29. August 2003

Siebenbürgische Familiensaga

Biographie eines Bauernsohns, der im Krieg als Kanonenfutter verheizt wurde und den "Alptraum Balkan" überlebte.
Was in dem Buch erzählt wird, ist die Lebensgeschichte des siebenbürgisch-sächsischen Jungen Friedrich Umbrich, der in der Gemeinde Beleschdorf im Zwischenkokelgebiet, abseits der großen Welt eine unbeschwerte Kindheit verbringt, bis zu seinem 18. Lebensjahr nicht weiter als bis nach Mediasch gelangt und ein einziges Mal mit der Eisenbahn gefahren ist, als Jugendlicher in der Bruderschaft und dann in der Deutschen Jugend (DJ) wie jeder seines Alters, ohne zu fragen, gehorcht und mitmacht, dann in die Waffen-SS einbezogen wird, in Wien eine harte Militärausbildung erfährt, nach Jugoslawien der "Prinz-Eugen"-Division zugeteilt wird, damit in das Inferno des Balkankriegs mit Partisanen gerät, mehrere Male um Haaresbreite dem Tod entgeht, zugleich aber mehrere Male verwundet wird, nach Kriegsende in Österreich in die englische Gefangenschaft gerät, anschließend in den Gefangenenlagern im italienischen Rimini und Grottaglie 14 Monate unter freiem Himmel kampiert und schwarzen Hunger erlebt, bevor die Internierten nach Ely bei Cambridge/England verlegt werden, wo sie nach schwerem Überlebenskampf wieder menschliche Behandlungen erfahren. Mit 22 Jahre gewinnt der Erzähler, wie er berichtet, nun seine Jugend wieder zurück. Der Neuanfang nach der Entlassung aus der Gefangenschaft in Westdeutschland (1948) will nicht recht gelingen, obwohl er jede Arbeit annimmt. So entschließt er sich, 1951 nach Kanada zu emigrieren, wohin ihm die siebenbürgisch-sächsische Agnes Weber aus Hamlesch, die er in Heilbronn kennen gelernt hatte, als Ehefrau folgt. Kanada wird ihre zweite Heimat. Nach 20 Jahren kann Umbrich erstmals seine alte siebenbürgische Stammesheimat besuchen.

Neben seiner Lebensgeschichte weist Umbrich auch auf das Schicksal seiner Familienangehörigen hin. Vater und Schwester Christine wurden im Januar 1945 zu Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert, von wo de Vater nach Siebenbürgen, die Schwester aber in die deutsche Ostzone entlassen werden. Die Schwester gelangt von dort in die Bundesrepublik, wo sie ihr Bruder in Heilbronn trifft. Die in Siebenbürgen verbliebenen Anverwandten werden enteignet, erleben die kommunistische Herrschaft und siedeln schließlich in die Bundesrepublik um, wo sie heute leben. Es ist somit eine Familiensaga, wie sie jede sächsische Familie in ähnlicher Form erlebt hat.

Umbrichs Lebensgeschichte ist zuerst in englischer Sprache erschienen und liegt nun in einer gelungenen deutschen Übersetzung auf. Ihre Niederschrift erfolgte durch Anna M. Wittmann (sie lehrt am Department of English der University of Alberta/Kanada), die sich als Forscherin mit Autobiographien von Überlebenden aus Konzentrationslagern beschäftigt. Sie hat nicht einfach aufgezeichnet, was ihr von Umbrich an schriftlichen oder gesprochenen Unterlagen zur Verfügung stand oder was ihr erzählt wurde, sondern hat den Stoff sprachlich geglättet und strukturiert und auf seine Authentizität hin aufgrund vorhandener Literatur überprüft bzw. recherchiert und durch Fußnoten belegt.

Die Erlebnisse sind aus der Perspektive eines 70-jährigen Mannes und mit dem Wissen von heute reflektierend erzählt. Es entstand so die Biographie eines Jugendlichen der ahnungslos und gutgläubig in den Weltkrieg katapultiert wurde und erst nach dem Krieg allmählich zu verstehen beginnt, dass er als Beleschdorfer Bauernsohn, wie viele andere sächsische Jugendliche seiner Generation als Kanonenfutter verheizt wurde und mit dem "Alptraum Balkan" den Krieg überlebt hat. Das Buch schildert anschaulich und detailliert eine schmerzhafte Geschichte von Krieg, Gefangenschaft, Deportation und den Kampf ums Überleben. Er wird gleichzeitig auf die großen Verluste der 7. SS-Freiwilligen-Gebirgsdivision "Prinz Eugen" hingewiesen, die zum guten Teil aus Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben bestand. Von den 20 000 Mann des Höchststandes gab es nach dem Rückzug aus Jugoslawien nur 4 000 erschöpfte Überlebende.

Der Erzähler betrachtet sich auch heute als Siebenbürger Sachsen, der zugleich auch Kanadier ist. Siebenbürgen war für ihn jedoch die Konstante, die ihm Halt gab und ihm half, in Kanada einen Nährboden zu finden, auf dem er gedeihen konnte.

Umbrich widmet das Buch, wie er im Vorwort unterstreicht, den Mitgliedern seiner Familie in Europa und der großen Familie der Siebenbürger Sachsen, die über die ganze Welt verstreut leben: "Ihr alle seid Teil diese Buches", heißt es wörtlich - "denn ihr seid Teil unserer gemeinsamen Geschichte, die nicht vergessen werden soll".


Michael Kroner



Alptraum Balkan. Ein siebenbürgischer Bauernsohn im Zweiten Weltkrieg (1943-1945) = Schriftenreihe zur Landeskunde Siebenbürgens. Band 26. Aufgezeichnet von Anna M. Wittmann nach der Erzählung von Friedrich Umbrich. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag 2003, 320 Seiten, Preis: 29,90 Euro, ISBN 3-412-16502-6.
Bestellung bei Amazon
Alptraum Balkan
Anna M. Wittmann
Alptraum Balkan

Böhlau
Gebundene Ausgabe

Jetzt bestellen »

Bewerten:

1 Bewertung: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.