13. Oktober 2003

Beziehungen zu Luxemburg gefestigt

Die Jahresversammlung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde fand vom 12.-14. September in Schengen in Luxemburg statt. Der kleine Ort an der Mosel ist bekannt durch das internationale Abkommen zum Abbau der Grenzkontrollen in der Europäischen Union. Schengen liegt im südöstlichen Zipfel des Großherzogtums, an der Grenze zu Frankreich und Deutschland. Während die Diplomatenkonferenz 1985 auf einem auf der Mosel ankernden Passagierschiff abgehalten wurde, tagten wohl keinen Steinwurf von dieser historischen Stelle entfernt die Siebenbürger im Schengener Schloss, einer von Ordensfrauen geführten Bildungsstätte.
Der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde veranstaltet neuerdings nur alle zwei Jahre eine große Tagung mit vollem Vortragsprogramm, in den Jahren dazwischen eine etwas bescheidenere Jahresversammlung mit reduziertem wissenschaftlichen Programm. Dafür bleibt mehr Zeit für Begegnungen, Gespräche und Besichtigungen sowie für die Mitgliederversammlung. So erlebten die rund 130 Teilnehmer eine erfreuliche und bereichernde Begegnung, die von der milden Septembersonne begleitet wurde.

Nach der Mitgliedersammlung am Samstagnachmittag im „Victor Hugo“-Konferenzsaal im Schengener Schloss fanden zwei Vorträge statt: René Richtscheid (Universität Trier) sprach über „Motive zur Auswanderung nach Siebenbürgen nach den lotharingischen Chroniken 1096-1241“, worin er neue Erkenntnisse vorstellte, die in ihrer Dichtheit und Interpretation die Hörer geradezu elektrisierten. In den zurückliegenden Jahren wurden vor allem auf linguistische Belege gestützte Aus- bzw. Einwanderungstheorien aufgestellt. Aufgrund historischer Quellen bot Richtscheid nun Ansätze zu neuen Interpretationen. Die Auswanderung nach Siebenbürgen sei kein singuläres Ereignis, sondern in Verbindung mit den Hungerkatastrophen in Westeuropa und den Kreuzzügen zu sehen. Mobilität und Informationsflüsse über den gesamten europäischen Kontinent hätten das Mittelalter geprägt, verdeutlichte Richtscheid. Man darf gespannt sein, welche Wege die Forschung weiter beschreiten wird.

Den zweiten Vortrag hielt Jean-Claude Muller (Luxemburg), der Präsident der Luxemburgischen Gesellschaft für Genealogie und Heraldik, auf deren Anregung die Tagung zustande kam. Er beleuchtete die „Beziehungen zwischen Letzebuergisch und Siebenbürgisch-Sächsisch vor dem Hintergrund des Moselromanischen“. Muller ging auch auf die multilingual geprägte Sprachsituation in Luxemburg ein, in der das Französische, Letzeburgische und Deutsche eine - wenn auch nicht gleichrangige und situationsabhängige – Rolle spielen.

Beide Referate knüpfen übrigens an frühere wissenschaftliche Bemühungen an: Bereits 1957 hatte Karl Kurt Klein auf der 5. Jahrestagung des Arbeitskreises junger Siebenbürger Sachsen in Weißenburg (Mittelfranken) in einem umfassenden Vortrag „Luxemburg und Siebenbürgen“ ein breiteres Publikum mit dieser Thematik bekannt gemacht und in die sprachgeschichtlichen Untersuchungen seit 1908 vor allem durch Georg Keintzel, Gustav Kisch und Richard Huß eingeführt, die von Andreas Scheiner, Hermine Klein, Ernst Wallner, Ernst Schwarz, Bernhard Capesius und nicht zuletzt von Karl Kurt Klein erarbeitet wurden. 1969 auf der 7. Tagung des Landeskundevereins in Aachen („Siedlungsgeschichte und Sprachgeographie“; Band 8 des Siebenbürgischen Archivs) trieb abermals Karl Kurt Klein die „Luxemburg-Frage“ voran. Das Thema wurde 1976 auf der 14. Tagung in Echternach („Luxemburg und Siebenbürgen“) und 1980 auf der 18. Tagung in Trier („Die Mosellande und Siebenbürgen“) vertieft.

Den beiden Vorträgen schlossen sich lebhafte Diskussionen an, die selbst beim Empfang des ehemaligen Vorsitzenden des Arbeitskreises, Dr. Günther Tontsch, zu dessen 60. Geburtstag im Garten und auf der Terrasse des Schengener Schlosses fortgesetzt wurden.

Neben dem formellen und inhaltlichen Teil der Jahresversammlung gab es ein eher touristisch geprägtes Programm, so der Besuch des luxemburgischen Weinbaumuseums in Ehnen an der Mosel, unweit von Schengen gelegen. Zur Weinprobe lud Jemp Bertrand, langjähriger Abgeordneter der luxemburgischen Nationalversammlung, in sein Haus – ein ehemaliges Schulgebäude - ein. Der Gastgeber ist seit Jahrzehnten ein treuer Freund Siebenbürgens. Er sprach letzebuergisch, die Sachsen verwendeten ihre Mundart, und man verstand sich vorzüglich bei Moselwein und freundlichen Gesprächen. So kam heimatliche Stimmung auf, die allen Teilnehmern in angenehmer und nachhaltiger Erinnerung bleiben dürfte. Nach einem eindrucksvollen katholischen Gottesdienst in Schengen besuchten einige Teilnehmer am Sonntag die Hauptstadt Luxemburg, die anderen das Städtchen Mersch im Landesinneren.

Die Sektion Genealogie des Arbeitskreises hatte im Merscher Schloss, das heute als Rathaus und Sitz der Luxemburgischen Gesellschaft für Genealogie und Heraldik dient, eine intensive Begegnung. Die Tagung klang mit einem gemeinsamen Essen in einem romantisch gelegenen Mühlengasthof im Tal der Alzett aus.

Die Tagung leitete der Vorsitzende des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, Dr. Ulrich Wien, unterstützt von Dr. Harald Roth und Gustav Binder. Wie vielseitig die Forschungen des Landeskundevereins sind, zeigte das große Bücherangebot. Die nächste Jahrestagung des AKSL findet im September 2004 in Heidelberg statt und widmet sich dem Thema „Die Minderheiten in Rumänien in der Zeit des Stalinismus“.

Balduin Herter


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 16 vom 15. Oktober 2003, Seite 7)

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