2. Juli 2003

Portrait der Textilkünstlerin Margret Riedl

Unter dem Titel "Filzkunst - ein Textilprojekt in Heltau von Margret Riedl" präsentierte die Textilkünstlerin Riedl zu Pfingsten eine ausgewählte Arbeiten im Evangelischen Gemeindehaus St. Paul in Dinkelsbühl. Bundesfrauenreferentin Enni Janesch wies in ihrer Begrüßungsansprache auf die besondere Bedeutung eines Textilprojektes von Margret Riedl in Heltau hin, bei dem arbeitslose Frauen eingebunden sind. In die Ausstellung führte die Kultur- und Frauenreferentin der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen, Waltraud Fleischer, ein. Ihr Vortrag wird im Folgendem in leicht gekürzter Fassung wiedergegeben.
Wer ist eigentlich Margret Riedl, werden sich manche fragen. Margret Riedl wurde 1949 in Junkom, in der Ukraine, d.h. in russischer Kriegsgefangenschaft, als Tochter der Heltauerin Lieselotte Bilstein und des Österreichers Klemens Riedl, geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie gemeinsam mit ihrem Bruder in Köln. Die Heimat des Vaters war beiden Kindern sehr vertraut, die Heimat der Mutter kannten sie nur aus Erzählungen. Von 1971 – 1974 studierte Margret Riedl Sozialpädagogik, ein Fach, das mit hoher psychischer Belastung verbunden ist. Diesen Beruf übte sie 27 Jahre aus. Einen Ausgleich für diese Belastung fand sie in kreativen Techniken wie Plastizieren, Zeichnen, Malen, Weben und zuletzt Filzen. Seit 1984 liegt der Schwerpunkt ihrer Arbeit in der Textilkunst. Kein Wunder, ist sie doch „erblich belastet“, wie sie selbst sagt: „Das Textil-Gen meines Großvaters und die kreative Unbekümmertheit meines Vaters führten mich wohl zwangsläufig über textile Experimente und Expressionen zur Textilkunst.“

Margret Riedl und ihre Filzkunst - hier der Baum in den vier Jahreszeiten. Foto: Günther Melzer
Margret Riedl und ihre Filzkunst - hier der Baum in den vier Jahreszeiten. Foto: Günther Melzer

Mit ihren handgewebten Tapisserien beteiligte sie sich an verschiedenen Gruppen- und Einzelausstellungen. Seit 1996 nimmt die Künstlerin regelmäßig an internationalen Textilsymposien in der Ukraine und Georgien teil – im Jahr 2000 erhält sie eine Einladung in die Ukraine, um dort einen Meisterklasse-Workshop "Filzen" zu leiten.

Im gleichen Jahr besucht sie zum ersten Mal Heltau, die Heimat ihrer Mutter. Ausschlaggebend dafür war der Besuch der Expo 2000 in Hannover: „Auf der Hannoverschen Expo 2000 im rumänischen Pavillon holte sie mich wieder ein, meine Familiengeschichte.“ Das schreibt Margret Riedl in der Zeitschrift Textilforum 2/2002. Ein Raum trug die Überschrift „Die fleißigen Weber von Heltau“. Ein ganzer Raum war der kleinen Stadt gewidmet, in die ihr Großvater – ein Textilingenieur aus Wuppertal–Ronsdorf - Anfang der Zwanzigerjahre, mit nur vier Bandwebstühlen im Gepäck, ausgewandert war. In Heltau selbst spürte sie das Verlangen, dort etwas zu tun, zu helfen. Aus diesem Verlangen heraus entwickelte sich die Idee ihres Filzprojektes und das genau 80 Jahre nachdem ihr Großvater Fritz Bilstein in Heltau die Seidenfabrik gegründet hatte. In Heltau entstand dann in den letzten beiden Jahren ein Teil der Wandobjekte dieser Ausstellung. (...)

Die Kunst des Filzens erlernte sie vor neun Jahren in einem Kurs bei dem Ehepaar Marie Nagi und Istvan Vidak. Istvan Vidak, ein aus Siebenbürgen stammender Ungar, der in Österreich lebt, studierte das Filzen in der Urheimat dieser Technik, im Kaukasus (...). Bei unserer Künstlerin entwickelte sich das Filzen zu einer Leidenschaft, der sie sich heute voll widmet. Es ist der Arbeitsprozess, der sie so fasziniert. Nur mit bloßen Händen, Wasser und Seife werden unzählige Wollfasern zu einer stabilen Fläche verbunden. Die Weichheit des Materials fordert Kraft und Konzentration, gleichzeitig ein feines Gefühl für das technisch Machbare. Das monotone Reiben der ungesponnenen Wolle erlebt sie ähnlich einer Meditation, in der die Außenwelt zurück tritt und sich innere Welten öffnen.

Ihre Tapisserien sind intuitiv entstandene Äußerungen ihrer momentanen Befindlichkeit, zumal Margret Riedl ohne vorherigen Entwurf an die Arbeit geht. Ausgangspunkt für ihre Arbeiten ist allenfalls der gewünschte Farbklang, ansonsten lässt sie sich leiten von ihren Gefühlen und Gedanken. Ihre Bilder entstehen aus einem „Chaos von zigmillionen Wollfasern“. Aus spontanen Entscheidungen heraus entwickelt sich ein Bildzusammenhang. Geplantes und Zufälliges verbinden sich zu einem Neuen. Das wiederum erfordert ein Äußerstes an Konzentration und Kraft. Bei der Entstehung eines Bildes bleibt die Spannung bis zum Schluss erhalten, denn das Auflegen der Vorfilze erfolgt von der Draufsicht zum Hintergrund.

Als Betrachter kann man manches in den fertigen Werken durchaus nachvollziehen, etwa in der Arbeit „Zäune – Begrenzungen“. Margret Riedl nennt diese Arbeit auch „Resteteppich von Material und Gefühlen“. Alles, was an Resten da war, wurde reingesteckt. Es wurde typisch siebenbürgisch, also sparsam gearbeitet. Ausgangspunkt war ein verunglücktes Tuch, bei dem in Heltau der Filzprozess nicht gelungen war. Dieses Tuch zerschnitt die Künstlerin zum Entsetzen dreier Frauen aus Heltau. Dazu kam ihre gedrückte Stimmung durch den viel zu frühen Verlust eines sehr guten Freundes und die Unzufriedenheit über die hohe Anzahl missglückter Filzpapuschen, die ebenfalls der Schere zum Opfer fielen, aber auch Zöpfe, die eine der drei Frauen mit viel Ausdauer flocht. Das Ergebnis, entstanden durch das „Collagieren“ zuvor gefilzter Stücke, ist eine fantastische, großformatige Arbeit, auf der zwei Kreuze zu entdecken sind. Diese symbolisieren die Hoffnung in der Traurigkeit, sie symbolisieren die Heltauer Kirche als den einzigen Ort der Hoffnung und des Aufatmens für die Menschen.

Das zweite Bild, auf das ich näher eingehen möchte, die „Zerschossene Sonne“, lässt den intuitiven Ansatz dieser Arbeit klar erkennen. Sie entstand während des Irak-Krieges, am 18. März diesen Jahres. Die Sonne, die für etwas Strahlendes, Schönes, für Leben steht, wollte nicht gelingen. Wütend zerschnitt die Künstlerin diese Arbeit und legte Fäden darauf. Der neue Filzprozess ergab die „Zerschossene Sonne“. Andere Werke sprechen allein durch Farbe und Form, wirken auf den ersten Blick so zart und leuchtend wie Aquarelle, sind teils aus streng geometrischen Formen zusammengesetzt oder entwickeln sich aus gestischen Linien. Die Wandbilder sind in fünf Gruppen unterteilt, der Baum in den vier Jahreszeiten, aber auch ein versteinerter Baum, verschiedene Kreuze, Sonnen, Begrenzungen / Zäune und Blumen. Natürlich dürfen die Filzschuhe, Papuschen, nicht fehlen.

Seit 2002 hat sich die Farbzusammenstellung in den Arbeiten der Künstlerin verändert. Die in ihrer eigenen Werkstatt („Textil Unicat“) für Gewebtes und Gefilztes am Rande des Naafbachtales, in einem Naturschutzgebiet in NRW, entstandenen Arbeiten sind eher naturalistisch, stimmig, Ton in Ton oder sehr kontrastreich. Die Heltauer Tapisserien wirken farbenfroher, fröhlicher, lebendiger, denn die Künstlerin ließ sich von den Wünschen der Heltauerinnen anspornen und filzte „Kunst für sie“, Blumen und Bäume. Die anderen Arbeiten stuften die Frauen ihrem Empfinden nach in zwei Kategorien ein, einmal in „Arte Bukarest“, damit sind die verschiedenen Kompositionen gemeint, und in „Arte biserica“, die Kreuze. In Heltau knüpfte Margret Riedl, fasziniert durch die wunderbare Lederapplikation auf den Kirchenpelzen, auch an die alte siebenbürgische Tradition an. Sie ließ typische Motive wie den Lebensbaum oder diverse stilisierte Blumen in der Filztechnik neu aufleben.

Waltraud Fleischer

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