7. Mai 2003

Christoph Zöpel: "Erhalt des Kulturerbes ist europäische Aufgabe"

In einem einfühlsamen Vortrag hat Staatsminister a.D. Christoph Zöpel am 21. März in Berlin den Bildband „Hermannstadt und das Alte Land“ (Verlag Wort + Welt + Bild ) präsentiert. In der Botschaft von Rumänien in Berlin waren 120 prominente Gäste zugegen, darunter Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner, Vorsitzende des Deutsch-Rumänischen Forums, die Bundestagsabgeordneten Gernot Erler, Gert Weisskirchen, Markus Meckel (alle SPD), Erich Fritz (CDU), Carl-Ludwig Thiele (FDP), hochrangige Vertreter des Auswärtigen Amtes, der rumänische Botschafter Adrian Vierita, der rumänische Kulturstaatssekretär Ioan Opris, die Politologin Anneli Ute Gabanyi von der Südosteuropa Gesellschaft, der Herausgeber des Bildbandes, Martin Rill, BKM-Ministerialrat Jürgen Martens u.a.
Christoph Zöpel
Christoph Zöpel

Der SPD-Politiker Christoph Zöpel, von 1999 bis 2002 Staatsminister im Auswärtigen Amt, seit 2002 Mitglied des SPD-Fraktionsvorstandes und des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, ging bei der Buchpräsentation auf das europäische Schicksal Siebenbürgens ein. Im Folgenden Zöpels Vortrag im Wortlaut mit vielseitigen kulturpolitischen Bezügen.


Es gilt, ein Buch vorzustellen. "Hermannstadt und das Alte Land. Eine europäische Kulturlandschaft in Siebenbürgen" lautet sein Titel. Was bringt uns das Buch?

Bilder - von Städten - Hermannstadt oder Sibiu oder Nagyszeben -, Dörfern, Landschaften - der Südkarpaten vor allem, einer alpinen Landschaft - , Häusern, Kirchen, Kirchenburgen - der herausragenden kultur- und bauhistorischen Eigentümlichkeit Siebenbürgens - , von Kunst - sakraler Kunst vor allem. Martin Eichler und Georg Gerster haben diese farbigen Bilder fotografiert. Der Mecklenburger Martin Eichler, der heute in Dresden lebt, schuf sie überwiegend zwischen 1990 und 2001. Die 48 Flugbildfotografien sind von Georg Gerster, einem Schweizer, einem ganz Großen im Metier der Flugbildfotografie. Er, wie viele Betrachter, zu denen auch ich mich zähle, sind immer wieder fasziniert, Landschaft und gebaute Kultur von oben zu sehen. 1991 und 1995 schuf er die Bilder in einem Projekt, das von der deutschen Bundesregierung gefördert wurde.

Dann Lagepläne - ihr Maßstab ist 1:7500 für die Dörfer und kleineren Städte und für Hermannstadt 1: 11225, schon ein sehr spezieller Maßstab. Wer weiß, dass eine gute Wanderkarte den Maßstab 1: 25000 hat, der erkennt, mit diesem Buch in der Hand läßt es sich durch die Dörfer und Städte gehen, um sie kennen zu lernen, ohne sich dabei zu verlaufen.

Dann geschriebene Worte - knapp aber prägnant. Wir lesen die Einführung von Professor Heinrich Lamping. Wir lesen Beschreibungen der Städte und Dörfer durch Thomas Nägler und Martin Rill, zwei in Siebenbürgen Geborenen. Martin Rill ist auch der Herausgeber des Buches, verlegt hat es der Verlag Wort + Welt + Bild in Dresden.

Bilder wie geschriebene Worte können dem Betrachter und dem Leser Bekanntes oder Neues bringen - das hängt vom Leser und Betrachter ab. Bekanntes bringt das Buch für Menschen, die Siebenbürgen kennen, für Menschen, die dort geboren sind, die dort gelebt haben oder heute leben. Neues bringt es denen, die Siebenbürgen kennen lernen wollen.

Der Umgang mit Bekanntem einerseits oder Neuem andererseits führt uns zu der Art, wie wir unsere Kenntnis von Welt erweitern, die Kenntnis unserer Umwelt, denn Welt ist für uns, die wir sie wahrnehmen, immer Umwelt, in diesem Buch gebaute kulturelle Umwelt. Erfahrung entsteht, in dem Neues an schon Bekanntem orientiert, bewertet und dann in das Bekannte integriert wird.

Die geschriebenen Worte, die Erläuterungen zu den Bildern habe ich als einer gelesen, für den sie neu waren, der seine Kenntnisse so erweiterte. Und so gebe ich das neu Erfahrene auch weiter. Zu erfahren ist, dass Siebenbürger Sachsen zumeist Rheinländer waren, die aus Flandern, aus Brabant, vom linken Niederrhein, aus den Erzbistümern Köln, Mainz und Trier kamen. In der ethnischen Abgrenzung jener Zeit waren sie wohl Franken, nach den territorialen Abgrenzungen von heute wären viele aus Belgien oder den Niederlanden gekommen. Und wenn wir schon bei solchen Abgrenzungen zwischen Menschen und Gebieten sind: Wem sind die Untertanen von Erzbischöfen zuzurechnen, einem Volk oder eher der römisch-katholischen Kirche?

Gerufen wurden diese Menschen vom ungarischen König Geysa II. Das Land Siebenbürgen bekam seinen Namen, weil da wohl zunächst sieben Burgen waren, Altes Land wurde es genannt, weil die neu Hinzugekommenen alte, mitgebrachte Rechte bewahren und in ihrer neuen Heimat in Kraft setzen konnten.

Durch die Jahrhunderte standen diese Westimigranten unter der wechselnden Herrschaft von Ungarn, Osmanen, Österreichern, Rumänen, Deutschen als Besatzer im zweiten Weltkrieg. Dieser Wechsel von Herrschaft, der an die Namen von je herrschenden Völkern und Ethnien gebunden ist, ist nichts besonderes, überall in Europa gab es diesen Wechsel. Auffallend beim Gang durch die Jahrhunderte ist zweierlei. Das eine: Von den Osmanen ist bau- und kulturhistorisch fast nichts geblieben. Das macht nachdenklich. Nachdenklich, gerade heute zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wenn Europa darüber nachdenkt, ob die Türkei in absehbaren Jahren Mitglied der Europäischen Union werden kann. Noch nachdenklicher macht etwas anderes: Sicher gab es beim Wechsel von einer Herrschaft zur anderen immer Zerstörung, es gab Kriege, Grausamkeiten. Aber seit Mitte des 19. Jahrhunderts gewannen diese Grausamkeiten an Intensität, sie wurden radikaler, extremer. Assimilierung, Auslöschen des ethnisch oder sprachlich Anderen - dies sind Erscheinungen neuerer Jahrzehnte. Und wenn wir dies sehen, werden wir nachdenklich, ob die Welt immer fortschreitet, oder ob nicht neue erweiterte Möglichkeiten der Technik und der herrschaftlichen Verwaltung auch das Unmenschliche, das Inhumane ausweiten können.

So begann die Auswanderung der mittelalterlichen rheinischen Immigranten, jetzt als Ostemigranten, nach Westen schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Zuordnung Siebenbürgens zum ungarischen Teil der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie. Und sie steigerte sich in den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts vor und vor allem direkt nach dem Ende der perversen Diktatur Nicolae Ceausescus in Rumänien.

Die geschriebenen Worte in diesem Buch vermitteln uns aber auch sehr grundsätzliche Erkenntnisse zu den gebauten Denkmalen, die unsere Kultur bestimmen. Gebaute Kultur entwickelt sich im Wechsel von wirtschaftlicher Prosperität und wirtschaftlicher Stagnation. Prosperität bringt sie hervor, macht sie, weil sie ja Geld kostet, ökonomisch möglich. Stagnation bewahrt sie vor Veränderung und Abriss. Es gehört zu den banalen Grundkenntnissen der Denkmalschutzpolitik und darüber hinaus für die Erhaltung von Städten, dass bewohnte Häuser selten abgängig sind. Die normalen Instandhaltungen, um das Eindringen von Regen und extremer Kälte zu verhindern, reichen, um ein Haus zu bewahren. Erst wenn Stagnation mit deutlichem Bevölkerungsrückgang einhergeht, wie es nach 1989 in Siebenbürgen zum Teil der Fall ist, dann sind auch Häuser, ist gebaute Kultur in Gefahr zu verfallen. Diesen Zustand haben Dörfer und kleinere Städte im Alten Land erreicht.

Für Denkmalschutzpolitik generell gilt, dass in Zeiten der Prosperität Denkmale vorrangig den Schutz des Staates brauchen, durch Rechtsetzung und die konsequente Anwendung dieses Rechts, und dass sie in Zeiten der Stagnation vorrangig die Förderung des Staates brauchen. Aktuell muss allerdings die größte Gefahr der Zerstörung von Denkmalen, nämlich der Krieg, angesprochen werden. Der Fortschritt des Völkerrechts im Rahmen der Zivilisierung auch des Krieges hat zu einer Haager Konvention über den Schutz von Denkmalen geführt, und das ist gut so - als abstrakter Gedanke und als humanes Postulat allemal. Diese Konvention sieht nun vor, dass erhaltenswerte Bauten gekennzeichnet werden sollen, durch eine blau-weiße Raute. Lassen Sie mich, der ich in den achtziger Jahren als Minister für den Denkmalschutz in Nordrhein-Westfalen zuständig war, dazu etwas anmerken. Dieser Teil der Haager Konvention, auch im Kriege schützenswerte Bauten zu kennzeichnen, wurde auf meinen Vorschlag in Nordrhein-Westfalen nicht umgesetzt. Motiv für diese Anregung war und ist: Gegen die Zerstörung des kulturellen Erbes im Krieg hilft, Krieg zu vermeiden. In diesen Tagen lesen wir viel von "smarten" Bomben, die ihr Ziel erkennen können. Ich glaube weiterhin nicht, dass Bomben so "smart" werden, dass sie in jedem Fall mit einer kleinen Plakette gekennzeichnete Häuser vor Zerstörung bewahren.

Denkmale werden geschützt durch staatliches Recht. Die internationale Gemeinschaft hilft den Staaten bei dieser Aufgabe. Die UNESCO hat mit dem Mechanismus der Aufnahme einzelner Objekte und Siten in das Weltkulturerbe dazu ein wesentliches Instrument bereitgestellt. Es ist gut zu hören, dass die rumänische Regierung dabei eng mit der UNESCO kooperiert und stolz darauf ist, viele Objekte in das Weltkulturerbe aufgenommen zu wissen. Lassen Sie mich das wieder mit einer persönlichen Anmerkung ergänzen. Ich bin stolz darauf, es ermöglicht zu haben, dass die Zeche Zollverein in Essen im Ruhrgebiet jüngst Weltkulturerbe wurde. Das ist möglich gewesen, weil ich in den achtziger Jahren die Unter-Schutz-Stellung durchgesetzt und den Abriss verhindert habe, letztlich entgegen dem aus Resignation gespeisten Rat der Fachbeamten. In Demokratien ist es die Aufgabe von Ministern, in wichtigen Fällen anders zu entscheiden, als ihre Bürokratie dies will.

Das Buch stellt eine europäische Kulturlandschaft vor. In dieser Europäizität liegt eine besondere Aufgabe und auch eine besondere Rechtfertigung des Einsatzes für die Bewahrung des kulturellen Erbes. Europa als Europäische Union - das ist das Aufheben von Grenzen, das ist das Ermöglichen kultureller Vielfalt, das hat den Weg frei gemacht, kulturelle Identität zu leben und anderen zu geben. In diesem Zusammenhang berichte ich gerne von einer Begegnung mit der luxemburgischen Außenministerin Lydie Polfer. Ich führte mit ihr ein Gespräch in ihrem Amtszimmer und über ihrem Schreibtisch hing das Bild einer Kaiserin, einer Kaiserin von Luxemburg, die auch Kaiserin über Hermannstadt war. Jeder weiß jetzt, das Bild zeigt Maria Theresia. Und auf meine Frage, was der besondere Wert der Europäischen Union für Luxemburg sei, antwortete die Ministerin, niemand mehr wolle Luxemburg erobern, nicht die Preußen und nicht diese Kaiserin. Diese Einsicht von Europa, dieser Gewinn für das Leben der Menschen in Europa, gilt jetzt auch für die Staaten Europas, die bis Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts unter kommunistischer Herrschaft standen. 2007 wird auch der Beschluss zur Aufnahme Rumäniens in die Europäische Union erfolgen. Dann wird der Wegfall von Grenzen es stärker als in der Vergangenheit möglich machen, dass andere Europäer sich an der kulturellen Identität Siebenbürgens in Rumänien erfreuen. Wirtschaftliche Entwicklung hat intensivierte Reisetätigkeit zur Folge, und dazu kommt der Tourismus. Es gibt viele Gründe, nach Siebenbürgen zu fahren, zum Beispiel die Karpaten. Die Alpen sind zum Teil überlaufen, die Karpaten und das Karpatenvorland sind eine den Alpen nicht nachstehende Alternative. In diesem Vorland können dann Hermannstadt und die kleineren Städte und die Dörfer Siebenbürgens in ihrem kulturellen Reichtum erfahren werden. Aber wenn der Tourist aus westlicheren Teilen Europas dann schon in Rumänien ist, so sollte er auch Anderes erleben, die Klöster in der Moldau oder die baulichen Eigenarten dieses Landes. Erwähnen möchte ich das Schloss von Mogosoaia, Constantin Brancoveanu hat es 1702 gebaut. 1702, das war in Europa der Höhepunkt des Barocks. In der Nähe von Bukarest sehen wir ein Schloss, das nichts mit barocker Architektur gemein hat, das an die Renaissance erinnert, das osmanische Stilelemente aufnimmt und so einen sehr Eigenartigen rumänischen Baustil kreiert. Empfehlen möchte ich dann auch, die Banater Schwaben zu besuchen. In Timisoara oder Temeschburg oder Temesvar kann dann der Westeuropäer, wenn er sich mit der Geschichte dieser Stadt befasst, noch etwas Interessantes erfahren. Die Fragestellung, die ihn dabei leiten sollte, ist eine, die mich leitet, seitdem ich im Ruhrgebiet vermittle, dass das erste Stahlwerk auf dem europäischen Kontinent nicht etwa im rheinisch-westfälischen Revier, sondern in Oberschlesien gebaut wurde. Und aus der Geschichte von Temeswar lässt sich lernen: Die erste elektrische Straßenbeleuchtung gab es nicht in London, nicht in Paris, nicht in Berlin, sondern im Banat, eben in Temeswar. Der Erhalt des vielfältigen kulturellen Erbes Europas ist eine europäische Aufgabe. Die Europäische Union und die Länder, die finanziell stärker, weil wirtschaftlich entwickelter sind, müssen dazu dort beitragen, wo die Finanzkraft noch nicht ausreicht. Eine solche Kulturpolitik ist ein Beitrag zu einer europäischen Zukunft, die an Frieden und kultureller Vielfalt orientiert ist.


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Rezension von Hans Bergel: Zeugnis für Verstand und Herz

Neuerscheinung: "Hermannstadt und das Alte Land"

Buchpräsentation in München

Diavortrag in Heilbronn

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