1. Juni 2003

Dem die Wälder in sein Wesen wuchsen

Mit dem von Peter Motzan herausgegebenen Band „Ins Leere gesprochen. Ausgewählte Gedichte 1914-1966“ erscheint im vereinten Deutschland erstmals ein repräsentativer Querschnitt durch das lyrische Werk Alfred Margul-Sperbers.
Gegen Ende seines Lebens verfasste der schwer herzkranke Dichter Alfred Margul-Sperber (1898-1967) drei Strophen, die er im Angesicht des nahenden Todes mit dem Wort Erfüllung überschrieb und an deren Anfang die Verse stehen:

Dich in dich selber schlafen legen,
Geschlossnen Augs dich selber sehn:
Nun stillen bald dich Schnee und Regen,
Die Winde werden wilder wehn,

Die Wälder wachsen in dein Wesen
Dein Atem ahnt der Ahnen Art...


Die "Wälder" seiner Heimat allerdings, die des Buchenlandes, hatten lange vorher schon wuchernd vom Wesen dieses Lyrikers Besitz ergriffen, wurden ihm bereits in frühen Jahren zu Gleichnis und reine(r) Gestalt, begleiteten ihn auf seiner langen Straße durch unterschiedliche Länder und Gesellschaftssysteme, waren mit und Gras, mit See und Gefild eine der wenigen Konstanten seines "Schreibwegs", der sonst kaum Geradlinigkeit kannte.

Ihn, diesen "Schreibweg" - er führte von den ersten "elegischen Etüden" und den sich anschließenden "expressionistischen Ausbrüchen und Aufschwüngen" des Anfängers, über lyrische "Reduktionen der Naturlandschaft zur formvollendeten Gedichtlandschaft" als "Fluchtraum" am "Rande der dunklen Zeit" und, nach Kriegsende, über eine "erschreckende Selbstverstümmelung" beim Dolmetschen "anbefohlener Sozialtheorien ins Gereimte" hin zu den späten "Abschiedsszenerien" mit ihrer "Todesnähe als Grenzerfahrung" -, diese in sich gegensätzliche Entwicklung dokumentiert der Literaturwissenschaftler Peter Motzan mit einer feinfühlig und verständnisvoll getroffenen Gedichtauswahl sowie einem überaus kenntnisreichen Nachwort, die nebst einer Bibliographie Sperberscher Buchveröffentlichungen und einem Quellenverzeichnis der abgedruckten Texte unter dem Bandtitel Ins Leere gesprochen bei Rimbaud in Aachen erschienen sind.

Motzans Beschäftigung mit dem Lyriker reicht in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Bereits 1977 hatte sich der Literaturwissenschaftler in der Bukarester Zeitschrift Neue Literatur auffallend kluge Gedanken zu den divergierenden Streckenabschnitten des Sperberschen Entwicklungswegs gemacht und den Dichter einen "Proteus" genannt in Anlehnung an den verwandlungsfähigen, vielgestaltigen Meergott der griechischen Mythologie. Nach weiteren gelegentlichen Äußerungen folgte 1990 ein exhaustiver Forschungsbericht, den Motzan auf einem in Graz veranstalteten internationalen Symposion zu Fragen der deutschen Literaturgeschichtsschreibung Südosteuropas vorlegte. Darauf und auf zusätzlichen Recherchen im Bukarester Museum der Rumänischen Literatur, wo der inzwischen geordnete, umfangreiche Nachlass Sperbers heute zugänglich ist, basieren der nun herausgegebene "repräsentative Querschnitt" und das ihm zugehörige Nachwort.

Jenseits von deren unbestreitbarer literarhistorischer Qualität kommt dem Buch, in dem sie stehen, ein weiteres Verdienst zu: Hierzulande war Alfred Sperber, der deutsche Dichter jüdischer Herkunft, der Ende der zwanziger Jahre den biblischen Vornamen der verstorbenen Mutter Margula (Margarete) in abgewandelter Form seinem Nachnamen hinzugefügt hatte, im besten Falle als der Entdecker und frühe Förderer so bedeutender, ebenfalls aus der Bukowina stammender Lyriker wie Paul Celan oder Rose Ausländer bekannt, und das auch nur in Insiderkreisen der Literaturgeschichtler. Zwar war eine Auswahl seiner Gedichte 1973 unter dem Titel Verzaubertes Wort in der DDR erschienen, doch die war längst vergessen. Mit dem von Peter Motzan herausgegebenen Band erscheint nun im vereinten Deutschland die erste Sammlung aussagekräftigster Textproben aus Sperbers Schaffen, die einer breiteren Leserschaft Einsicht gewährt in das facettenreiche Werk des Lyrikers.

Der Querschnitt fördert "herausragende Höhepunkte" lyrischer Sagweise zu Tage, "Diskursqualitäten", die sich messen lassen am Eindrücklichsten, was vor und um die letzte Jahrhundertmitte an poetischen Wortmeldungen nicht lediglich in der rumäniendeutschen, sondern auch in der binnendeutschen Literatur auffindbar ist, wie das in der Zwischenkriegszeit namhafte Dichterkollegen Sperbers, unter ihnen Hermann Hesse und Josef Weinheber, Hans Carossa und Stefan Zweig, dem fernab im Südosten bloß aufs Selbstgespräch zurückgeworfenen Autor brieflich bescheinigt hatten.

Welch außergewöhnliche Sprachbegabung ihm eigen war, zu welch sicherem und ebenso leichthändigen Umgang mit dem Wort sie ihn befähigte, das belegten schon zu Sperbers Lebzeiten neben den eigenen lyrischen Schöpfungen ebenso die meisterhaften Nachdichtungen des kongenialen Übersetzers, allen voran die aus der rumänischen Volkspoesie, von deren Schönheit man bei einigen versucht ist, sie gar über die der jeweiligen Vorlage zu stellen. Proben davon hätten dem Band, selbst mit dem Risiko seine Einheitlichkeit aufzubrechen, nicht geschadet. Doch auch ohne derartige Addenda ist Motzans Ausgabe Sperberscher Lyrik ein wertvolles Buch, über dem für jeden seiner Leser die Zeilen aus einem Widmungsgedicht von 1941 stehen könnten:

Sieh: meine Augen lügen, wenn sie strahlen;
Was sie geschlossen träumen, das ist wahr.
Die ich im Liede lebe, Lust und Qualen,
Sind wirklicher als Mund und Stirn und Haar.

Und was du sonst von mir und meinem Leben
In Armen hieltest: du besaßt es nicht.
Ich habe mich viel tiefer dir gegeben,
Ich gab dir meine Seele: das Gedicht.

Hannes Schuster


Alfred Margul-Sperber: Ins Leere gesprochen. Ausgewählte Gedichte 1914-1966. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Peter Motzan. Rimbaud Verlagsgesellschaft mbH, Aachen 2002 (Texte aus der Bukowina, Band 12), 240 Seiten, 23 Euro. ISBN 3-89086-792-8.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 31. Mai 2003, Seite 9)

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