12. Oktober 2003

Renate Mildner-Müller: "Zeichen und Figuren"

In die Ausstellung der siebenbürgischen Künstlerin Renate Mildner-Müller führte der Schriftsteller und Publizist Hans Bergel am 31. August im Rathaus der Stadt Ebersberg ein. Die gut besuchte Schau stand unter dem Titel „Zeichen und Figuren“ und war bis zum 26. September zu sehen. Bergels Einführung wird im Folgenden in einer gekürzten Fassung veröffentlicht.
Das Handwerk begann Renate Mildner-Müller (geboren 1940 in Kronstadt) als Fünfzehnjährige beim bedeutenden Graphiker Harald Meschendörfer (1909-1984), einem Meister der Schriftgraphik, systematisch zu lernen. Leichthändigkeit der Linienführung, Konzentration auf das Wesentliche der Aussageabsicht, die Transparenz und Farblichkeit der Handschrift-Merkmale bis heute auch der reifen Kunst dieser Frau, Merkmale ihres Mitteilungsbedürfnisses, die ihre frühe Bewusstwerdung in der Schule Harald Meschendörfers erfuhren.

Renate Mildner-Müller: Prinz Jussuff
Renate Mildner-Müller: Prinz Jussuff

Während des Studiums 1960 bis 1966 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste im nordsiebenbürgischen Klausenburg wurde Renate Mildner-Müller zur Meisterschülerin der Klasse Graphik, und sie machte schon bald nach Erwerbung des Diploms in geradezu atemberaubendem Tempo von sich reden. Dazu hier nur einige Stichworte: Bis zu ihrer Aussiedlung aus Rumänien im Jahr 1977 illustrierte sie eine stattliche Reihe von Büchern. In keiner dieser ungezählten Illustrationen verleugnen sich die unverwechselbare persönliche Eigenart und deren schrittweise Kultivierung und Verfeinerung, das immer größere Raffinement der Ausdrucksintention, nicht zuletzt auch die immer souveränere Freiheit der Ironie und des Humors, die Distanz dieser Kunst zu sich selber - auch sie geradezu klassische Kennzeichen des Könnens dieser Frau.

Sofern ich Renate Mildner-Müllers Werk überblicke, scheint mir der entscheidende Schritt im Prozess der Ausreifung ihres Könnens der Einschnitt der Übersiedlung in den westlichen Teil Deutschlands 1977 gewesen zu sein. Sie erarbeitete sich freischaffend jenen Gestus des künstlerischen Vertrags, der alles, was sie in den letzten Jahrzehnten schuf, charakterisiert, und der auch bei den Kennern als das unaustauschbare Signum ihres Werks gilt. Die Beteiligung an vielen Ausstellungen im In- und Ausland, die Ankäufe durch Museen und Galerien, die Preise, mit denen Renate Mildner-Müller öffentlich geehrt wurde, bezeichnen die äußeren Wegmarken einer Entwicklung, die im Kreis der Künstler, denen ich mich seit Beginn meiner publizistischen Laufbahn beobachtend und kritisch zuwende, zum Erfreulichsten gehört.

Die Gründe dafür seien kurz umrissen. Zunächst springt hier, betrachten wir das Werk als Ganzes, die Stetigkeit der Schritt für Schritt in sich folgerichtigen Entfaltung ins Auge. Das heißt, es gibt im Werk dieser Frau keine abrupten Wechsel, keine Katastropheneinlagen, keine extravagante Sprünge oder verrückten Versuche. Nichts gegen all diese oder ähnliche Möglichkeiten künstlerischer Selbstfindung. Doch sind sie hier eben nicht vorhanden und führten dennoch zu einer nach Eleganz und Spielfreudigkeit des Ausdrucksvermögens unübersehbaren Eigenwilligkeit des Ausdrucks. In diesem Kontinuum äußert sich ein Grad von Zuverlässigkeit jener Art, die die Merkmale der individuellen Ursprünglichkeit instinktiv früh erkannte und ihnen treu blieb durch alle Strömungen, Trends und die ständig wechselnden Modernismen und das, was dafür gehalten oder erklärt wird, hindurch. Das nächste Faszinosum der Kunst Renate Mildner-Müllers liegt für mich in der Harmonisierung der angewendeten Mittel, Linie und Farbe, zu einer Sprache der geradezu musikalischen Schwerelosigkeit, nach der im Grunde jedes Bemühen um künstlerische Form strebt. Alles Gewicht durch die restlos geglückte Form gleichsam aufzuheben, sich von aller Schwere des Motivs, des Themas, des Gegenstands zu entschlacken, die der Form immer im Wege steht, ist der eigentliche Antrieb künstlerischer Formsuche, handle es sich um die Sprache, um den Ton, um die Farbe, um die Linie.

In Renate Mildner-Müllers Bild- und Bilderwelt wird dies Ziel immer wieder erreicht. Ob ich mir das "Südliche Stilleben" mit der Duftigkeit seiner Ocker-, Orange- und Grauweißvaleurs vor Augen halte oder die transparente blaue Entflammtheit des "Prinzen Jusuff" oder das Gegen- und Ineinanderklingen der Gelb- und Blauweißtöne im Bild "Venezianische Begegnung" usw.: Auf allen diesen Blättern vereinigen sich Linie und Farbe zu einer Synthese der leichthändigen Heiterkeit, die für den Betrachter deswegen Ansteckendes hat, weil die inneren Gleichgewichte der Arbeiten stimmen. Hier wird uns nichts vorgegaukelt, das Artefakt wird nicht zum Vehikel eitler Geltungssucht, schon gar nicht einer Ideologie oder der Demonstration von Pseudooriginalität.

Renate Mildner-Müller: Venezianische Begegnung
Renate Mildner-Müller: Venezianische Begegnung

Damit bin ich beim dritten Grund meiner bewundernden Zuneigung zur Kunst der Renate Mildner-Müller. Ich deutete ihn schon an: Ich meine - sehr abstrakt ausgedrückt - das Ansteckende der konstruktiven Potentiale, die in dieser Kunst zum Ausdruck finden. Endlich einmal Kunst, fühle ich mich veranlasst zu sagen, die nicht das Destruktive, das Negative, das nach unten Weisende, das um jeden Preis Kritische in seinem zerstörerischen Sinne meint, sondern eine Kunst, die Freude suggeriert und daher Mut macht. Wahrlich, meine Damen und Herren, eine bemerkenswerte Kunst also und fast ein Mirakel an dem weitgehend nur auf den untersten Kelleretagen unserer Existenz herumwühlenden und diese als die einzig wahre Seinsmöglichkeit proklamierenden Kunstgehabe nicht weniger in unseren Tagen. So schreitet Renate Mildner' Müllers "Papageno" denn auch frech und lebensfroh - wie auf dem gleichnamigen Blatt zu sehen ist - über alles bedrohliche Drachengesocks hinweg, das uns allenthalben täglich begegnet, und ihre "Spielkiste" - so heißt ein anderes Blatt - bringt fröhliche Aufgeräumtheit ins Chaos unserer Umwelt und lehrt den Umgang mit den Dingen im Zeichen jener Unverdrossenheit, die - würde Goethe ohne weiteres auch gesagt haben können "der Menschheit bester Teil" ist.

Hans Bergel


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 16 vom 15. Oktober 2003, Seite 6)

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