18. Mai 2001

Wurde Rumänien von den Westmächten verraten?

Ulrich Burger (Herausgeber): Misiunea Ethridge in Romania. (Die Mission Ethridge in Rumänien), Verlag Fundatia Academia Civica, Bukarest 2000, 396 Seiten; ISBN 973-99605-1-0. Das Buch, auf das hier hingewiesen werden soll, erschien in der Reihe "Documente" des Bukarester Verlags "Fundatia Academia Civica" mit Unterstützung der Konrad-Adenauer-Stiftung, die die Druck- und Übersetzungskosten übernahm.
Die erklärende Einführung - in rumänischer und deutscher Sprache - verfasste der Herausgeber Ulrich Burger, der an der Universität Düsseldorf mit einer Dissertation über die politischen Konflikte zwischen den sogenannten historischen Parteien Rumäniens - das waren die Nationalliberale und die Nationalzaranistische Partei - und der Sowjetunion in den Jahren 1944-1945 promovierte. Die hier veröffentlichten Dokumente der Ethridge-Mission - in Faksimile nach den amerikanischen Originalen und in rumänischer Übersetzung - beleuchten einen Teilaspekt dieser Konflikte.
Die Ethridge-Mission bestand darin, im Auftrag des US-Außenministeriums zu erkunden, in welchem Maße die Regierung Groza "umfassend und repräsentativ" die politischen Kräfte des Landes repräsentiere und ob Bedingungen für die Abhaltung freier Wahlen in Rumänien gewährleistet seien. Die USA und Großbritannien hatten nämlich die Regierung Groza nicht anerkannt, da sie am 6. März 1945, entgegen der Erklärung von Jalta (Februar 1945), die sich für die Selbstbestimmung der Völker Europas ausgesprochen hatte, unter massivem Druck und nach Drohungen der Sowjets gegenüber König Michael I. - namentlich durch deren stellvertretenden Außenminister Wyschinski - an die Macht gebracht worden war.
Der liberale Journalist und Zeitungsmacher Mark Ethridge, der mit der genannten Aufgabe seitens des US-Außenministers Byrnes betraut worden war, begann seine Erkundungsreise im Herbst 1945 in Bulgarien, traf sich dann in Moskau mit Wyschinski, um sich vom 19. bis 30. November in Rumänien aufzuhalten. Er führte Gespräche mit den wichtigsten Mitgliedern der Regierung und anderen Politikern, mit führenden Politikern der Opposition und mit Unternehmern, so mit Petre Groza, Gheorghe Tatarescu, Gheorghe Gheorghiu-Dej, Lucretiu Patrascanu, Theohari Georgescu, Mihai Ralea, Anna Pauker, den wichtigsten Repräsentanten der Opposition Iuliu Maniu und Constantin (Dinu) Bratianu, dem Großindustriellen Max Auschnitt u.a. Während die Angehörigen der Regierung und ihre Mitläufer das von den Sowjets aufoktroyierte Regime, einschließlich die Pressezensur, verteidigten, schilderten die oppositionellen Vertreter dem amerikanischen Journalisten das wahre Gesicht des Regimes. Ethridge hat in Kurzberichten den Inhalt der geführten Gespräche festgehalten, sie bilden den Dokumentationsteil des Buches und bieten dem Leser ein facettrenreiches Bild der politischen Landschaft Rumäniens im Herbst 1945.
Nach Abschluss seiner Mission hat Ethridge einen umfangreichen Bericht verfasst, der mit jenem über Bulgarien 2000 Seiten stark war. Daraus ging eindeutig hervor, dass die regierungsgeschäfte in Rumänien von den Kommunisten bestimmt wurden, obwohl diese eine Minderheit bildeten, dass die Sowjets massiv in die Politik des Landes eingriffen, dass die Oppositionsparteien ausgeschaltet worden waren und eine strenge Pressezensur jede kritische Äußerung gegenüber dem Regime und der Sowjetunion unterband. Bei freien Wahlen, so der Bericht, würden die Oppositionsparteien den Sieg erringen. Der Bericht bestätigte damit, was dem Staatsdepartement bekannt war, bekräftigte aber auch das Unvermögen der USA und Großbritanniens, an den Tatsachen, etwas zu ändern.
Um aus der Sackgasse herauszukommen, gaben die Amerikaner und Briten auf der Konferenz von Moskau im Dezember 1945 ein übriges Mal dem Kreml nach und begnügten sich mit Augenauswischerei und einer fikitiven Lösung. Man kam überein, in die Regierung Groza je einen Vertreter der nationalliberalen und der nationalzaranistischen Partei als Minister ohne Geschäftsbereich aufzunehmen und in Rumänien baldmöglichst freie Wahlen abzuhalten. Für diese "Zugeständnisse" der Sowjets erkannten Washington und London die Regierung Groza an, was auf ihre Empfehlung hin dann auch König Michael I. tat, der seit einigen Monaten die Regierung "bestreikt" hatte. Was das konkret bedeutete, darüber machte man sich in den beiden westlichen Außenministerien keine Illusionen. Man hatte aber gegenüber der eigenen und der Weltöffentlichkeit das Gesicht gewahrt.
Nach dem Moskauer Übereinkommen wurden zwei unbedeutende Politiker der bürgerlichen Opposition in die Regierung Groza aufgenommen, während die "freien" Parlamentswahlen vom 19. November 1946 nach Stalins Vorgaben der regierenden "National-demokratischen Front" 79,86 Prozent der Stimmen einbrachten. Bald danach wurden die bürgerlichen Parteien verboten und ihre Führer eingekerkert. Damit standen der kommunistischen Umgestaltung des Landes keine Hindernisse mehr entgegen.
In der rumänischen Geschichtsschreibung wird die Haltung der Westmächte als Verrat und als Ausverkauf Rumäniens betrachtet. Demgegenüber weist Herausgeber Burger darauf hin, dass die Politik der Westmächte in größerem Rahmen beurteilt werden müsse und zu beachten sei, dass Rumänien in den außenpolitischen Prioritäten der USA eine nur marginale Rolle spielte. Da während des Krieges der gemeinsame Kampf der Alliierten gegen Hitler-Deutschland und seine Verbündeten, zu denen ja auch Rumänien gehört hatte, für die Westmächte an erster Stelle rangiert hatte, widersetzte man sich bereits ab 1943 nicht den Osteuropaplänen Stalins. Im Jahre 1945 blieb den USA und Großbritannien nach diesen Zugeständnissen nichts anderes übrig, als die Einbeziehung Osteuropas in die sowjetische Einflusssphäre zu akzeptieren. "Der wohl einzig mögliche Weg", so Burger, "die politischen Verhältnisse in den betroffenen Ländern neu zu gestalten, hätte in einer gewaltsamen Intervention gegen die Sowjetunion bestanden. Dies war nach sechs Jahren weltweitem Krieg eine mehr als unrealistische Option. Auch diplomatischer Druck und Wirtschafts-sanktionen wären kaum geeignet gewesen, die sowjetische Regierung zu entscheidenden Reaktionen zu veranlassen. Die auf militärische Macht gestützte Entschlossenheit Stalins war für die Entwicklung der politischen Ereignisse sicherlich der entscheidende Faktor."
Die Fehleinschätzungen der Westmächte in ihrer Konzessions-bereitschaft gegenüber der Sowjetunion können dennoch nicht als Entschuldigung geltend gemacht werden, denn daraus hat sich letztendlich die politische Gestaltung Osteuropas nach dem Zweiten Weltkrieg ergeben. Zudem ist noch zu beachten, dass in den bürgerlichen Kreisen Rumäniens und bei dessen König die Illusion genährt wurde, die Westmächte würden das Land nicht der Sowjetunion preisgeben. Darin wurden die Oppositionsparteien sogar durch die Entsendung der Ethridge-Mission bestärkt. Um so größer war dann die Ernüchterung. Heute besteht bei den Rumänen erneut der Eindruck, dass bei der Osterweiterung der NATO ihre Sicherheitsinteressen von der USA verraten würden.

Michael Kroner

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