17. September 2003

Kulturarbeit – Auftrag und Legitimation: Diskussionsbeitrag vor dem Verbandstag 2003 in Mannheim

Wie reich und wirkungsvoll die Kulturarbeit der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland auf allen Ebenen ihrer Struktur betrieben wird, ist in jeder Ausgabe der "Siebenbürgischen Zeitung" in deren "Kulturspiegel" und der Sparte "Aus dem Verbandsleben" zu lesen. Im folgenden Beitrag liefert Karin Servatius-Speck, Stellvertretende Bundesvorsitzende und mit der Kulturarbeit Beauftragte, einen Einblick in die Arbeit und die Verantwortungsbereiche dieses Ressorts unserer kulturellen Präsenz im neuen Lebensumfeld.
Jeder Mensch, der seine Bindung an das kulturelle Erbe aufgibt, das der Erinnerungsträger der gemeinschaftlichen Werte ist, die ihn geformt haben, wird eigener Wertigkeit verlustig. Wenn es bei Goethe heißt: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“, so wird eben dieser Prozess der bewussten Verinnerlichung und Aneignung des in der Tradition Gewachsenen gemeint, das den Wert des Einzelnen in der Gemeinschaft ausmacht. Papst Johannes Paul II. hat 1982 in Avila dafür gebetet, „dass es allen Völkern gegeben sei, den Reichtum ihrer kulturellen Werte leben zu können.“ Was aber dann, wenn der Lauf der Geschichte den Einzelnen aus dem kulturell geprägten Umfeld herauslöst? Geradezu archaisch scheint die Bindung der Siebenbürger Sachsen an ihre 850-jährige Gemeinschaft zu sein, und schmerzhaft der Schnitt durch die Auswanderung für jeden, der sie verlässt. Es ist wiederum die Aufgabe der Gemeinschaft, den Ankömmling aufzufangen: die neue Heimat mit ihrer Gastfreundlichkeit, die Kirche im Auftrag ihrer allumfassenden Toleranz.

Die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland hat im Bewusstsein hoher Verantwortung in über 50 Jahren ein Netzwerk aufgebaut, das in geprüfter, guter siebenbürgisch-sächsischer Tradition dahingehend wirkt, dass sie sowohl der Selbstbehauptung und Lebensentfaltung im neuen Umfeld des Einzelnen dient, als auch das kulturelle Erbe zu erhalten und zu fördern trachtet.

Die Aufgaben der Referate der landsmannschaftlichen Organisation sind dabei wohlbedacht aufeinander abgestimmt: die Projekte von Frauen- und Jugendreferat mit den Projekten des Kulturreferats. Letzteres beschäftigt mit Vollzeitdeputat einen hauptamtlich angestellten Referenten. Bis zum 30. Juni 2001 war die Stelle vom Förderministerium BKM voll finanziert worden. Im Zuge der geänderten Vertriebenenpolitik wurde sie gestrichen. In höchstem Bewusstsein der Verantwortung hatte der Bundesvorstand im Vorfeld des Verbandstages 1999 die Beibehaltung dieses wichtigen Aufgabenbereiches empfohlen: Dank der Erhöhung der landsmannschaftlichen Mitgliedsbeiträge und der Unterstützung durch das Sozialwerk der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen konnte die weitere wichtige Tätigkeit des Kulturreferenten Hans-Werner Schuster mittelfristig gesichert werden. Sein Aufgabenbereich wurde erweitert, u. a. mit der wichtigen Umstellung auf EDV-Erstellung der Siebenbürgischen Zeitung.

Die Siebenbürgische Zeitung, das wichtigste Organ direkter Berichterstattung aus allen Aktivitäts- und Strukturbereichen der Landsmannschaft, zusätzlich aus jenen der Heimatortsgemeinschaften, des „Hilfskomitees der Siebenbürger Sachsen und evangelischen Banater Schwaben im Diakonischen Werk der EKD e.V.“ und der Föderation, bietet dem Leser aufschlussreiche Informationen über die Leistungen der Gemeinschaft mit ihren Persönlichkeiten heute wie früher. Besonders die umfassenden Seiten des Kulturspiegels dokumentieren die kulturelle Präsenz der Gemeinschaft auch in der gegenwärtigen Öffentlichkeit in der Bundesrepublik und weltweit. Der Leitende Redakteur Siegbert Bruss, seit 2002 in der Nachfolge von Hannes Schuster, legt wie sein Vorgänger ebenfalls großen Wert auf die fachliche Schulung der ehrenamtlichen BerichterstatterInnen. Schon traditionsgemäß wird, trotz immer geringerer Fördermittel, die Pressereferententagung abgehalten, in diesem Jahr unter dem Motto „Zeitung zeitgemäß machen“. Es ist eine der zahlreichen Tagungsveranstaltungen, deren Organisation in das Verantwortungsressort des Kulturreferates fällt. Die von Hans-Werner Schuster organisierten Tagungen und Seminare werden nicht allein als Veranstaltungen der Wissensvermittlung konzipiert, sondern auch „um das Wissen um die eigenen Wurzeln zu vertiefen, sowie die Bewahrung, Pflege und Weiterentwicklung unserer Gemeinschaft“ zu fördern. Sie sind auch Anlässe zu zwischenmenschlichen Begegnungen, zur Stärkung der Gemeinschaft. In diesem Sinne erfolgte auch die jahrelange Unterstützung durch die Landsmannschaft bei der Organisation der HOG-Tagungen, in diesem Sinne findet auch die Arbeitstagung auf Bundesebene der Kreisgruppenvorsitzenden statt.

Sowohl nach innen als auch in die breite Öffentlichkeit wirken Vorträge, Lesungen, Konzerte und Ausstellungen, die, auf allen Ebenen der landsmannschaftlichen Struktur organisiert, auf die Unterstützung durch den Kulturreferenten zurückgreifen können, der die gute Zusammenarbeit mit Fachwissenschaftlern, Künstlern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens pflegt. Vom Kulturreferat erstellte Wanderausstellungen, wie jene „Über Siebenbürgen – Kulturlandschaft in Luftbildern von Dr. Georg Gerster“ oder „Das Burzenland. Städte, Dörfer und Kirchenburgen einer Kulturlandschaft in Siebenbürgen. Fotografien von Georg Gerster und Martin Eichler“, die Ausstellung zu den siebenbürgisch-bayrischen Beziehungen, Jubiläumsausstellungen, wie „50 Jahre Heimattag in Dinkelsbühl“ oder „50 Jahre Siebenbürgische Zeitung“ fanden großen Zuspruch in der bundesdeutschen Öffentlichkeit, aber auch grenzüberschreitend in Städten Siebenbürgens und in Venedig. Die grenzüberschreitende Wirkung der landsmannschaftlichen Kulturarbeit ist ein grundliegendes Anliegen der Organisation, die sich als Föderation mit ihrem Vorsitzenden Volker Dürr auch als Brückenbauer in Europa und nach Übersee sieht. In diesem Sinne wird der Kulturaustausch von Kulturgruppen gefördert, das Jugendföderationslager unterstützt, der Auftritt im Internet unter www.siebenbuerger.de, den das Kulturreferat mit dem Internet- und Öffentlichkeitsreferenten Robert Sonnleitner im Jahr 2000 erfolgreich startete, aktualitätsbezogen gepflegt.

Bei den Großveranstaltungen mit politischer und kultureller Resonanz werden neben den Persönlichkeiten der bundesdeutschen Öffentlichkeit immer auch prominente Gäste aus Rumänien, Österreich, den USA und Kanada eingeladen. Auf dem diesjährigen Heimattag der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl, der zum zweiten Mal vom Verband der Siebenbürgisch-Sächsischen Heimatortsgemeinschaften mitgestaltet wurde, war einer der Höhepunkte die Unterzeichnung des Kulturabkommens zwischen dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat und dem Rumänischen Kulturministerium.

Bei den Bayrischen Kulturtagen in Rumänien, die 2000 in Hermannstadt stattfanden, war das Kulturreferat in Planung, Organisation und Mitwirkung eingebunden. Auch bei anderen Kulturveranstaltungen in Zusammenarbeit mit Partnern aus der alten Heimat Rumänien erbrachte es erfolgreich seinen Beitrag. Eine weitere Großveranstaltung der Landsmannschaft mit bundesweiter Resonanz sind die Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage. 1981 von der damaligen Bundeskulturreferentin Ingrid von Friedeburg-Bedeus initiiert und seither institutionalisiert, sind sie, da sie in jeweils wechselnden Kulturzentren stattfinden, erfolgreiche Multiplikatoren unserer kulturellen Leistungen auf hohem Niveau und zugleich Motivationsschub für die jeweils organisierende Kreis- oder Landesgruppe, vor allem für die Jugend der SJD, die immer wieder glanzvolle Höhepunkte darbietet. 2003 werden die Kulturtage im Anschluss an den Verbandstag der Landsmannschaft in Speyer ausgerichtet.

In den neuen Lebensraum haben die Siebenbürger Sachsen auch ihre ureigene Muttersprache mitgebracht, von der ein Siebenbürgen-Besucher einmal sagte: „Bei den 243 existierenden Ortsdialekten wird der Deutsch-Sprechende so häufig an Wurzeln seiner eigenen Sprache geführt, dass er angesichts der lebendigen Bewahrung berührt vor dieser Sprachinsel steht und staunt.“ (W. Knape) Allzu oft wird diese Sprachheimat im Zuge der übereifrigen Integration abgelegt. Das Bundeskulturreferat der Landsmannschaft hat sich viele Jahre durch Mundartdichtertagungen und Veröffentlichungen von Mundart-Schriftstellern sowie durch die Förderung der Auftritte von Künstlern um den Erhalt dieser Qualität unserer Identität bemüht. Die Siebenbürgische Zeitung ist nach wie vor offen für die Veröffentlichung von dichterischen Beiträgen än aser Mottersproch!

Zu den Veröffentlichungen, die anlässlich von Tagungen, Ereignissen und öffentlichen Auftritten unsere kulturelle Präsenz über die Veranstaltung hinaus dokumentieren, gehören vom Kulturreferenten erstellte Faltblätter, Programmhefte, aber auch Sammelbände, Ausstellungskataloge und Videokassetten. Aber das Kulturreferat sammelt auch „materialisierte Kultur“: Es gibt eine Videothek (seit Ende 2002 wird durch engagierte Mitarbeiter ein Videoarchiv aufgebaut), eine Sammlung von Tonträgern, ein Fotoarchiv, eine Sammlung von Partituren sowie eine von Theaterstücken. Diese Sammlungen stehen sowohl den Gliederungen der Landsmannschaft als auch weiteren Einrichtungen zur Verfügung. Dies ist auch der Zweck von Arbeitsmappen, zum Beispiel der „Handreichungen für ehrenamtliche Pressereferenten“, erarbeitet von Hannes Schuster unter Mitarbeit von Siegbert Bruss. Für eine breitere Öffentlichkeit gedacht, wurden Broschüren und Faltblätter wie: „Wer sind die Siebenbürger Sachsen?“, „Die Festtracht der Siebenbürger Sachsen“ und andere erstellt.

Der große Fundus an materiellen Dokumenten unserer Kultur aus Jahrhunderten hat seine neue Heimat seit Jahrzehnten im Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim gefunden, im Kulturzentrum der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Es ist dies ein besonderer Ort des Selbstbezugs für den Einzelnen, aber auch Ort der wissenschaftlichen Forschung an diesen Zeugnissen unserer Legitimation. Dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft, Volker Dürr, und den Kulturbeauftragten der Organisation, jedem Siebenbürger Sachsen, ist der Erhalt dieser Stätte Herzenssache und Auftrag. In zahlreichen Ausgaben der Siebenbürgischen Zeitung war zu lesen, wie die Vertreter der Landsmannschaft gemeinsam mit dem Trägerverein des Museums und seiner Vorsitzenden Irmgard Sedler, gemeinsam mit dem gesamten Kulturrat, um den Erhalt der Einheit in Gundelsheim gerungen haben. In eben dieser Ausgabe der Siebenbürgischen Zeitung ist zu lesen, wie dank der unermüdlichen Initiative unseres Bundesvorsitzenden auf höchster Ministerialebene und mit Unterstützung der Stadt Gundelsheim tragfähige Vereinbarungen getroffen worden sind.

Trotz stetiger dramatischer Verknappung der jährlichen finanziellen Förderung durch den Bund für die kulturellen Maßnahmen der Landsmannschaft (1999 waren es noch 90 000 DM, 2002 nur noch 2500 Euro!) geht dank des großen Einsatzes an Eigenleistung, dank Unterstützung durch die Länder und die jeweiligen Stadtverwaltungen unsere landsmannschaftliche Kulturarbeit weiter. Unser Dank gebührt an dieser Stelle allen Persönlichkeiten des politischen und kulturellen öffentlichen Lebens, die uns unterstützen, allen Mitgliedern der Landsmannschaft, die, sei es durch ihren persönlichen Einsatz in der Öffentlichkeit, sei es als stille Helfer, erst kulturelle Breitenarbeit zu leisten ermöglichen, die dann den neuen Lebensraum mit zur neuen Heimat macht, unser da-Sein mit legitimiert.

Auf dem Grabstein von Emil Sigerus, dem Erforscher und Bewahrer unserer jahrhundertealten Kunst und Kultur, in Hermannstadt, ist zu lesen: „bald – und alle sind vergessen – bald – und alles ist vergessen.“ Mehr als ein halbes Jahrhundert danach lebt unser Kulturschaffen weiter, verantwortungsvoll und behutsam gefördert.

Karin Servatius-Speck, Stellvertretende Bundesvorsitzende


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