30. April 2001

Erster Bundeskongress des BdV tagte in München

In München hat am 20. und 21. April der erste Bundeskongress des Bundes der Vertriebenen (BdV) getagt und Fragen im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung und deren Bedeutung für die Vertriebenen und Aussiedler diskutiert. Der Kongress war einberufen worden und soll von nun an institutionalisiert werden, um den Vertriebenen und Aussiedlern neben den satzungsmäßigen Delegiertenversammlungen und den jährlichen Tagen der Heimat ein zusätzliches Forum zu bieten, wo sie ihre politischen Vorstellungen artikulieren und erörtern können.
Nicht allein Wirtschafts- und Finanzkriterien dürften angelegt werden, ja bestimmend sein in den Verhandlungen mit Eu-Beitrittskandidaten, sondern genau so die Einhaltung der Menschenrechte in den Ländern, die zu Europa stoßen wollen, denn sie, die Menschenrechte, seien unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Wertegemeinschaft und müssten Maßstab kontinentalen Miteinanders bleiben. Das erklärte Erika Steinbach, CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsidentin BdV, vor Spitzenvertretern der Landesverbände und der Landsmannschaften sowie Gästen aus Politik und Gesellschaft auf dem Kongress, unter dem Motto: "Europa - Chancen für die Vertriebenen und Aussiedler?" getagt hat.
Positiv hervorgehoben wurde von den Kongressteilnehmern in München der Umstand, dass, im Unterschied zu bisherigen Großveranstaltungen des BdV, einer der thematischen Schwerpunkte des Kongresses auf die "nicht reichsbezogenen Landsmannschaften" orientiert worden war, nämlich auf die Deutschen, die zum Herkunftsland Rumänien haben.
Ausgangspunkt angeregter Diskussionen diesbezüglich war ein Referat, das Vlad Vasiliu, rumänischer Generalkonsul in München, zur Minderheitenpolitik seines Landes mit besonderer Berücksichtigung der dortigen deutschen Minderheit hielt. Der promovierte Mediziner und Diplomat beeindruckte dabei mit einer sachlichen und offenen Sichtweise des Problems, die man dem offiziellen Vertreter eines ehemaligen Ostblocklandes nicht zugetraut hatte und die ihm von der Zuhörerschaft in deren Dazusprachen nach dem Auftritt denn auch volle Anerkennung einbrachte.
Schon als er die einstigen Verdienste der Deutschen um sein Land als die eines "besonderen Katalysators in der rumänischen Gesellschaft" würdigte und den Aderlass beklagte, der mit ihrer Aussiedlung eingetreten sei, griff er nicht zu den üblichen Klischees von den "mächtigen Kirchenburgen", den "ordentlichen Dorflandschaften" und "sauberen Städten" mit ihren "wertvollen Kulturgütern", die von den Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben bedauerlicherweise verlassen worden seien, sondern lieferte ganz andere, sehr konkrete Verlustmeldungen ab: dass die Rumäniendeutschen, obwohl sie in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts bloß vier Prozent der Landesbevölkerung stellten, ganze 20 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion erstellt und 18 Prozent der handwerklichen Leistung Rumäniens erbracht haben, dass in den von ihnen bewohnten Gebieten die Verwaltung korrekt und effektiv gewesen sei, sie demnach ihr "europäisches" Mittlertum gesellschaftlich aktiv wahrgenommen haben, was alles jetzt nicht mehr oder in nur sehr beschränktem Maße der Fall sei.
Von hier aus begründete Vasiliu die "bisherigen Bemühungen" der rumänischen Regierungen, die einander nach dem Umsturz von 1989 gefolgt sind, auch der heutigen, die rechtlichen Voraussetzungen für den Fortbestand der dortigen deutschen "Restminderheit" zu schaffen, gar die Rückkehr von Aussiedlern zu befördern, gab aber auch in aller Offenheit zu, dass der gerechten Durchführung aller bis dato erlassenen Gesetzesmaßnahmen "eine extrem träge Bürokratie" und eine in weiten Teilen "ziemlich korrupte Verwaltung" entgegenstehe. Lediglich im deutschsprachigen Unterrichtswesen funktioniere die rumänische Minderheitenpolitik, wo sich zudem die "finanzielle, personelle und logistische Hilfe der deutschen Bundesregierung" positiv auswirke.
Sehr anerkennend hob Vasiliu die vorbildliche Kooperation auch mit den rumäniendeutschen Landsmannschaften hervor, die sich auf laufende Kontakte, wiederholte Konsultationen, auf die Anregung von Städtepartnerschaften, auch auf den Bereich des Rechtswesens erstrecke. Manches freilich scheitere an Rumäniens chronischem Mangel an Geldmitteln, daher seien die Bleibehilfe der Bundesregierung und die sozialen Hilfeleistungen der Landsmannschaften für die dort lebenden Deutschen und ihr Umfeld ungemein wichtig. Welche Ausmaße die Probleme des Landes haben, verdeutlichte Vasiliu an einem Beispiel: Fachleute haben errechnet, dass, wenn Rumänien aufgrund seiner Rückgabegesetze den gesamten, während der kommunistischen Diktatur enteigneten Besitz an Boden und Immobilien den rechtmäßigen Eigentümern vollwertig erstatten solle, nicht weniger als ganze drei Jahreshaushalte des Staates als Aufwendung dafür nötig seien.
Beklagt wurde in den Aussprachen zu Vasilius Referat, unter anderen auch von Jakob Laub, dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Banater Schwaben, dass es in Rumänien bis heute immer noch kein Minderheitenschutzgesetz gebe. Den gleichen Kritikpunkt unter anderen hatte in einem Brief an BdV-Präsidentin Steinbach auch Volker Dürr, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, angesprochen, der dem Kongress aus Termingründen hatte fernbleiben müssen.
Einen zweiten Themenschwerpunkt der Münchner Veranstaltung stellte die Aussiedlerintegration in Deutschland dar, zu der Jochen Welet, der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, referierte. Er stellte sein "Konzept Aussiedlerpolitik 2000" vor, das ab dem 1, Januar kommenden Jahres zur Anwendung gelangen soll und auf vier "Säulen der Integration" ruht: auf einer stärkeren weil bisher unzureichenden Sprachförderung durch deren Verbesserung, Erweiterung und Verlängerung; einer in höherem Maße personenbezogenen Betreuung und Beratung der Aussiedler in einem effektiveren System von "Integrationslotsen"; auf der zielorientierten Vermittlung gesellschaftspolitischer, juristischer und kultureller Informationen an die Spätaussiedler und schließlich auf der Unterstützung ihrer beruflichen Integration bei adäquatem Einsatz ihrer auf dem Bildungsweg erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Dabei soll ein "Integrationsnetz" aufgezogen werden, das vielerlei Kräfte, Einrichtungen und Institutionen mit einzuschließen habe, da die Aussiedlereingliederung als "gesamtgesellschaftliche Aufgabe" wahrgenommen werden müsse, damit, so Welt, "aus einem Nebeneinander nicht eine Gegeneinander wird".
Auch alle übrigen Referate, die an diesem Wochenende in Münchens Sudetendeutschem Haus vorgelegt wurden, machten den Kongress zu einer niveau- und ausgesprochen sinnvollen Zusammenkunft: etwa die Vorstellung eines bereits angelaufenen Projekts zum Aufbau eines Videoarchivs mit Zeitzeugen-Interviews zu Vertreibung, Aussiedlung und Integration durch den jungen Filmemacher Kristof Berking (hier wurde leider die umfangreiche und substantielle Vorarbeit nicht in Rechnung gezogen, die in den letzten Jahren vom Siebenbürger Günter Czernetzky geleistet worden ist), die gewichtigen Ausführungen zum Thema "Die Menschenrechte und die EU-Erweiterung" von Erika Steinbach sowie die Auslassungen des Europaabgeordneten Bernd Posselt zum gegenwärtigen Stand der EU-Osterweiterung überhaupt. Die in München eröffnete Reihe von Kongressen soll denn auch im BdV institutionalisiert werden.

Hannes Schuster

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