27. Juli 2003

Gemeinschaft in Siebenbürgen erlebt

Viele Siebenbürger Sachsen würden zwar gerne noch einmal ihre alte Heimat besuchen, verzichten aber auf die beschwerliche Fahrt, da sie vom Anblick des von fremden Menschen bewohnten Elternhauses oder anderen Ängsten zurückschrecken. Eine in allen Hinsichten gelungene Fahrt nach Rumänien erlebten hingegen die Mitglieder des Reußmarkter Chores aus München und andere Beteiligten.
Ihr Schlüsselerlebnis war die Gemeinschaft. Diese hilft jedes Hindernis zu überwinden und hilft geteilte Freude um ein Vielfaches zu vermehren. Was macht es aus, dass Fahrt und Grenzabfertigung wieder einmal lange dauern, wenn man Liederbücher und Chormappen dabei hat, wenn Singen und Spaß einander abwechseln! Die Reisenden übernachteten in einem neuen, sauberen und preisgünstigen Hotel neben dem Reußmarkter Bad. Die Küche der nahe liegenden Gaststätte hat in ganz Rumänien einen guten Ruf, und das zu Recht. Unter den duftenden Lindenbäumen kann man den warmen Abend genießen. Der Frühstückstisch ist mit sehr viel Liebe gedeckt, wie es die inzwischen vielgereisten Siebenbürger Sachsen anderswo besser nicht erlebt haben.

Pfingstfest in Reußmarkt: HOG-Vorsitzender Wilhelm Spielhaupter, Pfarrer Wilhelm Meiterth und Kurator Michael Fleischer leiten die Kirchengemeinde zur Gedenkfeier auf den Friedhof. Foto: Oswald Kessler
Pfingstfest in Reußmarkt: HOG-Vorsitzender Wilhelm Spielhaupter, Pfarrer Wilhelm Meiterth und Kurator Michael Fleischer leiten die Kirchengemeinde zur Gedenkfeier auf den Friedhof. Foto: Oswald Kessler

„Vier ‚Foasten‘ (Pfingstbirken) standen vor dem Eingang zur Wehrkirche in Reußmarkt ... und zwei junge Birken vor dem Tor zum Pfarrhof. Kirchenvater Michael Hann hatte sie geschnitten und hierher gepflanzt“, beginnt Hannelore Baier ihren einfühlsamen Bericht „Fest im Zeichen der Heimat“ in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien vom 10. Juni. Wir erlebten Pfingsten wie eh und je. In der Heimat gebliebene Männer und Frauen aus Reußmarkt und Großpold haben das durch ihren Einsatz den aus Deutschland angereisten Gäste ermöglicht. Eine von Simon Dietrich zusammengestellte Bläsergruppe und der von Paul Staedel geleitete Chor der Reußmarkter aus München gestalten die beiden Gottesdienste in Reußmarkt und Großpold mit. Die beiden Gastgeber, Pfarrer Wilhelm Meiterth aus Großpold, zusammen mit dem Reußmarkter Kurator Michael Fleischer und dem Vorsitzenden der HOG Reußmarkt, Wilhelm Spielhaupter, dem Organisator dieser Pfingstreise, leiten nach dem Gottesdienst in Reußmarkt die Kirchengemeinde zur Totengedenkfeier auf den Friedhof. Auch hier wirken die Bläser und Sänger mit. Wohltuend die von Pfarrer Meiterth in der vertrauten Muttersprache gehaltene Ansprache und das Gebet: „Aser Härrgott, der Hemmlesch Vueter...“. Elisabeth Kessler, Wilhelm Meiterth und Oswald Kessler, die Autoren des Gedichtbandes „Af deser Ierd als Gast derhiem“, tragen am Nachmittag Gedichte „af saksesch“ der im Pfarrhof versammelten Gemeinschaft vor. Die Autoren freuen sich, ihre Texte noch einmal da zu lesen, wo sie entstanden sind. Paul Staedel, er wirkte viele Jahre in Reußmarkt als Lehrer und Chorleiter, belohnt die aktivsten Reußmarkter mit sorgfältig ausgeführten Urkunden.

Der zweite Feiertag in Großpold macht dem ersten Konkurrenz. Nicht nur der Kirchenraum, sondern auch die „Glater“ sind auf beiden Seiten besetzt. Aus Urwegen, Dobring, Gergeschdorf, Weingartskirchen und Gieshübel kommen die Gottesdienstbesucher, zudem ihre Gäste aus Deutschland. Zum Festtagstisch und zum anschließenden Großpolder Chortreffen ist der weiträumige Großpolder Saal voll besetzt. Es gibt noch sächsisches Leben in der Heimat, auch wenn nur noch wenige in ihren Ortschaften leben. Der Feiertag schließt sie in eine Gemeinschaft zusammen, und es gedeiht noch der gute, der edle Tropfen, sowohl in Reußmarkt als auch in Großpold, obwohl hier und anderswo aufgelassene Weinberge zu sehen sind. Doch die Landschaft verödet nicht, sie erlebt nur einen Wandel. In vielen ruhigen Seitentälern entsteht ein neues und doch altes Bild. Der Schafhirte hat da seine Hürden und Hütten aufgeschlagen, „wie zu Moses Zeiten“, sagte einmal Martin Szegedi aus Kerz. Die Landschaft gelangt strichweise in den Zustand, in dem sie die deutschen Siedler von Mosel und Rhein, von Bayern und Flandern vorfanden, als sie hierher kamen. Das wirkt befremdlich für die ehemaligen ortsansässigen Sachsen, doch gerade dieses am Leben gebliebene Archaische macht neben unseren Kirchenburgen den besonderen Reiz des Landes aus. Das kann jeder an dieser Reise Beteiligte bestätigen, denn nach dem Besuch der Kirche und des Stephan-Ludwig-Roth-Gedenkhauses in Mediasch, der Birthälmer Kirchenburg, der Bergschule und Bergkirche in Schäßburg, lädt uns unser Busfahrer Eduard Gierscher nach Tobsdorf, zu frischem Schafskäse, Hausbrot und Speck, dazu einem trügerisch guten Kokelwein ein.

Am Donnerstag, dem letzten Tag unserer Reise, bieten Chor und Bläser den Bewohnern des „Carl-Wolf-Altenheimes“ in Hermannstadt ein Ständchen. Die Heimleiterin Ortrun Rein bedankt sich und beteiligt sich gerne am Gespräch mit den Gästen. Das Altenheim hinterlässt auch für jüngere Menschen einen sehr freundlichen, modernen und gepflegten Eindruck.

Nicht weit von „unserem“ Hotel, bergaufwärts, hat ein Schafhirte aus Jina seine Sennhütte. In dem lange anhaltenden Abendlicht gehen wir alle zu ihm einkaufen. Virvorea, so sein aus der Volksdichtung geprägte Namen, sitzt am Tisch und bedient seine Gäste mit frischen Käsestücken aller Sorten. Bepackt mit den einmaligen, nur hier erhältlichen Kostbarkeiten, schreiten wir im Halbdunkel zu Tal.

Auf der Heimfahrt nach München tauschen wir die bleibenden Eindrücke aus. Viele Teilnehmer waren seit zehn bis fünfzehn Jahren nicht mehr in Siebenbürgen, einige Jugendliche zum ersten Mal. Kein Einziger hat jedoch etwas bereut. Im Gegenteil, jetzt schon fragen sie, ob sie nächstes Jahr wieder nach Reußmarkt fahren.

Oswald Kessler

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