6. Juni 2003

Höhere Renten durch Berufserfahrung

Durch eine richtungsweisende Entscheidung hat das Bundessozialgericht wichtige Kriterien der Zuerkennung von Qualifikationen ohne förmliche Ausbildungsnachweise aufgrund von Berufserfahrung geklärt. Durch das Urteil vom 14. Mai 2003, Aktenzeichen B 4 RA 26/02 R, wurden benachteiligende Auslegungen der Rentenbehörden und einiger Gerichte beseitigt. Das Bundessozialgericht stellte fest, dass die Auslegung des Bayerischen Landessozialgerichts in der Entscheidung vom 10. Mai 2001 Bundesrecht verletze und deswegen aufzuheben sei.
Streitig war die Zuerkennung von Qualifikationsgruppen für Facharbeiter, die eine Tätigkeit zwar ohne formale Bildungsabschlüsse oder Zuerkennung der Qualifikation, aber aufgrund von Berufserfahrung ausgeübt haben.

Zum besseren Verständnis werden im Folgenden einige Grundzüge der Zuordnung von Rentenanwartschaften aus dem Herkunftsgebiet erläutert:

Für die Bewertung der Zeiten im Herkunftsgebiet ab 1950 gilt gemäß § 256b des Fremdrentengesetzes (FRG) grundsätzlich die Regel: Alle Beschäftigten werden je nach erworbener Qualifikation und ausgeübter Tätigkeit fünf Gruppen zugeordnet (Anlage 13 zum Sozialgesetzbuch Nr. 6). Hierbei steht Gruppe 5 für ungelernte und angelernte Tätigkeiten, Gruppe 4 für Facharbeiter, die Gruppe 3 für Meister, Gruppe 2 für Techniker und Gruppe 1 für Hochschulabsolventen. Eine weitere Unterteilung aufgrund der erworbenen Qualifikation gibt es nicht: Betroffene, die eine "Zwischenstufe" dieser Qualifikationen erreicht haben, werden in die darunter liegende Gruppe eingestuft. So erhält z.B. ein Hilfsmeister nur die Gruppe 4, weil er sich auf einer Zwischenstufe zwischen Facharbeiter und Meister befindet und die "Schwelle" für die nächsthöhere Gruppe 3 (den Meisterabschluss) nicht erreicht hat. Nach dem gleichen Schema verbleiben beispielsweise „Betriebsingenieure“ (subingineri) in Gruppe 2 und Absolventen von "Qualifikationskursen geringer Dauer" in Gruppe 5. Eine Qualifikationsgruppe kann zuerkannt werden, wenn entsprechende Tätigkeiten ausgeübt wurden und die Qualifikationsmerkmale der jeweiligen Gruppe erfüllt waren. Für Gruppe 4 (Facharbeiter) sind dieses Personen, die

a) entweder nach abgeschlossener Ausbildung in einem Facharbeiterberuf die Facharbeiterprüfung bestanden haben und im Besitz eines Facharbeiterbriefes sind

b) oder denen diese Qualifikation nach den Bestimmungen des Beitrittsgebiets (der ehemaligen DDR) zuerkannt worden ist.

Zu Variante b) stellte das Bundessozialgericht fest, dass Betroffene aus anderen Gebieten als der ehemaligen DDR (z.B. aus Siebenbürgen oder dem Banat) einer Qualifikationsgruppe nicht nach den Bestimmungen der DDR, sondern nach jenen des jeweiligen Vertreibungsgebietes zugeordnet werden. Die Anerkennung als Facharbeiter sei in Rumänien nach Besuch eines "Qualifikationskurses zweiten Grades" möglich gewesen, und nur auf diese Regelungen – und nicht auf jene der DDR - komme es bei der Zuordnung in Qualifikationsgruppen an, stellte das Bundessozialgericht klar.

Zusätzlich zu den beiden Varianten enthalte Satz zwei der Anlage 13 eine weitere Möglichkeit der Zuerkennung von Qualifikationsgruppen, und zwar

c) wenn Versicherte aufgrund langjähriger Berufserfahrungen Fähigkeiten erworben haben, die üblicherweise denen von Versicherten einer höheren Qualifikationsgruppe entsprechen.

Die Rentenbehörden hatten die Frage der "langjährigen Berufserfahrung" recht unterschiedlich ausgelegt – oft zu Ungunsten der Betroffenen. Besonders die Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden-Württemberg und die LVA Hessen hatten die Vorschriften der ehemaligen DDR angewendet. Nach der dort geltenden Facharbeiterprüfungsordnung vom 7.8.1973 könne eine Zuerkennung nach zehn Jahren vorgenommen werden, wenn bestimmte Altersgrenzen erreicht wurden. Nur dann könne die Berufserfahrung zuerkannt werden. Diese Auffassung hat das Bundessozialgericht nun als fehlerhaft bewertet. Auf die Regeln einer Zuerkennung komme es allenfalls bei Prüfung der Variante b (Anlage 13, Satz 1) an, nicht aber bei der Frage der "langjährigen Berufserfahrung". Der Gesetzgeber habe hierzu keine neue Regelung getroffen, maßgeblich für die Qualifikationgruppenzuordnung sei nach wie vor die Auslegung des Begriffs „langjährige Berufserfahrung“ aus dem (alten) Leistungsgruppenrecht und die dazu ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung. Es sei deswegen zu klären, wann nach den Kriterien des Herkunftslandes (Rumänien) der Facharbeiterberuf vollwertig ausgeübt werden konnte. Dieses könne allerdings nicht vor dem Zeitpunkt liegen, zu dem Facharbeiter mit Regelausbildung (Vollzeitberufsschule und Lehre am Arbeitsplatz) vollwertige Tätigkeit ausüben konnten.

Diese Auslegung ist völlig neu und ändert die bisherige Verfahrensweise grundlegend.
Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass

1) die in der DDR für eine Zuerkennung erforderliche Berufserfahrung von zehn Jahren zurückgelegt wurde (so lautet der noch fehlerhafte Kommentar des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger zum Sozialgesetzbuch, Anhang Band 1, zu § 22 FRG, Punkt 7.31). Ausreichend ist eine Berufserfahrung, wie sie nach dem alten Leistungsgruppenrecht erforderlich war (drei bis sechs Jahre für Facharbeiter).

2) eine bestimmte Altersgrenze (40 oder 45 Jahre) erreicht worden ist (so noch fehlerhaft das Sozialgericht Darmstadt im Urteil vom 24. August 2000, Aktenzeichen S 1 RJ 764/99, inzwischen aufgehoben aufgrund der erläuterten BSG-Rechtsprechung durch Urteil des Landessozialgerichts Hessen vom 23. Mai 2003, Aktenzeichen L 13 RJ 1086/00).

3) die ausgeübte Tätigkeit auch in der DDR als Facharbeitertätigkeit organisiert war. Zu vergleichen ist lediglich, ob das Tätigkeitsniveau dem eines Facharbeiters im Herkunftsland entsprach (so schon zutreffend Müller in: "Die Qual mit den Qualifikationsgruppen" in Die Angestellten Versicherung – DangVers 10/95, Punkt 5).

Die Berufserfahrung wird ab dem Zeitpunkt erworben, wenn Tätigkeiten der jeweiligen Gruppe verrichtet werden, und die Höherstufung erfolgt zu dem Zeitpunkt, zu dem aufgrund dieser Berufserfahrung Kenntnisse eines Facharbeiters angesammelt worden sind.

Die Zuordnung in entsprechende Qualifikationsgruppen ist auch für die anderen Qualifikationsstufen (Meister, Techniker, Hochschulabsolvent) aufgrund von Berufserfahrung möglich, wobei es hier auf die für diese Tätigkeit erforderliche Zeit der Berufserfahrung ankommt. Auch diese kann nicht kürzer als die Dauer einer regulären Ausbildung sein.

Die Ausübung entsprechend qualifizierter Tätigkeiten, die zum Erwerb der Berufserfahrung geführt haben, kann gemäß Paragraph 4 des Fremdrentengesetzes auch durch Zeugen glaubhaft gemacht werden.

Betroffenen wird empfohlen, unter Vorlage eines genauen beruflichen Lebenslaufes und aller Belege prüfen zu lassen, ob sie einer besseren Qualifikationsgruppe aufgrund von Berufserfahrung zugeordnet werden können. Laufende Renten werden gegebenenfalls vier Kalenderjahre ab Überprüfungsantrag rückwirkend nachgezahlt. Wegen der besonderen Auswirkung des § 262 SGB VI (Mindestentgeltpunkte) sollte jedoch vor Antragstellung überprüft werden, ob sich die neue Zuordnung in Qualifikationsgruppen positiv oder negativ auf die Rentenhöhe auswirkt.

Hilfestellung erteilen Rechtsanwälte und Rentenberater, die über besondere Erfahrungen im Fremdrentenrecht und auf dem Gebiet der Rentenberechnung verfügen.

RA Bernd B. Fabritius, München

Bewerten:

10 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.