9. November 2003

Musik von der Renaissance bis zum Jazz

Mit Orgelmusik hat Speyer eine Nische im Kultur- und Kunstleben besetzt, die angesichts herausragender Instrumente sowie der dortigen Orgelschule über die Region hinaus Beachtung findet. Darin klinkten sich die Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage mit Konzerten von Ursula Philippi, Karl Graef und Hugo Siegmeth, sowie Horst Gehann gemeinsam mit dem Vokalensemble „Cantabile“ unter der Leitung von Angela Gehann-Dernbach ein.
Komponist und Werk


Alle drei Kirchenkonzerte im Rahmen der Kulturtage berücksichtigten in ihrem Programm Werke siebenbürgischer Komponisten. Ursula Philippi brachte am 11. Oktober Rudolf Lassels (1861-1918) „Fantasie über ,Ein feste Burg ist unser Gott‘“, Dieter Ackers (geb. 1940) „Votiv-Blätter zum 100. Geburtstag Max Regers, 1972“ und Hans Peter Türks (geb. 1940) „Elegie. Meditation über die ,Siebenbürgische Elegie‘ von Adolf Meschendörfer“ zu Gehör. Eigene Kompositionen spielten am 12. Oktober beim Konzert „Jazz in der Kirche“ Karl Graeff („Minor mood“, „Sunrise in Transylvania“) und Hugo Siegmeth („Siga, Siga“, „Kaul“, „Balkan Blue“). Ausschließlich „Siebenbürgische Orgel- und Chormusik“ boten am 16. Oktober Horst Gehann und der Kammerchor „Cantabile“, ein 16 Mitglieder zählender Projektchor für anspruchsvolle Chorliteratur unter der Leitung von Angela Gehann-Dernbach: „Fantasia 4 vocum“ von Valentin Greff-Bakfark (um 1536-1576) in der Bearbeitung von Horst Gehann; „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser (Psalm 42)“ von Rudolf Lassel; zwei Präludien aus dem Anonymen Orgelbüchlein (Pretai, 18./19. Jh.); „Ich will den Herrn loben allezeit (Psalm 34)“ sowie die Orgel-Choralvorspiele „Verzage nicht, du Häuflein klein“ und „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“ von Waldemar von Baußnern (1866-1931); „Klangspiele“, „Der Mensch lebt und bestehet“ und „Barmherzig und gnädig ist der Herr“ von Horst Gehann (geb. 1928); „Der 121. Psalm“ von Hans Peter Türk.

Neben diesen Werken spielte Ursula Philippi „Praeludium und Fuge in A-Dur“ von Johann Sebastian Bach (1685-1750), „Aria Sebaldina aus ,Hexachordum Apollinis‘“ von Johann Pachelbel (1653-1706) und “Sonate Nr. 1 in d-Moll” von August Gottfried Ritter (1811-1885) während sich Graef und Siegmeth neben Duke Ellington auch an Carlos Jobims “Meditation” und Claude Debussys “Reverie” versuchten. So wurde ein Zeitrahmen von der Renaissance bis zur Gegenwart abgedeckt, es gab klassisch Erhabenes wie modern Experimentelles der E- und U-Musik, man konnte die Orgel in ihrer ganzen Solo-Spannweite – von klarster Einstimmigkeit wie z.B. bei Pachelbel bis hin zu voll brausendem Orchesterklang – erleben, ebenso als Begleitinstrument für Chor und Saxophon oder Bassklarinette und konnte sich auch an der spährischen a-capelle-Motette „Barmherzig und gnädig ist der Herr“ erfreuen, die beim internationalen Chorwettbewerb in Budapest den 1. Preis errang.

Interpret und Instrument


Es gehört zu den Gegebenheiten musikalischen Schaffens, dass zwischen Komponist und Hörer Interpreten zwischengeschaltet sind. Einerseits bedeutet das für manch einen Komponisten eine Kränkung des Egos, auch wenn sich das nur selten so radikal zeigt wie bei Conlon Nancarrow, der seinen Traum – „Seit ich Musik schreibe, träume ich davon, die Interpreten loszuwerden“ – wahr machte, indem er Werke für mechanisches Klavier komponierte. Andererseits trägt der Beitrag der Interpreten zum Werk – von eigenem Vermögen und Verständnis wie vom Zeitgeist geprägt – zum jeweiligen Hörgenuss bei. Und spätestens seit Nikolaus Hornoncourt weiß man auch um den Beitrag der Instrumente für die Wirkung und Rezeption musikalischer Werke. Das dürfte auch jenen einsichtig sein, denen Nikolaus Hornoncourt und die Bewegung „Alte Musik“ nicht viel sagt, sobald der Begriff „Stradivari“ fällt. In noch größerem Maße trifft das aber für die Orgel zu, dieses komplexeste aller Instrumente mit den größten und unterschiedlichsten Variationen der Gegebenheiten und Möglichkeiten.

Drei unterschiedliche Orgeln erklangen im Rahmen der Kulturtage: die große Orgel des Speyerer Kaiserdoms unter den Händen und Füßen von Horst Gehann, der allerdings beim Abschlussgottesdienst auch an der Kleuker-Orgel der Gedächtniskirche, der zweitgrößten mechanischen Orgel der Welt Orgel, saß, so wie vor ihm schon Karl Graef (der sich aber auch als Posaunist profilierte). Mit diesen beiden Instrumenten konnte die Orgel der Dreifaltigkeitskirche nicht mithalten. Das wurde allerdings dank der Virtuosität von Ursula Philippi, sie amtiert als Kantorin an der größten Orgel Siebenbürgens, der Sauer-Orgel in Hermannstadt, und betreut seit 1990 als Dozentin die Orgelklasse an der staatlichen Musikhochschule „Gheorghe Dima“ in Klausenburg, und durch die hervorragende Akustik des holzverkleideten Kirchenraumes mehr als kompensiert. Auch wenn die 1955 in Kronstadt geborene Ursula Philippi wie auch die weiteren Interpreten das Potential der Instrumente kaum voll ausreizen konnten – dazu wären noch viele Proben notwendig gewesen –, so waren es im Urteil sachkundiger Zuhörer doch Sternstunden der Orgelmusik. Schade nur, dass ihnen die angemessene Resonanz verwehrt blieb. Dass die Konzerte dennoch ein Publikumserfolg waren, verdeutlichen die Zugaben bei „Jazz in der Kirche“. Sie waren nicht nur der Spiel- und Improvisationslust, dem blinden Verständnis zwischen dem Schaaser Graef, Jahrgang 1959, und dem Arader Siegmeth, Jahrgang 1970, zu verdanken, sondern ebenso dem transportierten Fundus berückender südöstlicher Musik. Letzteres war Merkmal aller drei Konzerte und verdeutlichte, dass die Siebenbürger Sachsen wie vor 850 Jahren so auch heute nicht mit lehren Händen in die neue Heimat gekommen sind und eine wichtige Brückenfunktion wahrnehmen.

Hans-Werner Schuster

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