6. April 2001

Erfolgreiche Bilanz: 50 Jahre Südostdeutsches Kulturwerk

Es sei mit ein „Verdienst des Südostdeutschen Kulturwerks und des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas“, dass der „Faden des Dialogs“ zwischen Deutschland und dem südöstlichen Europa nie „gerissen“ sei, auch in den Zeiten des Eisernen Vorhangs nicht und umso weniger nach dem Fall von Mauer und Systemgrenzen. Diese Einschätzung stellte Matthias Buth, Ministerialrat beim Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, an den Anfang seiner Rede beim Festakt, mit dem am 23. März das 50-jährige Bestehen der wissenschaftlichen Einrichtung im voll besetzten Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz gefeiert wurde.
Damit hatte der Abgesandte aus Berlin, wie die übrigen Festredner auch, dem zentralen Gedanken Ausdruck verliehen, der über den Jubiläumsveranstaltungen mit Feierstunde, Galaempfang im Kaisersaal der Residenz durch die bayerische Staatsegierung und ihren Staatssekretär im Sozialministerium Georg Schmid, mit Buchausstellung und einer Podiumsdiskussion im Studio 2 des Bayerischen Rundfunks stand.
Vor genau fünf Jahrzehnten, im März 1951, hatten neun Angehörige deutscher Minderheiten aus Ländern Südosteuropas in einer Münchner Privatwohnung als eingetragenen Verein eine „Südostdeutsche Forschungsstelle“ gegründet, die sich, wie Franz Hutterer, der heutige Erste Vorsitzende der Vereinigung, beim Festakt aus den Satzungen zitierte, „der Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen“ zur deutschen Kultur und Sprache, aber auch Recherchen zu den „allgemeinen Verhältnissen des Gesamtraums“ widmen wollte. Daraus entstand 1955 das „Südostdeutsche Kulturwerk“ mit Verlag und seinem heutigen „Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas“, das vornehmlich im letzten Jahrzehnt rege Kontakte und Austausche pflegt zu wissenschaftlichen Institutionen im genannten „Vielvölkerraum“, der geprägt ist, so Hutterer, „durch Mehrsprachigkeit, kulturelle Vielfalt, eine reiche Geschichte, unterschiedliche ökonomische Strukturen und politische Zwänge“, in „kirchlichen Zentren der Orthodoxie, dem Katholizismus wie dem Protestantismus zugewandt, politisch nach Selbständigkeit strebend, im Einfluss- und Interessenbereich europäischer Mächte stehend, gebraucht und missbraucht“, eine Region, die „ihre kulturelle Eigenart bewahren möchte“ und sich gleichzeitig ihrer „Zugehörigkeit zu Europa“ bewusst ist. Die dortigen kulturhistorischen Gegebenheiten und Entwicklungen zu hinterfragen, ist und bleibt faszinierende Aufgabe wissenschaftlicher Untersuchung, deren Ergebnisse durchaus auch politisch aufschlussreich sein können, meinte Hutterer in seinem Wort an die Festversammlung, die musikalisch vom Pianisten Peter Szaunig, dem Geiger Johannes Hartmann und der Mezzosopranistin Hildegard Bergel u.a. mit Kompositionen Helmut Sadlers und Paul Richters umrahmt wurde.
Gerade München war es, das schon im „frühen 20. Jahrhundert zu einem Zentrum der Ost- und Südosteuropaforschung in Deutschland“ wurde, erinnerte Staatssekretär Schmid aus dem bayerischen Sozialministerium. Die Entwicklung gründete auf den vielfältigen Wirtschaftlichen, politischen und Kulturbeziehungen, die Bayern seit dem frühen Mittelalter etwa mit Ungarn, dann aber auch mit dem gesamten südosteuropäischen Raum gepflegt hat. Das Südostdeutsche Kulturwerk und sein Institut setzten also am Standort München, so Schmid in seiner Grußansprache, eine bewährte Tradition fort, und demgemäß sei auch die Zusammenarbeit mit dem Freistaat hervorragend. So habe das Institut allein in den letzten Jahren mit eigenen Programmen erfolgreich mitgewirkt an der Bayerischen Woche in Ljublijana (1995), den Bayerisch-Rumänischen Kulturtagen in München (1999) und den Bayerischen Kulturtagen in Hermannstadt (2000). Vereinigung und Institut seien „Kontakt- und Kooperationsstelle geworden für Germanisten und Historiker, die aus Südosteuropa kommen“, vor allem aber für Studenten, für junge Menschen also, worin die Zukunft der hiesigen Arbeit liege.
Ausführlich und prägnant formulierend widmete sich in der Feierstunde Matthias Buth dem nicht nach wie vor problematischen Umgang der Bundesrepublik, ihrer Politik und Gesellschaft mit der Geschichte und Kultur der Deutschen in Ost- und Südosteuropa. Für viele in unserem westlich orientierten Bürgerstaat, der „auch elf Jahre nach der Vereinigung seine Wesensmitte noch nicht gefunden“ habe, sei allgemein der „Osten“ immer noch ein „Synonym für Rückständigkeit, Millardengräber bzw. – kulturgeschichtlich gesehen – für etwas vielleicht doch nicht so ganz Ernstzunehmendes“, meinte Buth, was in seinen Augen „grotesk, ungerecht und borniert“ sei und „mit einer offenen Wahrnehmung unserer Nachbarn und deren Kultur und Geschichte nichts zu tun“ habe. Die „Befassung“ damit werde „von der großen Mehrheit der Bundesbürger als Aufgabe lediglich der Politik verstanden“ oder im besten Falle „auf die Vertriebenen und Flüchtlinge delegiert“. Der Redner wörtlich: „In Wissenschaft und Kultur gilt es immer noch als politically correct, sich eher mit westeuropäischen und transatlantischen Prozessen und Phänomenen zu befassen. Die Geschichte und vornehmlich die deutsche Geschichte im östlichen Europa spielt zuweilen die Rolle des Abseitigen.“
Diese Geschichte sei „Jahrzehnte verdrängt“ worden, weil zum einen „Auschwitz, d.h. die Schuld der Deutschen und Deutschlands, kein unbefangenes Erinnern und Erforschen erlaubten“, und zum anderen, „weil die zwölf Millionen Vertriebene und Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR lediglich Geduldete waren, Fremde und Eindringlinge, die zu kuschen und sich einzugliedern hatten“. Die Folge sei „eine Ausklammerung und Tabuisierung von Geschichte“ gewesen, „entweder aus dominanter Wirtschaftswundergläubigkeit und fast paranoidem Blick nach vorn oder aus SED-diktatorischer Sprach- und Bewusstseinssteuerung“. Heute jedoch, im Zuge europäischer Annäherung, dürfe sie, diese Geschichte, keinesfalls mehr als Sache der „Vertriebenenkultur stigmatisiert und abgetan werden“, dies sei „eine gesamtstaatliche Aufgabe, die sich nicht erledigt hat“.
Buth im Resumee: „Das gelehrte Deutschland, von dem Schiller spricht, kann nicht identisch sein mit dem politischen und ist mithin nicht begrenzt auf das Vereinigungsdeutschland des Jahres 1990. Das geistige Deutschland liegt u.a. in der deutschen Aufklärung in Königsberg, bei Kant und Hamann, es liegt in den Archiven von Czernowitz und in Bukarest, in den Kirchenburgen Siebenbürgens, die zu Recht von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurden, im Barock-Dom von Temeswar, aber auch in den Gedichten von Werner Söllner und Anemone Latzina sowie in den Verzweiflungsversen von Nikolaus Lenau. Unverzichtbar auf dem Wege zur Selbstfindung als Nation oder als demokratische Bürgergesellschaft ist es, die historischen Wurzeln im Osten Europas freizulegen, die Interkulturalität jedes Menschen in Geschichte und Gegenwart zu erkunden sowie Interferenzen von Kulturräumen anschaulich zu machen – uns und unseren Nachbarn.“ Bewusst gemacht werden müsse, „dass das östliche Europa Voraussetzung ist für das europäische Deutschland, von dem Thomas Mann sprach“. Dazu einen Beitrag geleistet zu haben und noch zu leisten, sei Verdienst und zugleich Aufgabe unter anderen auch des in München gefeierten Kulturwerks und Instituts. Buth kündigte an, dass sein Dienstherr, Staatsminister Nida-Rümelin, „eine Reise in die östlichen Nachbarländer, so auch nach Rumänien“, plane, um in Einklang mit den Absichten der Bundesregierung im gleichen Sinne zu wirken.
Dass gerade auch die Südosteuropaforschung der Europapolitik dienlich sein kann, verdeutlichte unter anderem in seinem Festvortrag der Wiener Historiker Prof. Horst Haselsteiner, wenn nämlich die Wissenschaft mit Aktualitätsbezug betrieben und aufgrund des Quellenstudiums Orientierungshilfen geboten werden. Haselsteiner war es auch, der während einer Podiumsdikussion im Studio 2 des Bayerischen Rundfunks Schwerpunkte setzte. An ihr, die souverän von BR-Chefredakteur Johannes Grotzky moderiert wurde, beteiligten sich neben Matthias Buth sowie Germanisten und Geschichtswissenschaftlern aus Ungarn, Jugoslawien, Slowenien und Österreich auch der Klausenburger Hochschulrektor Andrei Marga sowie der siebenbürgisch-deutsche Schriftsteller und Publizist Hans Bergel. Zentrales Thema war die Frage nach dem Selbstverständnis von Einzelvölkern und Regionen und dessen Funktion im europäischen Intergrationsprozess. Dazu sagte Haselsteiner, dass jeder Mensch, zumal der heutige Jugendliche, „mehrere Identitäten“ besitze, und vor allem wenn diese „visionär und zukunftsorientiert“ seien, müsse um Europa, auch in dessen Südosten, immer weniger gebangt werden.

Hannes Schuster

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