20. August 2003

Treffen siebenbürgisch-sächsischer Mundartautoren in Nürnberg

Zehn siebenbürgisch-sächsische Mundartautoren trafen sich am 18. Mai im Haus der Heimat Nürnberg zu einem Seminar: Gerda Bretz-Schwarzenbacher, Hilda Femmig, Johanna Gadelmeier, Martin Hedrich, Doris Hutter, Elisabeth und Oswald Kessler, Bernddieter Schobel, Richard Sonnleitner und Katharina Thut. Geleitet wurde die Tagung von Hanni Markel, begleitet von Michael Markel. Am Nachmittag gestalteten sechs Jugendliche die öffentliche Lesung mit.
Nach einer herzlichen Begrüßung widmeten die Mundartautoren ihre ganze Aufmerksamkeit einigen Merkmalen unseres sächsischen Dialekts sowie Fragen der Rechtschreibung. Dr. Gerda Bretz-Schwarzenbacher sprach über den "Rheinischen Fächer", eine nord-südliche, fächerförmige Stufung innerhalb der zweiten, hochdeutschen Lautverschiebung (der Konsonanten) im westdeutschen Sprachgebiet. Im Siebenbürgisch-Sächsischen sind sowohl südlichere Kennzeichen als auch solche der niederdeutschen Dialekte vertreten, doch nicht in durchgehenden Entsprechungen, manchmal sogar bloß lokal oder landschaftlich (Heltau und Michelsberg sächen, sonst säcken - suchen): "Siebenbürgen hat eben einen eigenen 'Fächer'." Michael Markel zeigte einige Beispiele aus dem Fränkischen auf. Das Siebenbürgisch-Sächsische gehöre zu den westmitteldeutschen Dialekten, wodurch sich gewisse Gemeinsamkeiten mit dem mitteldeutschen Fränkisch erklären ließen.
'Alt und Jung sächsisch' im Haus der Heimat Nürnberg. Foto: Gerhard Berner
'Alt und Jung sächsisch' im Haus der Heimat Nürnberg. Foto: Gerhard Berner

Die Volkskundlerin Hanni Markel erinnerte an Untersuchungen von Prof. Bernhard Capesius zu binnensiebenbürgischen Angleichungs- und Absetzungserscheinungen in der Aussprache, wonach bisweilen benachbarte Orte im Vergleich zu weiter entfernten ihre Eigenheiten kontrastiv betonen, z. B. Neppendorf gegenüber Hermannstadt. Martin Hedrich brachte die sieben J-Gemeinden Siebenbürgens ins Gespräch. Bei der verwirrenden Vielfalt des Dialekts hat sich in der überlokalen Kommunikation schon früh das Hermannstädterische (eher als das Kokeltaler Sächsisch oder das Kronstädterische) als "Umgangssächsisch" durchgesetzt. Es gilt weitgehend auch als "Dichtersprache", und bereits in Siebenbürgen wurde eine Diskussion darüber geführt, ob es diese Rolle wirklich spielen sollte. Man war schon seinerzeit zur Übereinstimmung gelangt, dass so zu schreiben, wie einem der Schnabel gewachsen ist, lebendiger und weniger gekünstelt wirkt.

In der Praxis, also beim Schreiben, bereitet es selbstverständlich einiges Kopfzerbrechen, die jeweilige Ortsmundart schriftlich umzusetzen. Einige allgemeinere Gesetzmäßigkeiten der sächsischen Aussprache zu kennen, ist hilfreich in der Handhabung des Wortes. Neben Feststellungen zur typisch siebenbürgischen Lautung kam Hanni Markel auch auf die "Eifler Regel" zu sprechen. "Wo sind sie?" klingt mundartlich nämlich Wo se se? und nicht Wo sen se?, "Mein Vater" lautet korrekt me Voter. Anhand von Beispielen zusammengesetzter oder aber mit Vorsilben abgeleiteter Wörter wurde verdeutlicht, dass uns diese Art der Aussprache eigentlich selbstverständlich ist: aageheier (ungeheuer), Kliescheelken (Kleinschelken) oder äkiefen (einkaufen). Dagegen wird das n gesprochen und sollte nur dort geschrieben werden, wo ihm, im Wort oder im Satzzusammenhang, h, n, d oder z folgen, wie z. B. aanhemlich und aandinkbor, e klien Hangd - ein kleiner Hund. Die Regel bezieht sich ausschließlich auf das Südsiebenbürgische; Nordsiebenbürger sagen etwa ongeheier, und der n-Ausfall hat eigene Regelungen. In der schriftlichen Umsetzung dieser den Dialekt mit kennzeichnenden Regel tun sich gerade Mundartautoren aber oft schwer, wie Michael Markel anhand der ausgelegten Texte leicht nachwies. Wohl um ein gehobenes Sächsisch zu pflegen, vielleicht auch, um das sächsische Schriftbild durch Annäherung ans Deutsche leichter lesbar zu machen, notieren sie das mitgedachte -n auch dort, wo es genau genommen nicht hingehört. Immerhin kann das Schriftbild als Instanz wirken. Deshalb gaben Hanni und Michael Markel zu bedenken, dass Mundartschreibende auch in der Verantwortung stehen, den Dialekt nicht zu verfälschen. In der lebhaften Debatte kamen andere Probleme der Dialektschreibung dann freilich zu kurz, nicht zuletzt der kaum wahrgenommene Hinweis auf die Vorzüge der neuen deutschen Rechtschreibung von "scharfem" und Doppel-S für das Sächsische (loss! gegenüber leß! - beide ,lass'!: bei kurzem/langem Vokal).

Aus der Sicht der anwesenden Autoren stellt sich heute mehr denn je die Frage nach der momentanen und möglichen zukünftigen Wirkung. Soll man beim richtigen Schreiben in Kauf nehmen, einige/viele(?) Leser abzuschrecken, weil sie zu wenig verstehen, oder mit einer fehlerhaften, doch leichter zu erfassenden Schreibweise Leser anlocken und motivieren, Sächsisch zu lesen und eventuell auch zu schreiben. Im Diskussionsforum von SiebenbuergeR.de wagen sich schon einige Landsleute an unsere Mundart, was eine sehr interessante und fortschrittliche Marschrichtung ist, weil Sprachforscher festgestellt haben, dass das zweisprachige Aufwachsen (eine der Sprachen kann ein Dialekt wie das Sächsische sein) das Erlernen von Fremdsprachen begünstigt. In dieser Konfliktsituation muss jeder, der sächsisch schreibt, seine persönliche Entscheidung treffen. Es geht von unserem Seminar der Wunsch aus, dass jeder den Rahmen und die Auswirkung seiner Entscheidung gut durchdenkt und dass wir alle versuchen sollten, unserem Dialekt möglichst nicht zu schaden. Einen goldenen Mittelweg in dieser Sache zu finden, ist nicht leicht, aber er ist es wert, dass man ihn sucht.

Das gemeinsame Mittagessen konnte diese schwierigen Gedanken dann doch zerstreuen. Es erschienen auch bald die ersten Zuhörer für die Lesung der Autoren, und es gab freudige Begegnungen. Die ersten Jugendlichen trafen mit ihren Trachten und Instrumenten ein. "Alt und Jung sächsisch", das Motto des Tages, bekam Farbe und erhellte die Gemüter aller Anwesenden. Das Haus der Heimat verwandelte sich in eine Bühne für Künstler zwischen 9 und 80 Jahren. Wohin könnten Texte aus und über unsere Heimat Siebenbürgen besser hinpassen als unter ein gemischtes Publikum, in dem Jugendliche nicht nur in Tracht erscheinen, sondern auch durch ihren künstlerischen Beitrag aktiv werden! Wohär kame se - wor zuge se - wo seng se bliwen? von Hilda Femmig war ein gelungener Einstieg in die öffentliche Lesung. Die Autorin knüpft darin die Verbindung zwischen dem Gestern und dem Heute. Martin Hedrich hat eine alphabetisch geordnete Sammlung zum Roder Eigenwortschatz (auch Idiotismen genannt) und von Redensarten angelegt. In seine Texte bindet er solche gerne ein. Er las Spiellzuich Maukaiwer und Maukaiwer kruich. Katharina Thut, deren Lied Sehnsucht bei den Aussiedlerkulturtagen 2003 der Stadt Nürnberg vom Singkreis unter der Leitung von Grete Schuster aufgeführt worden ist, las tief gerührt Äm Mua und Et äs en under Zegt. Ebenfalls der Jahreszeit gemäß las Johanna Gadelmaier, die zum ersten Mal in Nürnberg auftrat, En Matzken vum Schatzken und Wä em än Detschland änkift, und Gerda Bretz-Schwarzenbacher trug Det Gepäschken und Äm Frähjohr in zwei verschiedenen Mundarten vor. Zwischendurch kam die Jugend zum Zuge: Martin Klein (11) aus Scheinfeld hatte seinen ersten öffentlichen Auftritt und blies auf der Trompete zwei Lieder, wobei die Zuschauer mitsingen konnten. Michael Schuster (9, Posaune) aus Weisendorf wurde von seinen konzerterprobten Kollegen der Stadtjugendkapelle Herzogenaurach Matthias Berner (16, Trompete) aus Weisendorf und Dagmar Hutter (18, Horn) aus Herzogenaurach sowie von Katharina Ziegler (14, Klarinette) aus Münchaurach von der Jugendkapelle Aurachtal begleitet. Da alle vier der Theatergruppe Herzogenaurach angehören, traten sie unter dem Namen "Bläserquartett der Theatergruppe H." auf und ernteten verdienten Erfolg. Katharina begeisterte die Zuhörer außerdem mit dem Vortrag einer Etude von Chopin am Klavier. Bernddieter Schobel las erst einen Auszug aus seinem Prosatext Det Fräjohrslammchen" erschienen im Siebenbürgisch-Sächsischen Hauskalender 2001, und überraschte dann spontan mit zwei Limericks, die während der Lesung entstanden waren. Richard Martin Sonnleitner erweckte nach 1945 in Arbegen Kirchen- und Volksliederchor, Adjuvanten und Bruderschaft wieder zum Leben. Er las in Nürnberg Krokus, Birenblä und das am Abend der Vereinigung Deutschlands entstandene Detschlund iinich Vuoterlund. Elisabeth Kessler, die mit Oswald Kessler den Siebenbürgisch-Sächsischen Literaturkreis in München gegründet hat, erfreute die Zuhörer mit Millebooch, Begegnung und Frähjohr. Oswald las einen am Vortag auf der Rückreise aus Siebenbürgen im Zug erstellten Text. Die Verbindung zur alten Heimat war in allen Texten spürbar, bei Oswald sogar greifbar. Doris Hutter, die auch moderierte, appellierte in Locker, sich der Jugend zu öffnen, damit die sich entfalten könne. So wie bei dieser Veranstaltung: Wie hatten die Herzen der Mundartautoren nämlich höher geschlagen, als die Moderatorin verraten hatte, dass, obwohl nur eine der sechs Jugendlichen daheim sächsisch spricht, alle Theaterspieler in Mundart auftreten werden! Martin spielte mit Michael den Sketsch Af der Hill und Katharina, Dagmar und Matthias zeigten zusammen mit Christian Klein (12) aus Scheinfeld erstaunliches Geschick beim Aufführen des Sketschs Se se froindert?. Beide Stücke sind von Doris Hutter nach überlieferten Erzählungen aus Siebenbürgen aus Anlass des Autorentreffens geschrieben und inszeniert worden. Freudig stellten alle Künstler sich zum Gruppenfoto auf. Die Vertrautheit im Umgang der unterschiedlichen Generationen zeugt von einem gesunden Erbe, auf das wir stolz sein können.
Die Moderatorin hatte mit den Worten begonnen:
Wonn ich Sachsesch dinken, äs et der Sänn mener Ahnen.
Wonn ich Sachsesch rieden, äs et der Stuulz mener Ahnen.
Wonn ich Sachsesch schreiwen, wärde Sänn uch Stuulz astärwlich!

Dieses Mundartautorentreffen war mehr als nur künstlerische Darbietung: Gegenseitig gestärkt, verließen die Gäste und Künstler das Haus, wo wieder einmal Heimat geliebt und gelebt worden war.

Doris Hutter


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