26. September 2003

Was macht ein gutes Kinderbuch aus?

Die preisgekrönte Kinderbuchautorin Karin Gündisch wurde 1948 in Heltau geboren. Seit ihrer Ausreise in die Bundesrepublik 1984 lebt sie als freischaffende Autorin in Bad Krozingen, einem Kurort südlich von Freiburg, wo ihr Mann, ebenfalls Heltauer, als Stadtbaumeister tätig ist. Was macht ein gutes Kinderbuch aus? Was ist von "Harry Potter" zu halten? Karin Gündisch nimmt im Interview mit Robert Sonnleitner kein Blatt vor den Mund.
Sie stammen aus Heltau, haben dort Volksschule und Gymnasium besucht, gingen dann zum Studium nach Klausenburg und Bukarest.

Die Kinderbuchautorin Karin Gündisch
Die Kinderbuchautorin Karin Gündisch

Ich kam durch die Heirat schon während meines Studiums nach Bukarest. Mein Mann Dietmar Gündisch, der ebenfalls aus Heltau stammt, hatte nach seinem Studium eine Stelle als Ingenieur in Bukarest angetreten. Dann habe ich in Bukarest als Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache gearbeitet, Lehrbücher gemacht, drei Kinderbücher geschrieben und als freie Journalistin gearbeitet. Außerdem habe ich mit meinem Mann zwei Kinder großgezogen.

Was bewog Sie im Jahr 1984 Rumänien zu verlassen?

Mein Mann und ich empfanden die politische und wirtschaftliche Lage in Rumänien so aussichtslos, dass wir nur einen Ausweg sahen: die Aussiedlung.

Wie sind Sie darauf gekommen, Schriftstellerin zu werden? Ein Kindheitstraum?

Nein. Die Menschen in meinem Umfeld waren Arbeiter und Handwerker, Beamte und Intellektuelle. Die Schriftsteller wie Andersen und die Brüder Grimm, Ion Creangă und Schuster Dutz waren alle schon längst gestorben.
Ich habe für die Lehrbücher kleine Geschichten geschrieben, immer wieder Kindern, auch meinen eigenen, Geschichten erzählt und sie auch aufgeschrieben. Die Geschichten erschienen im „Neuen Weg“ und meine wunderbare Freundin Rohtraut Wittstock vermittelte den Kontakt zu Werner Söllner, der damals Kinderbücher im Ion Creangă Verlag machte. Er las meine Geschichten und sagte: „Schreiben Sie noch dreißig Seiten und ich mache ein Buch daraus.“ So einfach war es und so kompliziert.

Sie haben mittlerweile zahlreiche nationale und internationale Preise und Auszeichnungen für Ihre Publikationen erhalten. Auf welche sind Sie am meistens stolz?

Auf keinen. Ich habe mich über jeden einzelnen Preis oder über jedes Stipendium gefreut, wie man sich eben über Geld freut. Viel wichtiger ist mir jedoch, dass Preise Türen öffnen bei Verlagen und Veranstaltern von Lesungen. Preisgekrönte Bücher kommen in die Bibliotheken und haben eine größere Chance gelesen zu werden. Ein Preis, der ja Anerkennung einer Leistung ist, baut nach Niederlagen auf und macht Mut. So gesehen sind diese Preise natürlich sehr wichtig. Natürlich bin auch ich nicht ganz frei von Eitelkeit und ein Preis ist eine große Genugtuung. Als „Stolz“ würde ich diese Gefühlsregung nicht bezeichnen, eher als ein Glück. Im besten Fall ist ein Preis so etwas wie ein Qualitätssiegel für ein Buch.

Als das beste aus einer Fremdsprache ins Englische übersetzte Kinderbuch des Jahres 2002 in den USA wurde "How I became an American" mit dem "Mildred L. Batchelder Award" des amerikanischen Bibliotheksverbandes ausgezeichnet. Wie kam es zu dieser Übersetzung?

Ich habe einen Brief einer mit ihren Kindern nach Amerika ausgewanderten Mutter aus dem Jahr 1902 gelesen und dieser Brief, in dem sie ihre Ausreise aus Siebenbürgen (aus Heltau) und ihre Ankunft in Amerika schildert, hat mich nicht mehr losgelassen. Ich habe ein Buch darüber schreiben müssen: „Das Paradies liegt in Amerika“, ein Kinderbuch über die große Hoffnung von Emigranten auf ein besseres Leben. Ich kann nicht genau nachvollziehen, wie es zur amerikanischen Übersetzung kam. Mein deutscher Verlag hat das Buch amerikanischen Verlagen angeboten, aber auch ich selbst habe mir über Mary Jane, Enkelin der ausgewanderten Mutter, Adressen von Verlagen verschafft, die sich vom Profil her für mein Thema eigneten. Es kann sein, dass meine Hartnäckigkeit etwas bewirkt hat, aber letztendlich hat mein deutscher Verlag die Lizenz an einen amerikanischen Geschäftspartner verkauft.

Verfolgen Sie als Kinderbuch-Autorin pädagogische Ziele?

Ja und nein. Ich nehme mir beim Erzählen oder Schreiben kein pädagogisches Ziel vor. Ich vertrete aber eine Haltung, eine gewisse Moral, die sich auf den empfänglichen jungen Leser auswirken könnte. Dessen bin ich mir bewusst. Erwachsene können zwischen sich und ein Buch einen Filter einbauen. Das können Kinder auf Grund ihrer geringen Lebenserfahrung nicht. Diesen Umstand muss ein Kinderbuchautor berücksichtigen.

Was macht ein gutes Kinderbuch aus?

Eigentlich gelten dieselben Kriterien wie für jedes gute Buch. Ich bin keine Theoretikerin des Kinderbuchs. Für mich ist ein gutes Kinderbuch eines, das ich gern lese und das mich nicht langweilt.

Was halten Sie von „Harry Potter“, dem sensationellen Erfolg von Joanne K. Rowling?

Sie hat Glück gehabt, dass ihre Bücher gut vermarktet worden sind. Gewiss haben ein großer Werbeetat und das ganze Brimborium ums Buch herum zu dem Erfolg beigetragen. Der Werbeetat bestimmt aber nicht, ob ein Buch zu einem Bestseller wird oder nicht. Das kann man nicht bis ins Letzte erklären. Sicher hat der Erfolg gerade dieser Bücher etwas mit dem Zeitgeist zu tun: Der Leser kommt in eine Welt, in der sich die Probleme durch Hokuspokus lösen. Das wünschen wir uns.

Erkennen Sie weiterreichende, positive Auswirkungen der "Harry-Potter-Manie"?

Ich glaube nicht, dass die Kinder wegen Harry Potter mehr lesen und dass aus Nichtlesern automatisch Leser werden, wie uns das die Werbung suggeriert. Wer diese dicken Bücher liest, muss eine gewisse Lesefertigkeit besitzen, die durch Lesen anderer Bücher erworben worden ist. Ich hatte den Eindruck, dass in diesem Fall immer mehr Kinder immer weniger Bücher bzw. nur noch ein Buch lesen, weil es gerade Mode ist. So wie es Mode ist, dass man diese oder jene Marke trägt.
Ich habe lediglich den ersten Band der Harry-Potter-Bücher gelesen. Grundsätzlich halte ich von diesem Schema nicht sehr viel: Autor murkst Eltern ab, damit das Kind sich in einer feindlichen Welt bewährt. Mir persönlich gefallen die Bücher von Lemony Snicket „Die schaurige Geschichte von Violet, Sunny und Klaus“, die ich für eine intelligente Parodie auf die Harry-Potter-Bücher halte, unvergleichlich besser. Auch hier müssen die Eltern schon auf den ersten Seiten sterben und der böse Onkel Olaf macht den Geschwistern das Leben schwer. Harry-Potter-Bücher als Belletristikausgaben sind für mich ein gut sichtbares Zeichen für Infantilismus in der Erwachsenenliteratur.

Sie geben auch Lesungen, haben eine eigene Homepage: www.guendisch.de/karin. Ich nehme an, Ihre Fanpost muss sich durch das Internet enorm vermehrt haben.

Wenn ich vor Schulklassen lese, kann es vorkommen, dass mir danach die ganze Klasse Briefe schreibt.

Schreiben Sie gerade an einem neuen Buch?

Ja. Noch zwei Kapitel muss ich schreiben. Wann aus dem Manuskript allerdings ein Buch wird, kann ich nicht voraussagen.

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch!

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 14 vom 15. September 2003, Seite 11)

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