27. Oktober 2003

Für den Erhalt der sächsischen Identität gewirkt

Trotz widriger Umstände und mancher Kompromisse hat sich die deutsche Presse für die Wahrung der siebenbürgisch-sächsischen Identität in den Jahrzehnten der nationalkomministischen Diktatur in Rumänien stark gemacht. Dies stellte Hannes Schuster, ehemaliger Chefredakteur der Siebenbürgischen Zeitung, in einem Vortrag im Rahmen der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage am 8. Oktober in Speyer fest. Auf die „Deutsche Presse zwischen Budapester und Bukarester Zentralismus“ war zuvor Dankwart Reissenberger, Ehrenvorsitzender der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, eingegangen.
Der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft, Volker E. Dürr, bedankte sich in seiner Begrüßung bei der Stadt Speyer, die für diesen Abend den Historischen Ratssaal im Rathaus zur Verfügung gestellt hatte. Er wies darauf hin, dass sich die Siebenbürger Sachsen aktiv in das Kulturleben Deutschlands einbringen. Einen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit weniger bekannten Aspekt ihres Wirkens, die Minderheitenpolitik und die deutsche Presse in Siebenbürgen, würden die beiden Journalisten Dankwart Reissenberger und Hannes Schuster behandeln. Der Bundesvorsitzende freute sich unter den nicht sehr zahlreichen Gästen einen weiteren ehemaligen Redakteur, Fritz Feder, begrüßen zu dürfen.

Die Bestrebungen zum Erhalt der siebenbürgisch-sächsischen Identität beleuchtete Dankwart Reissenberger in einem historischen Rückblick unter dem Titel „Deutsche Presse zwischen Budapester und Bukarester Zentralismus“. Der Kampf um die eigenen Rechte sei ein Leitmotiv der siebenbürgisch-sächsischen Presseveröffentlichungen gewesen. „Die Rechts- und Verwaltungsautonomie, die ihren Ursprung in dem Freiheitsbrief des ungarischen Königs Andreas II. aus dem Jahr 1224 hatte, war im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder in Zweifel gezogen und hart umkämpft worden“, betonte der Ehrenvorsitzende der Landsmannschaft.



Ehrenvorsitzender Dankwart Reissenberger. Foto: Hans-Werner Schuster
Ehrenvorsitzender Dankwart Reissenberger. Foto: Hans-Werner Schuster
Auf die bedrohte Lage der Siebenbürger Sachsen „innerhalb der fremdvölkischen Umwelt von Ungarn und Rumänen“, habe am 18. Mai 1848 auch die sächsische Delegation aufmerksam gemacht, die bei der Eröffnung des Frankfurter Parlaments zugegen war, führte Reissenberger aus. Die führenden Kreise der Siebenbürger Sachsen seien dann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in zwei Parteien gespalten gewesen: Die „Altsachsen“ waren Gegner der Union mit Ungarn und hielten lieber an der deutschen Monarchie am Hause Habsburg fest. Die so genannten „Jungsachsen“, die zum Teil in Deutschland studiert hatten, plädierten für eine opportunistische Realpolitik gegenüber der ungarischen Regierung.

„Die Zertrümmerung des Königsbodens durch den ungarischen Ministerpräsidenten Koloman Tisza 1876 war ein äußerlicher Erfolg der Magyaren, hatte jedoch die Einigung der Sachsen, die noch immer in jung- und altsächsische Richtung gespalten waren, zur Folge“. sagte Reissenberger. So konnte der Publizist und Volkswirtschaftler Carl Wolff mit Hilfe Franz Gebbels die Presse neu organisieren und damit ein Gegengewicht zur „zerschlagenen Volkseinheit der Nationsuniversität“ schaffen.

Die Heimat Siebenbürgen sei „für unseren Volksstamm nach dem Zweiten Weltkrieg verloren gegangen“, betonte der ehemalige Bundesvorsitzende der Landsmannschaft. Der kommunistische Staat Rumänien habe die Deutschen zwar nicht vertrieben, sie aber in einen Zustand der Rechtlosigkeit versetzt, ihr Eigentum konfisziert, „so dass die Siebenbürger Sachsen von sich aus, um den rechtlosen Zustand, aber auch die wirtschaftliche Unterdrückung, ja die zeitweise Hungersituation zu beenden, nach Deutschland drängten“. Nach dem große Exodus Anfang der neunziger Jahre sei für die Landsmannschaft eine verstärkte Aufgabe bei der Bewahrung des sächsischen kulturellen und geistigen Erbes erwachsen. Der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl habe 1991 in einem Grußwort anlässlich der 850-Jahr-Feier die Arbeit der Landsmannschaft gewürdigt: Sie helfe den Landsleuten, „die in ihrer angestammten Heimat keine Zukunft mehr sehen, in Deutschland ein neues Zuhause zu finden. Sie hier aufzunehmen ist unsere selbstverständliche Pflicht“, versicherte der Bundeskanzler, „denn die Deutschen in Rumänien haben in den letzten Jahren vieles erleiden müssen. Als Volksgruppe, die über Jahrhunderte mit Menschen anderer Nationen zusammenlebte, bringen sie einen reichen Erfahrungsschatz beim Aufbau Europas ein. Dieses neue Europa kann aber nur wachsen, wenn Minderheitsrechte überall wie selbstverständlich geachtet werden.“

"Kaum Wagnisse, dafür Winkelzüge noch und noch"

Über 20 Jahre lang war Hannes Schuster im rumäniendeutsche Pressewesen während der kommunistischen Diktatur tätig, bevor er 1987 seines „Ausreiseantrags wegen mit Schimpf und Schande“ aus der Kronstädter „Karpatenrundschau“ geschasst wurde. Eine "Innenansicht" und ein realitätsnahes Bild konnte Schuster somit in seinem Vortrag „Kaum Wagnisse, dafür Winkelzüge noch und noch“ zeichnen „von den Bemühungen der rumäniendeutschen Presse um die Erhaltung der gruppenspezifischen Identität ihrer Leserschaft in den Jahren der kommunistischen Diktatur, in denen Standfestigkeit und Kompromisslertum, kleine Wagnisse und gerissene Winkelzüge sehr nah beieinander lagen, ja, man muss sagen, sich oft überschnitten haben.“

Wenn man die Blätter jener Zeit zur Hand nehme, gewinne man in der Tat zunächst den Eindruck, dass sie sich größtenteils den damals herrschenden Zwängen unterworfen haben. „Erst bei genauerem Hinsehen lässt sich eine Art schizophrener Gespaltenheit in Aufmachung und Inhalt entdecken, bei der verordneter Staatsdienst und nichtkonformer Gesinnungskonsens mit dem Leser in eins gehen“, sagte Schuster.



Hannes Schuster, ehemaliger Chefredakteur dieser Zeitung. Foto: Hans-Werner Schuster
Hannes Schuster, ehemaliger Chefredakteur dieser Zeitung. Foto: Hans-Werner Schuster
Auf den ersten Seiten der Publikationen standen die linientreuen Pflichttexte. Die journalistischen Bemühungen um die Stärkung des gruppenspezifischen Selbstverständnisses der Siebenbürger Sachsen im Innern der Blätter bewertete der Redner als „Abwehrreaktion gegen die aggressiv nationalistische Minderheitenpolitik der in Rumänien regierenden Staatspartei“. Den "mitwohnenden Nationalitäten" machte man zwar formal gewisse Zugeständnisse, strebte aber letztendlich ihre Einebnung an. Ziel des kommunistischen Regimes sei schon in den frühen 1970er Jahren erklärtermaßen die "Herausbildung der einheitlich rumänischen sozialistischen Nation" gewesen.

„Als wichtigste propagandistische Handhabe in der Annäherung an diesen gesellschaftlichen Idealzustand galt beim nationalkommunistischen Regime die so genannte ‚patriotische Erziehung der Massen‘, und es ist symptomatisch für die inneren Gegensätze, an denen das System litt und schließlich zugrunde ging, dass gerade unter dem Deckmantel dieser staatlich verordneten ‚patriotischen Erziehung‘ vieles getan werden konnte, was etwa bei Minderheitlern gerade der gruppeneigenen Identitätsbewahrung diente und damit dem staatspolitischen Ziel der Regierungspartei eindeutig zuwider lief“, so Schuster.

Staatspolitische Ziele unterwandert

An eine „Offenlegung der Bedrängnisse und der kaum staatstreuen Befindlichkeit bei den Angehörigen der deutschen Minderheit oder gar an eine Kritik an den allgemein katastrophalen Zuständen im Lande“ sei damals zwar nicht zu denken gewesen, dennoch "fand solche Kritik statt, wenn auch in der versteckt anspielenden Art einer ausgeklügelten Zwischenzeilentechnik, die sowohl von den Redakteuren als auch ihren Lesern vorzüglich beherrscht wurde... Man traf sich, Leser und Redakteure, am geometrischen Ort des wortlosen Einvernehmens, sowohl Kompromisse als auch Winkelzüge und kleine journalistische Wagnisse betreffend.“ Die "kleinen Wagnisse" seien jedoch nicht überzubewerten, stellte Schuster klar und schloss seinen Aufsatz mit folgenden Ausführungen:

„Sie waren keine Heldentaten: Verdeckt und in Andeutungen oder Anspielungen aufmüpfig zu schreiben hat seit Beginn der 1960er Jahre in Rumänien niemanden an Leib und Leben gefährdet, im schlimmsten Falle hat es den einen oder anderen Redakteur Gehaltsabzüge oder seltenst die Arbeitsstelle gekostet. Zudem hatten journalistische Sticheleien der zitierten Art keine gesellschaftliche Folgen. Ihre ironisch versteckte Kritik hat aber, das dürfen wir ohne zu übertreiben behaupten, jene Wirkung beim Leser erzielt, die kritisch ironische oder satirische Texte stets im Auge haben sollten: das befreiende Lachen, das gesellschaftliche Zwänge namentlich in Zeiten diktatorialer Unterdrückung sicher um einiges erträglicher macht. Zudem durfte der Leser hin und wieder die Erfahrung machen, dass er mit der eigenen Wahrheit im Kopf nicht unbedingt allein war.

Im Grunde jedoch ist den Zeitungsredaktionen, namentlich ihren journalistischen Unternehmungen zu Stiftung und Wahrung gruppeneigenen Identitätsbewusstseins bei den Siebenbürger Sachsen und den Rumäniendeutschen allgemein, selbst wenn man von der ideologischen Schlagseite absieht, die in vielen Fällen den Texten anhaftet, im Grunde, sage ich, ist ihnen der nicht unerhebliche Vorwurf zu machen, dass sie in vielen ihren Lesern die Illusion geweckt und recht lange am Leben erhalten haben, der Minderheit sei im Siedlungsgebiet ihr ethnischer und geistiger Fortbestand nicht völlig verbaut. Damit stellt sich bei den Redakteuren jener Zeit die berufsethische Frage nach der Wahrhaftigkeit ihrer Darstellungen und der damit verbundenen moralischen Verantwortung, und die Antwort darauf würde unweigerlich zum Nachteil der betroffenen Journalisten ausfallen, hätten nicht sie selber sich lange Zeit der gleichen falschen Hoffnung hingegeben. Sie wurde vom Massenexodus der Rumäniendeutschen, der gleich nach der Grenzöffnung von 1989 eintrat, ad absurdum geführt. So hat letztinstanzlich die Geschichte über Wert und Unwert von Winkelzügen und Wagnissen endgültig entschieden, oder lassen Sie es mich in einem Oxymoron, in einer in sich gegensätzlichen Wortverbindung sagen: Endgültig entschieden hat sie über den Wert und Unwert kompromisslerischer Standhaftigkeit und standhaftem Kompromisslertum, wie sie damals mehr oder weniger uns allen, die wir in jenen bedrückenden Jahren der Diktatur gelebt haben, durchaus eigen waren.“

Siegbert Bruss


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 17 vom 31. Oktober 2003, Leitartikel)

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