24. November 2003

Oberth und die Folgen: Wie Weltraumtechnik die Welt verändert

Im Rahmen der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2003 wurde am 5. Oktober im Technik Museum Speyer eine Sonderausstellung über Leben und Werk des Raumfahrtpioniers Hermann Oberth eröffnet. Die Einführung hielt, in Gegenwart der Oberth-Tochter Dr. Erna Roth-Oberth, Dr. Hans Barth. Im zweiten Teil seines Vortrags, der im Folgenden abgedruckt wird, beleuchtet der Oberth-Experte die Frage nach dem Sinn und Nutzen der Raumfahrt.
Heute drücken unsere in Siebenbürgen verbliebenen Landsleute einfach auf den Knopf und sie sind gewissermaßen in Deutschland. Sie können die meisten Fernsehprogramme in guter Qualität empfangen oder/und sich ins Internet einklicken - die Satellitentechnik macht's möglich. Von überall nach überall können wir heute auch telefonieren. Von Grönland nach Australien und aus der Arktis in die Antarktis. Man braucht dazu nur ein kleines mobiles Handtelefon, das in die Westentasche passt. Neue Anwendungsfelder erobern sich zusehend auch die Navigationssatelliten. Waren es zu Beginn hauptsächlich die Schiffe und Flugzeuge, die sie über optimale Routen ans Ziel leiteten, so wird diese Dienstleistung nun in zunehmendem Maße auch im Straßenverkehr in Anspruch genommen: Satellitengestützte Leitsysteme helfen Verkehrsinfarkte vermeiden und bringen die Autofahrer über die optimalste Strecke ans gewünschte Ziel. Allein in Europa waren 2000 bereits mehr als eine Million Autos mit satellitengeleiteten Navigationssystemen ausgerüstet, die dem Fahrer per Sprachbefehl oder Bildschirm den Weg zu seinem Ziel weisen. Es gibt über 100 Verwendungsmöglichkeiten für GPS-Endgeräte; ihr Umsatz betrug 1999 allein in Europa über 900 Millionen Euro, für 2005 werden 8 Milliarden Euro erwartet. Wir erleben also, wie die Weltraumtechnik sich immer neue Anwendungsfelder erobert - zum Nutzen der Menschen und zum Schutz der Umwelt. Und die Entwicklung geht weiter.


Julius Stürmer: Oberth, Collage, 1970
Julius Stürmer: Oberth, Collage, 1970

Bald werden wir uns auf einer einfachen Telefonleitung die Welt ins Haus holen können: nicht nur Radio und Fernsehen, auch die Firma, das Kaufhaus, den Arzt, die Bibliothek, die Schule, die Menschen, die wir sprechen und sehen möchten. Der Zugriff auf Datenbanken wird möglich, das Zuschalten in Konferenzen und Firmenbesprechungen ebenso. Das bringt entscheidende Folgen für die zukünftige Arbeitswelt: Warum noch in die Firma fahren, im Stau stehen, die Umwelt verpesten, wenn man zu Hause genauso gut und zuverlässig arbeiten kann? Dank Satellitenkommunikation kann man ohne weiteres Angestellter einer Firma sein, die ihren Sitz weit weg in Amerika, Australien oder Japan hat, jedoch zu Hause, in Deutschland, Rumänien, Brasilien oder wo auch immer, in den eigenen vier Wänden seine Arbeit verrichten. Denn man ist nach überall verbunden und verfügt über alles, was zum Arbeitsvorgang gehört, und das Ergebnis der Arbeit lässt sich genauso direkt und sicher an den Arbeitgeber übermitteln. Kurzum: Die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten werden die Bewegungsrichtungen des täglichen Lebens umkehren. Bisher sind wir zur Arbeit gegangen, jetzt kommt die Arbeit zu uns. Bisher sind wir zu Konferenzen um die Welt gereist, jetzt ist es möglich, zu Hause virtuell am Bildschirm an Kongressen teilzunehmen und sich in die Diskussionen einzuschalten. Bisher besuchten wir Schulen und Universitäten und Bibliotheken, um uns Wissen anzueignen, jetzt holen wir uns dieses Wissen auf dem Bildschirm ins Haus. Die Welt ist ein "globales Dorf" geworden, wo jeder mit jedem grenzenlos kommunizieren kann. Es entstehen neue Arbeitswelten, neue Wirtschaftsstrukturen, neue Formen von Diensten, neue Möglichkeiten der Kooperation und Infrastruktur, die die Gesellschaft gewaltig verändern. Das all dies weltumspannend geschehen kann, ist eine raumfahrttechnische Dienstleistung, an deren Anfang das Oberthsche Pionierwerk steht.

Politische Wirkungsaspekte


Obwohl das - ebenfalls von Hermann Oberth schon erkannte - politische Veränderungspotential der Weltraumtechnik erst in zaghaften Anfängen genutzt wurde, lässt sich schon heute eindeutig feststellen: Raumfahrt hat die Menschheit dem Ideal von Freiheit und Chancengleichheit näher gebracht als alle bisherigen Ideologien zusammen. Allein schon die Tatsache, dass Weltraumtechnik Wissen und Information über alle Grenzen hinweg verfügbar macht, hat die politische Umwelt einschneidender verändert als alle Kriege und Weltkonferenzen. Selbst der so undurchdringlich scheinende Eiserne Vorhang konnte in einer Welt nicht länger bestehen, in der global informiert und aufgeklärt werden kann. Diktatur und Unterdrückung sind auf dem Rückzug, seit die Ideen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten über alle "Mauern" hinweg verbreitet werden. Und dass wir keinen weiteren Weltkrieg erleben mussten, haben wir ebenso zum Großteil der Raumfahrt zu verdanken; denn es waren und es sind nach wie vor die vielen Aufklärungssatelliten, die die Entscheidungsträger über die Stärke des Gegners genau informieren, so dass die Politiker einsehen mussten, dass ein Weltkrieg mit Raketen und Atombomben Selbstmord und Untergang für alle bedeuten würde. Allein schon diese beiden Leistungen der Raumfahrt, Frieden seit fast 60 Jahren und der gewaltfreie Fall des Eisernen Vorhangs, rechtfertigen tausendfach alle finanziellen Anwendungen, die für die Entwicklung der Weltraumforschung und Weltraumtechnik geleistet wurden und werden.

Die großen Zukunftspotenziale


Doch die ganz großen Leistungen der Weltraumtechnik zum Nutzen der Menschheit stehen noch an. Man braucht nur an den von Hermann Oberth beschriebenen Weltraumspiegel zu denken, mit deren Hilfe es langfristig gelingen wird, für die überbevölkerte Menschheit von morgen nicht nur zusätzlichen Lebensraum zu erschließen, sondern auch in die Wetterbildung und Klimaentwicklung auf dem Planeten Erde steuernd einzugreifen. Die Weltraumtechnik kann aber auch auf dringendere Kardinalfragen der menschlichen Zukunft, wie Energie- und Rohstoffversorgung, Nahrung und Umweltschutz eine Lösung oder zumindest eine Teillösung bieten. Sie kann zudem die Kluft zwischen reichen und armen Ländern abbauen helfen, indem sie Technologietransfer erleichtert, indem sie Information und Wissen über alle Grenzen hinweg vermittelt. Gleiches gilt für Bildung und medizinische Versorgung sowie für kulturellen Austausch und die Völkerverständigung.

Die philosophische Dimension


Die politische und kulturelle Funktion der Raumfahrt ist damit unanzweifelbar. Nicht minder wichtig ist aber auch ihre philosophische Dimension. Um bloß einen Aspekt anzudeuten: Galt es bisher als eine gesicherte Erkenntnis, dass mit dem Erlöschen unserer Muttersonne in etwa fünf Milliarden Jahren auch das Leben auf dem Planeten Erde ein bitteres Ende erfährt, so kann man nun davon ausgehen, dass dem nicht unabwendbar so sein muss. Die Art Mensch und seine Kultur können gerettet werden - indem man sich z. B. für weitere Millionen Jahre eine künstliche Sonne erschafft oder/und indem man sich auf anderen lebensfreundlichen Planeten in anderen Sonnensystemen niederlässt. Denn auch das stellt die von Hermann Oberth in entscheidendem Maße mitbegründete Wissenschaft und Technologie als potentielle Möglichkeit in Aussicht. Damit lässt uns die Weltraumtechnik jetzt hoffen, dass es ein Weiterbestehen, eine Hinüberrettung geben kann, falls die Menschen diese Aufgabe rechtzeitig anpacken.

Der deutsche Wissenschaftsphilosoph Jürgen Mittelstraß hat die Evolution der menschlichen Erkenntnis in sehr einprägsamen Bildern zusammengefasst. Er unterscheidet drei kulturelle Welten: 1. eine "Kolumbus-Welt", die unbekannte Welt, in die der Mensch aufgebrochen war, um ihre Geheimnisse zu erkunden; 2. eine "Leibniz-Welt", die sich der Mensch über seine Deutungen aneignete, die entdeckte und die gedeutete Welt also; und 3. eine "Leonardo-Welt", die der Mensch selbstgemacht hat, das heißt die entdeckte und gedeutete Welt als eigentliches Werk der Menschen. In diesem Sinne ist die moderne Welt - so Mittelstraß - eine "Leonardo-Welt" und der "Leonardo-Mensch" ein Typus, der sich als Gestalter und Erfinder einer neuen Welt begreift und handelt. Lassen sie mich diesen drei Kulturwelten eine vierte hinzufügen, urtypisch für das zukünftige Raumzeitalter: 4. die "Oberth-Welt", in der der Mensch seine irdischen Fesseln sprengte und in die kosmischen Weiten des Weltraums aufbrach. Eine Welt, die eine neue Dimension für menschliches Sein und menschliches Fortbestehen erlaubt; eine Welt, die uns aber auch die Aufgabe stellt, Kultur nicht nur weiter zu pflegen, zu fördern und zu bereichern, sondern sie auch in andere Weltenräume zu tragen. Eine schier unendliche Aufgabe für den "Oberth-Menschen" - aber auch eine unendlich schöne und sinnvolle!

Schließlich noch eine Anmerkung, die sich vornehmlich auf die Veranstalter dieser Kulturtage bezieht: In einem biografischen Film, den ich 1977 noch in Siebenbürgen für die deutsche TV-Sendung realisieren konnte, bekräftigt Hermann Oberth sein Bekenntnis zur Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen mit den eindrucksvollen Worten: "Ich war immer bemüht, ein guter Siebenbürger Sachse zu sein und zu bleiben, meinem Volk und meinem Land durch meine Arbeit zu dienen. Und wenn ihr, liebe Landsleute, auf mich heute ein wenig stolz sein könnt, dann ist dies für mich die höchste Genugtuung." Und dann, noch im gleichen Atemzug, der Bezug zur Gesamtheit: "Möge die Raumfahrt dazu beitragen, dass sich die Völker dieser Erde untereinander besser verstehen und ihre Zukunft sinnvoller gestalten!"

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