26. Juli 2003

Deutsche Handwerksgesellen entdecken Hermannstadt

Sie fallen dem Besucher im Zentrum von Hermannstadt sehr bald auf, die Burschen und Mädchen in schwarzweißer Arbeitstracht mit ihrem schwarzen breitkämpigen Hut, vor allem beim Aufbau des Dachstuhles vor dem Sagturm an der Sagstiege, die hinunter zur Saggasse und weiter zum Zibinsmarkt führt. Neben diesem Projekt sind die deutschen Gesellen in der Reispergasse im schönen alten Haus, das im Kirchenbesitz ist, an der Reparatur einer alten Treppenanlage und im etwa 25 km entfernten Freck an der Renovierung der ehemaligen Orangerie in der "Brukenthal?schen Sommerresidenz" beschäftigt.
"Richtfest beim Sagturm", Pfarrer Kilian Dörr schlug feierlich den letzten Nagel ein, so titelt die Hermannstädter Zeitung vom 4. Juli 2003 einen Beitrag über derzeit in Hermannstadt handwerklich tätigen Wandergesellen aus Deutschland. Auch die Bukarester Tageszeitung Evenimentul zilei vom 21. Juni 2003 berichtete in einem halbseitigen Artikel über die "Calfe medievale in Cetatea Sibiului" (Mittelalterliche Gesellen in der Burg Hermannstadt).

Seit letztem Jahr hat es sich herumgesprochen, dass Wandergesellen in Hermannstadt ein lohnendes Ziel mit Gesellenunterkunft und vernünftigen Arbeitsprojekten in mittelalterlichem Ambiente vorfinden. Durch Mundpropaganda, aber auch per Internet erfuhren sie von den ausgeschriebenen Projekten des als Arbeitgeber fungierenden Stadtpfarrers Kilian Dörr. Sie reisen immer per Anhalter, um ihre handwerklichen Fähigkeiten zu vervollkommnen. Und es gefällt ihnen offenbar am Zibin. Denn über 40 junge Burschen und Mädchen aus Deutschland sind seither für höchstens drei Monate in die Stadt am Zibin tätig gewesen. Zurzeit sind zwei Tischlergesellen-Mädchen und neun Handwerksburschen aus den Berufen der Holzbearbeitung in Hermannstadt.

Ein blonder, hünenhafter Geselle namens Martin Sydow aus Rheinsberg in Brandenburg, mit drei anderen am Dachstuhl des Sagturmes am Huetplatz arbeitend, gibt bereitwillig Auskunft über seine Erlebnisse. Gemäß mündlicher Vereinbarung mit dem Stadtpfarrer erhalten die Gesellen freie Kost und Quartier im Gesellenhaus (Räumlichkeiten im Sagturm und angrenzend Richtung Brukenthalschule, Unterkunft mit zehn Betten und zwei Tischlerwerkstätten) dazu ein Taschengeld, von dem einer der Ihren als Küchenwart täglich frisches Obst und Gemüse am nahen Markt kauft und abends ein warmes Essen für alle zubereitet. Mittags treffen wir die Gesellen in der Kantine des Theologischen Institutes.

Mit dabei ist die Tischlergesellin Daniela mit ihrem Mischling Lusy, den sie aus Amerika mitgebracht hat und der jetzt die Unterkunft bewacht. Sie kommt aus der Gegend von Baden-Baden und befindet sich nach Lehre und Berufsschule schon seit dreieinhalb Jahren auf Wanderschaft. In der Tischlerwerkstatt Hermannstadt bearbeitet sie Fenster für Restaurierungsprojekte der Deutschen Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und der örtlichen Evangelischen Kirchengemeinde.

Martin und Daniela sind positiv überrascht über die Verhältnisse in Rumänien. An manchen Wochenenden erkunden sie Land und Leute rund um Hermannstadt mit dem kircheneigenen Mikrobus. Allerdings müsse man hier viel mehr organisieren und improvisieren als in Deutschland, stellen beide fest. ?Richtige Arbeit zusammenzukriegen ist hier sehr zeitaufwendig?, sagt Daniela. Auch Birte ist angehende Tischlerin und trägt wie alle die Tracht der Gesellen für die Holzberufe. Bemerkenswert ist, dass die Gesellen ihre Arbeiten mit großer Eigenständigkeit durchführen und weit und breit ist kein Meister in Sicht, der ihnen Vorgaben, vielleicht auch fachliche Hilfe geben könnte.

Stadtpfarrer Kilian Dörr bestätigt, dass die jungen Leute ihre Arbeit stets gewissenhaft und ordentlich verrichten. Ihren Eintrag in das obligate Wanderbuch nimmt der Pfarrer gemeinsam mit Bürgermeister Klaus Johannis vor, um den Aufenthalt der Gesellen in Hermannstadt zu belegen.

Johannes Barth, Geselle aus Wiesbaden, der beim Richtfest des Sagturmes den Richtspruch mit ?humorvollen Einlagen? dem Publikum aufsagte, freut sich über ein kleines Buchgeschenk von uns. In seinem knappen Gepäck hat das interessante Heft ?Geschichte der Siebenbürger Sachsen in Daten? von Dr. Michael Kroner noch Platz. Die Gesellen begutachten es reihum und zeigen Interesse, auch auf diesem Wege mehr über Siebenbürgen zu erfahren.

Walter Klemm


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 12 vom 31. Juli 2003, Seite 4)

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