27. November 2003

Siebenbürgen: "Pionierregion der Religionsfreiheit"

"Die Reformation in Siebenbürgen" war das Schwerpunktthema einer Abendveranstaltung, die am 16. Oktober im Speyerer Martin-Luther-King-Haus, dem Gemeindehaus der protestantischen Gedächtniskirchengemeinde, im Rahmen der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2003 stattfand. Dr. Ulrich Wien, Vorsitzender des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, referierte über die siebenbürgisch-sächsische Reformation.
Der Veranstaltungsort bereitet sich auf das 2004 anstehende Doppeljubiläum vor anlässlich des 475. Jahrestags der Überreichung der (für die Protestanten namensgebenden) Protestationsschrift auf dem Speyerer Reichstag 1529 sowie des 100. Jahrestags der Einweihung der mit internationalen Spenden errichteten Gedächtniskirche der Protestation. So erscheint der Ort besonders geeignet, die Reformation in Siebenbürgen vorzustellen.



Dr. Ulrich Andreas Wien während seines Vortrags in Speyer. Foto: Hans-Werner Schuster
Dr. Ulrich Andreas Wien während seines Vortrags in Speyer. Foto: Hans-Werner Schuster
Der vom Speyerer Dekan Friedhelm Jakob begrüßte Referent verbindet in seiner Person den Veranstaltungsort Speyer mit der siebenbürgischen Kirchengeschichte, ist doch der Kirchenhistoriker Dr. Ulrich Andreas Wien, Vorsitzender des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde, in Speyer geboren und aufgewachsen. Seine Ausführungen eröffnet er mit der Vorstellung der fünf Wissenschaftler, die im 20. Jahrhundert substanzielle Forschungsbeiträge geleistet und in teilweise sehr konträren Grundthesen das gegenwärtige Bild der Reformation und ihres spezifischen siebenbürgisch-sächsischen Anteils ausgebildet haben: Adolf Schullerus 1922/23, Karl Kurt Klein 1935, Erich Roth in den 60er, Karl Reinerth in den 70er Jahren und Andreas Müller mit zwei Arbeiten des Jahres 2000. Auch die als “weder umfassend noch wirklich befriedigend” charakterisierte Quellenlage wird geschildert, namentlich die Edition und Erforschung siebenbürgischer Gelehrtenbriefe dieser Zeit als Desiderat benannt.

In einem weiteren Erzählbogen stellt Wien das große historische Umfeld dar, Mohács und die Inbesitznahme von Ofen/Buda durch die weitgehend religiös indifferenten Osmanen 1541, die 1540 anstehende Thronfolge und die Union der drei siebenbürgischen Nationen 1542 hatten Anteil, dass die durch eine Liturgiereform in Kronstadt angestoßene Bewegung landes- wie kirchenpolitisch ungefährdet wirken und in kürzester Frist auf das gesamte sächsische Siedlungsgebiet ausgedehnt werden kann. Unstrittig ist die beherrschende Position des humanistisch ausgerichteten städtischen Bürgertums. In einer differenzierenden Betrachtung wurden die verschiedenen Gruppen innerhalb des erst relativ spät entwickelten siebenbürgischen Humanismus dargestellt und in drei Charakeristika vertieft: Philologie (als Teil des stark expandierenden Kronstädter Buchdrucks), Ethik und Pädagogik. Anschließend wurden die zentralen reformatorischen Persönlichkeiten vorgestellt: Johannes Honterus und sein Nachfolger Valentin Wagner. Reformationsbüchlein und Schulordnung, beide aus dem Jahre 1543, sind die gebührend gewürdigten Dokumente der nach spärlichen Anfängen in den 1520er Jahren und frühen Indizien für reformatorisches Gedankengut nun flächendeckend erfolgreichen Reformation der Sachsen. Als Beispiel enger Verflechtung von humanistisch-pädagogischem Wirken und reformatorischem Anspruch stellte der Referent zudem die weniger bekannte, jüngst edierte griechische “Kathechesis” Valentin Wagners aus dem Jahre 1550 vor, “das erste dezidiert theologische Werk” der siebenbürgisch-sächsischen Reformation. Die dortige Verzahnung christlicher und griechisch-antiker Ethik im Unterschied zu Melanchthons Trennung zwischen philosophischer und theologischer Ethik macht es zu einem charakterischen Element einer eigenständigen Kronstädter Richtung des reformatorischen Humanismus.

Die später ins Land kommenden, anderen reformatorischen Bewegungen, weitaus radikaler als die um möglichste Wahrung der überkommenen Formen des Kirchentums bemühte sächsisch-lutherische Kirche, führen schließlich zu der im damaligen Europa bemerkenswerten Lösung der 1571 endgültig eingeführten konfessionellen Tolerenz, machen Siebenbürgen zu einer “Pionierregion der Religionsfreiheit”. Freilich bedürften die humanistischen Voraussetzungen und Hintergründe noch weiterer intensiver Forschung, dies das Schlusswort des Vortrages.

Nach den wissenschaftlichen Ausführungen dieses vom Siebenbürgen-Institut beigesteuerten Teils der Kulturtage gab Dr. Wien eine mit vielen eigenen Beobachtungen und Erlebnissen untermalte Schilderung der evangelischen Landeskirche in Rumänien heute. Den Abschluss bildete die Buchpräsentation des von Dr. Harald Roth herausgegebenen Bandes "Historische Stätten Siebenbürgen".

Dr. Martin Armgart


(gedruckte Auagabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 19 vom 30. November 2003, Seite 6)

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