2. Mai 2001

Tragödie des siebenbürgischen Wissenschaftlers: 'Hitlers Dr. Faust'

Rolf Hochhuth - sein 70. Geburtstag wurde in diesem Monat gefeiert - ist einer der erfolgreichsten und gleichzeitig umstrittensten deutschen Dramatiker der Nachkriegszeit. Er gilt als bedeutender Vertreter des dokumentarischen Dramas, hat in seinen Werken ein untrügliches Gespür für die brennenden Themen der Zeit bewiesen und seine dramatische Wut wiederholt gegen moralische Verirrungen in der zeitgenössischen Geschichte gerichtet. Seine streitbaren Stücke machten Skandal: "Der Stellvertreter", "Soldaten", "Juristen", "Ärztinnen", "Unbefleckte Empfängnis". Als nächste Uraufführung kommt im Oktober in Berlin seine Tragödie "Hitlers Dr. Faust" heraus, in deren Mittelpunkt der siebenbürgische Raketenforscher Hermann Oberth steht. Der Text des Stücks ist bei Rowohlt erschienen.
In einer Zeit, in der Politiker den "Krieg der Sterne" planen, stellt Hochhuth die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft. Darf ihr jedes Mittel recht sein? Darf sie auch den Krieg dazu nutzen, um zu ihren Zielen zu gelangen? Der geniale Oberth träumte in seiner Jugend vom Flug der Rakete "zu den Planetenräumen" - doch an seinem 50. Geburtstag schlug die erste V 2 verheerend in London ein. War die Verwirklichung dieser Rakete durch Wernher von Braun, seinen geistigen Schüler, der Menschheit von Nutzen? Oberth-Faust hätte Hitler-Mephisto zur Weltherrschaft verhelfen können, wenn der verbrecherische Diktator nicht viel zu spät der Raketenwaffe höchste Priorität verliehen hätte. Es heißt, Hitler habe vermutet, Oberth sei Rumäne und nicht "rein arischer" Abstammung, und habe ihn daher zunächst auf Distanz gehalten. Überdies: Die Bestückung der Rakete mit Atomsprengköpfen scheiterte im Reich der Nazis daran, dass Hitler die meisten fähigen Physiker aus Deutschland vertrieben hatte. Um diese Fragen geht es in Hochhuths Politdrama in drei Akten und einem Prolog, das vor allem Leser anspricht: Das Stück scheint eher zum Lesen bestimmt und eignet sich in geringerem Maße für die Bühne. Sein Grundthema: Geniale Menschen sind gezwungen oder auch bereit, mit Machthabern Kompromisse zu schließen, damit es zur materiellen Verwirklichung ihrer Erfindungen kommen kann. Voraussetzung für die Mondlandung waren die V-Waffen, zu deren Bau Oberth beigetragen hatte, und sein Weltraumspiegel wird ebenfalls nur in Abhängigkeit zum Programm "Krieg der Sterne", der amerikanischen Strategic Defence Initiative (SDI), realisierbar sein.
Im Prolog des Stücks, im zweiten und dritten Akt tritt Oberth in drei verschiedenen Abschnitten seiner Biographie auf. Der Prolog spielt im Jahre 1917, während des Ersten Weltkriegs. Oberth ist 23 Jahre alt und Sanitäter in der k.u.k. Armee. Er beschäftigt sich autodidaktisch intensiv mit seinem Raketenprojekt und den Voraussetzungen des Raumflugs. Als ihn seine Braut Tila besucht, führt er eben in der Badewanne einen Selbstversuch zur Schwerelosigkeit durch und antwortet, auf das Experiment konzentriert, nur zerstreut auf ihre Fragen. Ein Postbote bringt die abschlägige Antwort der preußischen Heeresleitung auf Oberths Vorschlag, Raketen zu bauen, die, mit zehn Tonnen Sprengstoff bestückt, England treffen könnten. Begründet wird der negative Bescheid der Militärs mit dem Hinweis, es sei doch bekannt, dass Raketen bloß sieben Kilometer weit fliegen könnten. Oberths Braut zeigt sich über das Ansinnen Oberths, mit einer Erfindung ins Kriegsgeschehen einzugreifen, entsetzt: "Was haben uns Siebenbürgern die Engländer getan?" Oberth selber ist der Ansicht: "Waffen müssen so werden, dass wir Menschen sie nicht anwenden können. Dann hören wir auf mit Krieg, früher nie." Und mit der Logik von Verfechtern des heutigen "atomaren Gleichgewichts" folgert er: "Nur monströs bösartige Waffen, vor denen es keinen Schutz gibt, können uns monströs bösartige Menschen zum Frieden zwingen. Allein Angst humanisiert", wobei ihn gerade die Nachricht erreicht, sein Bruder sei am Isonzo gefallen.
Im ersten Akt flüchtet der Physiker und Nobelpreisträger Niels Bohr aus Kopenhagen, da er befürchtet, die deutschen Besatzer könnten ihn zwingen, am Bau ihrer Atombombe mitzuwirken. Oberth tritt in diesem Akt nicht auf, im Gegensatz aber zu ihm entzieht sich Bohr dem Zugriff der satanischen Mächte.
Der zweite Akt des Dramas spielt im Jahre 1944 in Peenemünde, wo der Einsatz der V 2 gegen England begonnen hat. Oberth ist 50 Jahre alt und sinniert: "Ohne diesen Umweg über die Kriegsindustrie hätte das Geld, Raketen zu bauen, mir kein Mensch gegeben" - der Teufelspakt ist geschlossen. Oberth: "...meine Rakete, nicht jetzt die nach London, sondern die - ja! - zu den Planetenräumen ist dank dieses Krieges zur Welt gebracht, für ewig. Niemals mehr, ob Krieg, ob Frieden, werden Menschen aufhören, seit voriger Woche, seit dem 13. Juni 1944, Flugkörper zu den Planeten hochzuschießen, auch mit Menschen." Und: "...ohne den Umweg London, ohne Krieg - auch keine zum Mond!" Ein General überbringt Oberth eine hohe militärische Auszeichnung, gleichzeitig erfährt er, dass seine Tochter Ilse bei der Explosion in einem Waffenversuchslabor ums Leben gekommen ist. Sein Sohn wird in Stalingrad vermisst. Die Tragödie nimmt ihren Lauf.
Der dritte Akt zeigt Oberth 1983 im Gespräch mit Edwin Aldrin, dem amerikanischen Astronauten, der am 20. Juli 1969 als erster Mensch den Mond betreten hat. Beide sind eben von der Beerdigung Wernher von Brauns gekommen, der im Stück nicht auftritt, obwohl seine Rolle als mephistophelischer Verführer im Hintergrund stets präsent ist. Oberth und Aldrin sprechen über Oberths Erfindung des Weltraumspiegels zur Urbarmachung bisher unbewohnbarer Gebiete. Doch Oberth ahnt, das auch diese menschenfreundlichste seiner Erfindungen nur im Bunde mit dem satanischsten aller bisherigen Waffensysteme, der SDI, realisierbar sein wird, mit einem Programm, das zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit auf die Nutzung auch des außerirdischen Raums für einen möglichen Weltkrieg abzielt. Oberth will nicht mehr an Projekten für Angriffsraketen arbeiten, sondern eine Abwehrrakete entwickeln, die deutsche Städte vor Bombenangriffen schützen soll.
Hochhuth hat sich mittels Sekundärliteratur mit Oberths Leben und Werk auseinandergesetzt. In seinen ausführlichen Kommentaren zum Tragödientext, deren Lektüre für ein vertieftes Verständnis des Stückes notwendig sind, zitiert er wiederholt Publikationen des Oberth-Biographen Hans Barth und beruft sich auf Informationen von Erna Roth-Oberth, der Tochter des Raketenforschers und Leiterin des Hermann-Oberth-Raumfahrt-Museums in Feucht bei Nürnberg. Trotzdem unterlaufen ihm auch Ungenauigkeiten und Missverständnisse. So heißt es zwar in einer Regieanweisung, seine Hauptperson spreche mit stark siebenbürgischem Akzent ("sein Siebenbürgisch ist gemütlich wie ein Wiegenlied"), doch dann ist zu lesen, seine Frau spreche ebenfalls "schwäbisch-siebenbürgischen" Dialekt. Zudem lässt Hochhuth in mangelhafter Kenntnis siebenbürgischer Geschichte Oberth sagen: "...wir Banat-Deutschen sind schon siebenhundert Jahre dort". Übrigens: Der berühmte deutsche Psychiater, der von Hochhuth zitiert wird, heißt nicht "Bunke", sondern Bumke.
Abschließend zu seinem Lebenswerk stellt Oberth in Hochhuths Tragödie resigniert fest: "Wüsste ich nicht, da die Zeit gekommen war, hätte ein anderer ebenso wie ich die Weichen zu dieser Katastrophe gestellt: Ich müsste wünschen, nie geboren zu sein."
Hochhuths Oberth-Stück ist ein Drama von besonderer politischer Brisanz, mit scharfen Aussagen, das in vielem an Tendenzstücke wie "Die Physiker" von Friedrich Dürrenmatt oder "In der Sache J. Robert Oppenheimer" von Heinar Kipphardt, aber auch an Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" erinnert.

Walter Roth



Rolf Hochhuth: Hitlers Dr. Faust. Tragödie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2000, 138 Seiten, 16,90 DM; ISBN 3-499-22872-6.
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