13. Juni 2003

Annette Schavan: "Siebenbürger sind weltweites Modell für gelebte Toleranz"

Die Siebenbürger Sachsen sind ein „weltweites Modell für gelebte Toleranz von Verständigung“, erklärte die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan in ihrer Festrede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende dankte den Siebenbürgern, dass sie als Kulturschaffende in vielen Orten Deutschlands Gemeinsinn stiften und damit der Isolierung des Einzelnen, die durch die Wohlstandsgesellschaft drohe, entgegenwirkten. Die Rede wird im Wortlaut wiedergegeben.
Es ist schön bei Ihnen! Ich grüße Sie zu diesem festlichen Pfingsttreffen im wunderschönen Dinkelsbühl und überbringe Ihnen die herzlichen Grüße des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel.

Die baden-württembergische Kultusministerin während ihrer Festrede am Pfingstsonntag 2003 in Dinkelsbühl. Foto: Petra Reiner
Die baden-württembergische Kultusministerin während ihrer Festrede am Pfingstsonntag 2003 in Dinkelsbühl. Foto: Petra Reiner

Die Botschaft von Pfingsten, die wir soeben im Gottesdienst gehört und die viele von uns möglicherweise an einer anderen Stelle erfahren haben, stiftet Perspektiven. Uns wird der Geist der Verständigung zugesagt, der Geist, der Mauern einreißt, der Geist, der zusammenführt und Brücken baut zwischen Kulturen und Regionen und Religionen. Der Geist, der zu besserem Verstehen hilft, der Geist, der das Gewirr der Sprache und des Nicht-Mehr-Verstehens aufbricht. Das gehört zu unseren gemeinsamen Vision für Europa. Dieser Geist, der Gemeinsinn stiftet, der das Sprachengewirr aufbricht und Verständigung stiftet.

Die Siebenbürger Sachsen sind ein weltweites Modell für die gelebte Toleranz von Verständigung, dafür, dass Menschen aus unterschiedlichen Religionen zusammenfinden und Gemeinsinn entsteht. Ich möchte Ihnen von Herzen danken dafür, dass Sie in vielen Gemeinden und Städten in unserem Land als Kulturschaffende im wahren Sinn des Wortes wirken. Sie wirken an einer Kultur für Toleranz, für Verständigung und Gemeinsinn.

Das ist deshalb so wertvoll, weil wir wissen, dass in einer Wohlstandsgesellschaft die Gefahr groß ist, dass jeder nur noch seinen eigenen Weg geht und Gemeinschaft verloren geht. Aus Begegnungen mit jungen Menschen wissen wir, wie sehr sie Gemeinschaft suchen, wie sehr sie auf der Suche sind nach Orientierung, wie sehr sie fragen nach Tradition und auch wieder nach Geschichte. Auch das gehört zu unserem Auftrag heute, dass wir ihnen Antwort geben auf ihre Fragen nach der Tradition, nach der Geschichte des 20. Jahrhunderts nach dem, was geschehen ist, weil junge Menschen einen Anspruch darauf haben, dass sie lernen können aus der Geschichte, einen Anspruch darauf, dass wir nicht so schnell vergessen. Sie müssen lernen, wie das 20. Jahrhundert war.

Das Bewusstsein für Geschichte, das Fundament für den gemeinsamen Bau an einer Zukunft, das gehört nach meiner festen Überzeugung in die Prozesse der modernen Bildung und Erziehung, und deshalb sind die Themen Flucht und Vertreibung und das, was in diesem Zusammenhang wichtig ist an Erkenntnissen und Erfahrungen, in baden-württembergischen Lehrplänen verankert, und es gehört in alle Lehrpläne aller 16 Bundesländer.

Sinn für Tradition, Sinn für Geschichte, das ist das Gegenmittel gegen die Flüchtigkeit und auch gegen die Selbstverliebtheit unserer Tage. Aus dem Augenblicke heraus nur zu leben, ist über kurz oder lang ein Leben in Beliebigkeit. Daraus wächst keine Zukunft. Die Siebenbürger Sachsen sind erfahrene Mittler, zwischen Alt und Jung, zwischen Ost und West, zwischen ganz verschiedenen Gruppen, die lernen müssen, sich in ihrer Verschiedenheit zu verstehen, zu verständigen, miteinander zu leben.

In keiner Rede heute fehlt der Hinweis darauf, dass wir in einer Welt leben, in der es immer mehr Globalisierung gibt, immer mehr Mobilität der Menschen: Je mobiler Menschen werden, um so größer ist die Sehnsucht nach heimatlicher Verbundenheit. Sie ist unabhängig vom Ort. Sie hat zu tun mit menschlichen Beziehungen. Heimat wird gestiftet, wo Menschen zueinander finden. Heimat wird gestiftet, wo Menschen Kultur schaffen. Heimat wird gestiftet, wo Menschen ihren Glauben miteinander leben können. Das gehört zu unserer Vision von Europa.

Miteinander leben, miteinander glauben in aller Verschiedenheit, miteinander an der Zukunft des europäischen Kontinentes arbeiten, in dem nicht nur gemeinsame Währung in den Sinn kommt, wenn man an Europa denkt, sondern Kultur, Religion, Gemeinschaft, Verständigung, Friedensbereitschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts, das so gefährdet ist, wie alle Jahrhunderte zuvor.

Europa als Kontinent der „Partner in Gemeinschaft“. Daran werden wir arbeiten in den nächsten Jahren, und da können wir viel lernen von Ihnen. Und damit dieses Lernen noch besser wird, finde ich, das es eine gute Idee ist, die seit einiger Zeit diskutiert wird, ein Zentrum zu errichten, in dem informiert wird über Vertreibung, über diesen Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts, der so unendlich viele Wunden geschlagen hat. Die Landesregierung von Baden-Württemberg befürwortet deshalb die Einrichtung eines Zentrums zur Dokumentation der Vertreibungen, von Flucht und Vertreibung des 20. Jahrhunderts. Auch im Sinne von größerer Kenntnis künftiger Generationen.

Schließlich hat Prof. Hans Klein darauf hingewiesen: Gott ruft uns auf zur Versöhnung. Der 5. August ist der Tag der Verabschiedung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen. Ich finde, das ist ein guter Tag für einen nationalen Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung.

Das kann eine Station im Laufe des Jahres werden, an der wir Geschichte in Erinnerung bringen, die uns helfen soll, dieses 21. Jahrhundert jedenfalls in der kurzen Zeitspanne, die uns gegeben ist, zu nutzen für ein Mehr an Frieden in dieser friedlosen Welt, für ein Mehr an Achtung der Würde eines jeden Menschen, für ein Mehr an Toleranz zwischen Nationen und Religionen, für ein Mehr an Verständigung, an Gemeinsinn, an Zusammenhalt in unseren Gesellschaften. In Deutschland, in Europa und international.

Ich grüße sie nochmals sehr herzlich zu diesem wunderschönen festlichen Tag. Ich wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen von Herzen ein gesegnetes und frohes Pfingstfest. Der Geist Gottes möge uns begleiten in den kommenden Wochen und Monaten.

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