgemeinder klappt gut, zumal Krauss' Bruder Mathias Kurator in der Heimatgemeinde ist. Die Gemeinde sei leider auf 70 Seelen geschrumpft, und es bestehe großer Nachholbedarf an selbständig denkenden Menschen in Siebenbürgen. So habe Mathias Krauss zusammen mit einem Bundesdeutschen vor einigen Jahren die Getränke-Firma "Aquador" auf dem Gelände der früheren Werkstatt in Großau auf die Beine gestellt.
Die Heimatortsgemeinschaft unterstütze Großau, wolle sich um die Burg kümmern, den Friedhof wieder in einen normalen Zustand bringen und habe bereits einen Rasenmäher dafür gekauft. Aus dem Erlös des Videofilms, der beim Treffen in Großau gemacht wurde, konnten zwei Zimmer im Pfarrhaus renoviert werden. "Wir machen auf jeden Fall weiter. Es liegt vielen etwas daran, auch wenn wir nicht mehr dort leben. Wir haben die Pflicht, der Nachwelt etwas zu hinterlassen", betont Samuel Krauss abschließend.

Siegbert Bruss



Kontaktadresse: Anna und Samuel Krauss, Ysenburgstraße 11, 80634 München, Telefon: (0 89) 13 40 28.

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