2. November 2003

Symposium zum 100. Geburtstag von Rudolf Wagner-Régeny

2003 jährt sich der Geburtstag des siebenbürgischen Komponisten Rudolf Wagner-Régeny zum 100. Mal. Der Rundfunk (SWR 2) sowie vielfache Gedenkveranstaltungen (etwa in Berlin, Dresden, Leipzig, Dinkelsbühl und demnächst in München) versuchen, die Künstlerpersönlichkeit dieses bedeutenden Komponisten des 20. Jahrhunderts wieder in unser Bewusstsein zu rücken. Nahe liegend, dass auch die Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2003 in Zusammenarbeit mit der Musikhochschule Mannheim im Jubiläumsjahr mit einem Symposium den großen Sohn der Siebenbürger Sachsen würdigten.
Von Speyer, dem Austragungsort der diesjährigen Kulturtage, war man extra in den Kammermusiksaal der Mannheimer Musikhochschule gezogen, sicher nicht nur des anspruchsvollen Ambientes wegen, sondern offenbar auch in der Hoffnung, hier ein „Spezialisten-Publikum“ vorzufinden mit dem nötigen Verständnis und Interesse für das Werk eines Komponisten von außerordentlicher spiritueller Tiefe und Aussagekraft, um den sich dennoch der Schleier des Vergessens zu senken droht. Wagner-Régeny, mittlerweile ein Fall für Spezialisten? Wie lässt sich das Abebben des Interesses an Wagner-Régeny erklären, der in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu den meistaufgeführten Opern-Komponisten in Deutschland zählte ? (Sein Günstling, uraufgeführt 1935 durch K. Böhm, erlebte mit 136 Aufführungen beispielsweise eine größere Beachtung als Wagners Tristan). Diese Frage zu klären und ein lebendiges Porträt des Jubilars in Wort und Ton zu entwerfen, waren zwei Künstler – der Pianist Peter Szaunig (München ) und der Sänger Michael Kreikenbaum (Wiesbaden ) – sowie zwei Referenten – Karl Teutsch und Tilo Medek - angetreten.

Glücklich war die Wahl der beiden Referenten und sinnvoll die unterschiedliche Themenstellung der beiden Vorträge, die in gleichsam kontrapunktischem Gegensatz das facettenreiche Bild dieses nicht unumstrittenen Künstlers zu durchleuchten suchten, spielte sich sein Leben und Wirken doch im Spannungsfeld zweier konträrer Diktaturen ab.

Die Akteure des Symposiums in Mannheim
Die Akteure des Wagner-Régeny-Symposiums in Mannheim, von links nach rechts: Prof. Heinz Acker, der Moderator des Abends, Karl Teutsch (Referent), Michael Kreikenbaum (Bariton), Peter Szaunig (Klavier) und Tilo Medek (Referent).


Anhand von „Selbstzeugnissen“ (biographischen Aufzeichnungen und Briefen Wagner-Régenys) zeichnete Karl Teutsch das Lebensbild des Komponisten in seinen wichtigsten Stationen nach. „Das Jahrhundert war drei Jahre alt, als ich, an Goethes Geburtstag, am 28. August 1903 in Sächsisch Regen geboren wurde“, so beginnen Régenys biographische Aufzeichnungen. In bilderreicher und geschliffener Sprache entführen Régenys Notizen zunächst von den frühen Kinderjahren in Sächsich-Regen, über die Gymnasialzeit in Schäßburg und die Studienzeit in Leipzig (bei Rob. Teichmüller) schließlich nach Berlin, wo er sein Studium (bei F. Koch, S. Ochs, N. v. Reznicek und H. Scherchen) mit Auszeichnung und einem Kapellmeister-Diplom beendet. Es folgen zunächst Hungerjahre als Tanzboden-und Kino-Pianist, Tourneen mit dem Tanztheater des R. v. Laban und erste Engagements an der Volksoper mit ersten musikdramatischen Kompositionsversuchen. Entscheidend wird die Begegnung mit dem Bühnenbildner und Schriftsteller Caspar Neher. Dieser schöpferischen Freundschaft und Zusammenarbeit sind alle späteren Erfolgsopern Wagner-Régenys zu verdanken. Den künstlerischen Beinamen „Régeny“ (der aus Regen stammende) hatte sich Rudolf Wagner übrigens auf Anraten eines skeptischen Verlegers beigelegt. Er bekundete damit auch seine Verbundenheit zur siebenbürgischen Heimat.

Der entscheidende Durchbruch gelang 1935 mit der Uraufführung des Günstlings an der Dresdener Staatsoper. Schon ein Vierteljahr später erklingt der Günstling auf der Naturbühne im Erlenpark von Hermannstadt unter C. Gorvin. Wagner-Régenys Name wird nun in einem Atemzug mit den großen Musikdramatikern jener Zeit, Werner Egk und Carl Orff, genannt und gilt fortan neben Brecht und Kurt Weill als einer der Begründer des gesellschaftskritischen, lehrhaft epischen Musiktheaters. Es folgend weitere Erfolgsopern : „Die Bürger von Calais“ (Uraufführung 1939, Berliner Staatsoper unter Karajan) und „Johanna Balk“ nach einer siebenbürgischen Chronik (Uraufführung 1941 in Wien ).

Dem Fronteinsatz entgeht der zum Kriegsdienst völlig ungeeignete Komponist durch die Einflussnahme von Gerta Louise von Einem, der Mutter seines Komponisten-Freundes Gottfried v. Einem. Nach Kriegsende ernennen die Russen („du nix Professor, du Direktor!“) den in Güstrow mittellos Gestrandeten über Nacht zum Direktor der neu gegründeten Musikhochschule Rostock. Sie trägt heute noch seinen Namen. 1950 übernimmt er die Meisterklasse für Komposition an der Hochschule für Musik in Berlin. Die Opern Wagner-Régenys werden in der DDR wieder aufgeführt. Es entstehen die späten Werke, die Kantate Genesis, das szenische Oratorium Prometheus (Uraufführung 1959 in Kassel!) sowie seine letzte Oper Das Bergwerk zu Falun (Salzburger Festspiele 1961).

Die von Karl Teutsch vorgelegten Briefzitate an die Freunde C. Neher und G. v. Einem berichten über die innere Befindlichkeit des hochsensiblen Künstlers in schweren Zeiten, über seine beiden Ehen (mit der Künstlerin Leli Duperrex und mit Gertie Voht) und die letzten von Krankheit gezeichneten Jahre bis zu seinem Tode 1969. Man staunt über die Vielseitigkeit und Wortgewandtheit mit der ästhetische und kulturphilosophische Themen behandelt werden und gewinnt den Eindruck eines Künstlers, der ausschließlich seiner Kunst gelebt hat.

Birgt diese Art der Darstellung nicht auch die Gefahr einer verklärenden Selbstbespiegelung, fragte der zweite Referent Tilo Medek, Komponist und ehemaliger Meisterschüler von Wagner-Régeny. Sicher hat ein so integrer Künstler wie Wagner-Régeny versucht, sich von keinem der beiden Regime vereinnahmen zu lassen. Er besaß weder das braune noch das rote Parteibuch. Und dennoch hat wohl auch er nach beiden Seiten hin Zugeständnisse machen müssen, von denen seine Aufzeichnungen nichts verraten. Eine durch Auslassungen und Beschönigungen „parfümierte“ Selbstdarstellung befürchtet Medek, dessen Referat den Untertitel „Wagner-Régeny beim Hundertsten ein wenig hinterfragt“ trug.

Aus Régenys Aufzeichnungen erfährt man beispielsweise nichts über seine Bereitschaft eine Ersatzmusik für Mendelssohns von den Nazis gechasste „Sommernachtstraum-Musik“ zu schreiben. Verschwiegen wird auch die Existenz eines propagandistischen Blut-und-Boden-Feierspiels „Das Opfer“, das anlässlich der Gründung der „Kulturkammer der deutschen Volksgruppe in Rumänien“ im Zuge der politischen Gleichschaltung am Vorabend des NS-Gedenktages (9.11.1941) durch das Deutsche Landestheater in Hermannstadt uraufgeführt wird. Diese Musik taucht in keinem späteren Werkkatalog auf, lebt aber möglicherweise in den 1952 erschienenen Drei Orchestersätze – so die Vermutung Medeks – weiter. Zwar sprechen die Aufzeichnungen von einsetzenden Schikanen der braunen Machthaber, die seine Stücke als „gefährlich“ einstufen. Man findet aber keine Hinweise über die Machenschaften der braunen Kulturbonzen bei der propagandistischen Umformung beispielsweise des siebenbürgischen Johanna-Balk-Stoffes. Die finanzielle Unterstützung während der auftragsarmen Kriegsjahre durch Gauleiter Schirach wird in den späteren Lebenserinnerungen beschönigend als Rente der „Stadt Wien“ verharmlost. Noch liegen möglicherweise erhellende Dokumente unter Verschluss der Familie, so Medek, dessen Bemühungen die Lebenserinnerungen Wagner-Régenys nach 1943 herauszugeben bereits zweimal an diesem Widerstand gescheitert sind.

Das DDR-Regime, für das er gelegentliche (allerdings wenig beachtete) Huldigungsstücke schrieb, bediente sich des Komponisten als Aushängeschild für das Weiterbestehen des bürgerlichen Musiklebens im Sozialismus und zeichnete ihn mit dem Nationalpreis aus. Für den Westen war Régeny eindeutig „einer von drüben“, spätestens als er nach der Uraufführung seiner letzten Oper Das Bergwerk zu Falun 1961 drei Tage nach dem Mauerbau von den Salzburger Festspielen in die DDR zurückkehrte. Der Osten war nicht interessiert an einer „lupenreinen antifaschistischen Vergangenheit“ des Komponisten, und der Westen stieß sich an seinen eminenten Erfolgen (und Zugeständnissen?) im Dritten Reich. So senkte sich ein Schleier des Vergessens – welche Ironie des Schicksals – über einen der erfolgreichsten Komponisten des vergangenen Jahrhunderts.

Eine Vorstellung seiner konzisen, aber ausdrucksstarken Klangsprache vermittelten die beiden Künstler Szaunig und Kreikenbaum mit drei Liedblöcken, die das Programm einrahmten. Mit seinem wohltönenden und modulationsfähigen Bariton verstand es Kreikenbaum, Régenys aufs Äußerste verdichtete und verknappte Tonsprache sensibel auszuloten. Zunächst in den drei Fontane-Liedern (Trost / Die Frage bleibt / Ausgang), dann mit gestalterischem Witz in den drei Brecht-Liedern (Der Rattenfänger von Hameln / Vom Glück des Gebens / Ulm 1592) und in den beiden Hermann-Hesse-Liedern (Nun blüht die Welt nicht mehr / Beim Schlafengehen) das Trostlose dieser späten Lieder mit fahler Tongebung färbend. Peter Szaunig war ihm dabei ein einfühlsamer Begleiter. Von ihm gab es zum Abschluss des Abends eine Eigenkomposition „In Memoriam Rudolf Wagner-Régeny“, auf ein 12-Ton-Thema. Szaunig greift in dieser Hommage mit Blick auf Wagner-Régenys Schreibweise auf die strenge Formenwelt einer Fuge mit nachfolgender Passacaglia. In fünf Variationen baut der Zyklus einen mächtigen Klangbogen auf, um mit einem Zitat aus Wagner-Régenys „Requiem“ (dona eis requiem, Amen) zu schließen, als Reverenz an den großen Komponisten, den „originellen Denker und komponierenden Humanisten aus Siebenbürgen“, wie ihn sein Biograph Max Becker einmal treffend bezeichnet hat.

Prof. Heinz Acker

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