18. Oktober 2003

Dem "Geist der Bergschule" verpflichtet

„Jahre, die uns prägten“. Festschrift zum 50. Maturajubiläum des Absolventenjahrgangs 1953 der Pädagogischen Schule aus Schäßburg. Herausgeber: Hans Albrich und Samuel Beer; Eigenverlag 2003, 200 Seiten, Preis: 45,00 Euro (inklusive Porto), Bestelladresse: Hans Albrich, Kirchstraße 45, 72348 Rosenfeld, Telefon: (0 74 28) 3 71 87.
Dieses vierte so genannte „Klassenbuch“ haben die Absolventen der Schäßburger Lehrerbildungsanstalt zu ihrem 50. Maturajubiläum herausgebracht. Es sei ein Buch der „Erinnerung, die an unsere siebenbürgische Herkunft, besonders aber an Schäßburg und seine Bergschule gebunden ist, an Menschen, die dort und damals von einem bestimmten Geist beseelt waren, aus ihm lebten und uns diesen guten Geist zugänglich machten“, schreiben die Herausgeber in der Einleitung. Das Buch ist in vier Teile gegliedert: 1. Schäßburg und die Bergschule, 2. der Jahrgang 1949-53; Unsere Lehrer/Professoren, 3. Erinnerungen an Schule und Beruf, Bilderteil und 4. Unsere Klassentreffen, Bildnachweis und Klassenlisten.

Im ersten Teil des Buches führt Hans Albrich in die Geschichte Schäßburgs ein. Man erfährt das Wichtigste über die Stadt („das siebenbürgische Rothenburg“), angefangen von der Gründung über die abwechslungsreiche Geschichte bis heute. Mit Blick auf die Zukunft der altehrwürdigen Stadt geht Albrich der Frage nach, wer „unsere Hinterlassenschaft, die historischen Monumente und unser kulturhistorisches Erbe bewahren“ wird. Er geht von den Tatsachen aus, „dass unser Volk nach dem Zweiten Weltkrieg aus Rumänien nicht gewaltsam vertrieben wurde, Kirche und deutsches Schulwesen behalten durfte, und, wenn auch eingeschränkt, seine Traditionen pflegen konnte.“ Auf einer Reise durch die Türkei habe Albrich beeindruckt beobachtet, wie pfleglich und ehrlich die Türken mit den griechischen Kulturstätten auf ihrem Territorium umgehen. Darauf bauend, schließt er hoffnungsvoll: „Ich traue den Rumänen zu, zu solchem Verhalten zukünftig ebenfalls fähig zu sein!“. Und: „Gelingt das, dann können wir ausgewanderten Siebenbürger Sachsen unsere einstige Heimat versöhnt immer wieder aufsuchen, sind aber auch gemäß des uns anerzogenen Geschichtsbewusstseins verpflichtet, einen angemessenen Beitrag unsererseits zur Erhaltung unserer Kulturstätten auf dem rumänischen Territorium zu leisten!“

Samuel Beer greift in seinem Beitrag „Unsere Bergschule“ treffend heraus: „Es war eine Zeit, die - dank unserer hervorragenden Pädagogen - uns formte, beseelte und Orientierungshilfen bot, die maßgebend für unsere weiteren Bildungs- und Erziehungsaufgaben waren.“ Den Lehrern sei es gelungen, „ohne Lehrbücher das notwendige Wissen zu vermitteln, gleichzeitig aber auch Herz und Charakter zu bilden – eben den Geist der Bergschule“. Beer fasst zusammen: „Das Hauptverdienst kommt dabei bestimmt unsern tüchtigen Lehrern zu, die uns in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs und der materiellen Not der Nachkriegsjahre mit beispielhafter Verantwortung, mit einem Idealismus, der jeder Grundlage bar zu sein schien, geformt und geprägt haben.“ Dabei bildete sich eine Gemeinschaft Gleichgesinnter heraus, deren Grundlage der viel beschworene „Geist der Bergschule“ war. Er ist schwer zu definieren, aber durch Taten und Gesinnung belegbar und in die folgenden Generationen verpflanzbar.

Nach der Schulreform von 1948 bestand die deutsche Lehrerbildungsanstalt nur sieben Jahre lang in dieser einmaligen Bildungsstätte. Dazu Samuel Beer:„Wir sind froh und dankbar, dass wir die Bergschule in ihrer letzten Hoch-Zeit noch erleben durften. Unsere Lehrer verstanden es, uns im Sinne der Leitsprüche der Bergschule, die uns täglich vor Augen standen, für unser künftiges Wirken vorzubereiten. SCOLA SEMINARIUM REI PUBLICAE (Die Schule – eine Pflanzstätte des Gemeinwesens) steht auf dem Giebel des 1619 errichteten Schulbaues, und auf der Stirnseite des Hauptgebäudes ist zu lesen: PATRIAE FILIIS VIRTUTI PALLADIQUE SESE VOVENTIBUS SACRUM (Den Söhnen des Vaterlandes, die sich der Tugend und Wissenschaft weihen, ein Heiligtum).“ Deutschlehrer Egon Machat - Bergschüler einer anderen Generation – interpretierte die Worte wie folgt: „Die beiden Texte ergänzen einander und tragen eine Mahnung in sich: Die Schule wird erst dann zur geheiligten Pflanzstätte, wenn die Söhne des Vaterlandes sich der Tugend und der Wissenschaft weihen. Diese Mahnung erscheint uns, wenn wir die Geschichte der gesamten siebenbürgisch-sächsischen Schule durch die langen Jahrhunderte ihres Bestehens überblicken, als ein nie untergegangenes Leitmotiv, als ein Leitspruch, der seine Gültigkeit bis tief ins 20. Jahrhundert bewahrt.“

Seit ihrem Bestehen war die Schäßburger Bergschule unumstritten das führende Gymnasium der Siebenbürger Sachsen. Geistiger Träger der Schule war eine aufgeschlossene und fortschrittliche, hochgebildete, stets mit den neusten Erkenntnissen der Wissenschaft und Pädagogik vertraute Lehrerschaft. So überrascht es nicht, dass vier gewesene Direktoren der Bergschule in lückenloser Reihenfolge Bischöfe in Birthälm und Hermannstadt wurden: Georg Paul Binder (1843-1867), Georg Daniel Teutsch (1867-1893), Friedrich Müller (1893-1906), Friedrich Teutsch, der Sohn von G. D. Teutsch (1906-1932). Fast ein ganzes Jahrhundert lang haben diese bedeutenden Persönlichkeiten die Geschichte der Siebenbürger Sachsen entscheidend mitbestimmt. Aus dem Lehrerkollegium dieser Schule ging im Laufe der Jahre eine Reihe bedeutender Pädagogen und Wissenschaftler hervor, wie Michael Albert, Joseph Haltrich, Richard Schuller, Johann Wolff, Hermann Oberth (der international anerkannte „Vater der Raumfahrt“) u.a. Für seinen Jahrgang unterstreicht Beer: „Wir haben uns Mahnung und Leitspruch zu Herzen genommen und danach gelebt. Für uns wurden die schönen, aber nicht sorglosen Zeiten in Schäßburg, „Jahre, die uns prägten.“

Im zweiten Teil werden die Lehrer und Professoren des Jahrgangs aufgelistet sowie die beiden Klassenlehrer Michael Helwig und Dr. Eckhardt Hügel gewürdigt. Aus den 87 Lebensberichten und den im dritten Teil folgenden „Erinnerungen aus Beruf und Schule“ – dem Hauptteil des Buches – gewinnt der Leser einen tiefen Einblick in den Werdegang dieser Lehrergeneration der Nachkriegsjahre in Siebenbürgen. Das Buch besticht durch Offenheit und Unbefangenheit in der Berichterstattung. Alle geschilderten Lebenswege entfalten sich vor dem Hintergrund der wichtigsten zeitgeschichtlichen Ereignisse der letzten 60 Jahre: Flucht im Treck 1944, Russlanddeportation, Enteignung von Grund und Boden 1945/46, Entrechtung und Entmündigung durch die wiederholten Evakuierungen, politische Schauprozesse und Verhaftungswellen, Verbannung an den Kanal, Einkerkerung in Jilava und Gherla (Isolierung in Carlibaba!), ideologische Hirnwäsche, persönliche Entwürdigung – besonders am Schalter des Passamtes, Zwang zum doppelgleisigen Weg der Lehrer und Eltern in der Erziehung, Schulreform, Alphabetisierung. Kulturrevolution, fortschreitender Rumänisierungsprozess, Personenkult, Auswanderung in die BRD und Eingliederungsprozess in der neuen Heimat. Die Erinnerungen dokumentieren, wie siebenbürgische und Banater Mädchen und Jungen sich durch die Wirren der Zeit, unter schwierigsten politischen Verhältnissen und materieller Not, unterstützt von ihrer Familie und der engeren Gemeinschaft, ihre Berufung als Lehrer bzw. Pfarrer suchen, finden und ihr nachgehen und wie einige sich auch auf anderen wichtigen Gebieten qualifizieren, beispielsweise im diplomatischen Dienst der Bundesrepublik.

Von den 90 Lehrern des Jahrgangs sind neun verstorben, fünf leben in Siebenbürgen und der Großteil von ihnen, das sind 76, leben heute mit ihren 136 Kindern und 134 Enkelkindern glücklich in ihrer neuen Heimat, in Deutschland.

Der reiche Bilder-Teil (73 Fotos) veranschaulicht den vorangegangenen Textteil. Damit wird sowohl dem Volkskundler als auch dem interessierten Historiker einiges geboten. Das Buch soll auch andere ermutigen, die eigenen Erinnerungen zu Papier zu bringen. Je mehr Menschen ihre Erinnerungen nach bestem Wissen und Gewissen aufschreiben, um so wahrer ist das Bild der Vergangenheit, das unserer Nachwelt erhalten bleibt.

Johann Unberath



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