24. Dezember 2003

Der Leuchter mit dem Siebengestirn

Die Vorweihnachtszeit weckt unwillkürlich Kindheitserinnerungen. Dabei ist nicht allein dem Volkskundler weh ums Herz, weil vieles von dem, worüber wir uns als Kinder freuten, für immer verloren ging. In Gedanken an früher bemühen sich noch einige von uns, das Weihnachtsfest ähnlich wie in Siebenbürgen zu feiern. Dr. Gerda Bretz-Schwarzenbacher erinnert an den Weihnachtsbrauch in Siebenbürgen.
Da mein Vater Dorfschullehrer war, hatte ich das Glück, viele Bräuche, die unsere traditionsbewussten Bauern von Generation zu Generation jahrhundertelang weitergaben, kennen zu lernen. Zu unsern schönsten Bräuchen gehört das Schmücken der Weihnachtsleuchter, in Mundart "Lichtert" genannt, und das so genannte Leuchtersingen in der Frühkirche des ersten Weihnachtstages. Diese Leuchter haben in den einzelnen Ortschaften verschiedene altüberlieferte Formen. Die schöne Aufgabe des Schmückens und Leuchtersingens fällt den Konfirmanden und Konfirmandinnen zu; wenn ihre Zahl zu klein ist, dürfen auch Schüler der höheren Klassen mittun. Bis in die zwanziger Jahre war es in allen Dörfern ein Privileg der Jungen. Einige Tage vor dem ersten Adventssonntag wählen die zwei ältesten Mädchen und die zwei ältesten Jungen, bei denen der Leuchter zusammengestellt werden soll, dem Alter nach die Kinder, die zu ihrem Leuchter gehören, meistens sechs bis acht. Diese Kinder waren in meinem Heimatort Schellenberg während der ganzen Adventszeit zu beneiden, denn sie mussten nicht wie alle andern Schüler nach dem Abendläuten nach Hause gehen, sondern durften jeden Abend von sieben bis neun Uhr in vier geräumigen Bauernstuben den Leuchterschmuck basteln. An einem Abend war ich bei dem lustigen Treiben dabei; er prägte sich mir unvergesslich ein.

Konfirmanden in Schellenberg pflegen den sächsischen Lichtertbrauch, 1940.
Konfirmanden in Schellenberg pflegen den sächsischen Lichtertbrauch, 1940.

Viele geschickte Hände waren bei der Arbeit. Aus buntem Glanzpapier wurden lange Ketten verfertigt und unzählige vergoldete Galläpfelchen zu einer Kette gereiht, aus vergoldeten Nüssen und glänzendem Goldpapier zierliche Hähnchen hergestellt. Glanzpapierfähnchen, in blau und rot verfertigt, wurden kunstvoll mit Scherenschnitt verziert. Zwei Mädchen umwanden den einen Haselnussreifen mit Wintergrün. Zwei Tage vor Weihnachten muss ein erfahrener Leuchtermacher, der diese Kunst von seinem Vater erlernte, den Kindern beim Zusammenstellen ihres Leuchters helfen. An ein eineinhalb Meter hohes Holzgestell werden drei Kränze aus Wintergrün befestigt, die sich nach oben verjüngen. Durch den mit Wintergrün umwundenen kronenförmigen Aufsatz sieht der Leuchter kegelförmig aus, auf dessen Krone ein "Buschen" aus Papierblumen und Wintergrün befestigt wird. Dieser Strauß trägt die schönste Zierde des Leuchters: das Siebengestirn. Es besteht aus sechs kranzförmig angeordneten kleinen Kerzen, aus deren Mitte eine dicke Kerze herausragt. An jedem der drei Wintergrünkränze sind vier Kerzen befestigt. Die Krone und die Kränze werden mit den selbst gebastelten Papier- und Galläpfelketten, den Fähnchen und den Goldhähnchen, den Kündern des Lichts geschmückt.

Wenn am ersten Weihnachtstag halbsechs Uhr morgens alle Glocken zur Frühmette läuten, kommen zuerst die Kinder mit ihren vier Leuchtern herbei. Nur die große Kerze brennt. Sie betreten nach dem Pfarrer die Kirche und stellen ihre Leuchter auf. Eine Mädchengruppe steht im Chor, neben dem brennenden Weihnachtsbaum, eine zweite auf der linken Seitenempore. Neben der Orgel und auf der rechten Seitenempore stehen die beiden Jungengruppen. Während des Eingangsliedes zündet der oder die Leuchterälteste alle Kerzen an. Dann erklingt ohne Orgel im Wechselgesang: "Lobt Gott, ihr Christen, freuet euch! Von seiner Himmel Thron beruft er uns zu seinem Reich und sendet seinen Sohn". Nach jeder der acht Strophen singt die ganze Gemeinde mit Orgelbegleitung: " O große Freude! O große Freude! " Nach dem Gottesdienst trägt ein starker Bursche den schweren Leuchter mit brennenden Kerzen zurück ins Haus, wo er geschmückt wurde, und wo nun die Kinder feiern.

Auch heute noch wird der eindrucksvolle Brauch in einigen Dörfern Siebenbürgens gepflegt. Doch statt vier Leuchter werden meistens zwei oder bloß noch einer geschmückt, da die Schülerzahl ständig kleiner wird. In geschlossenen siebenbürgischen Siedlungen in der Bundesrepublik Deutschland wurde der Brauch verschiedentlich - und mit Erfolg vor allem im Bewusstsein der Einheimischen – wieder belebt. Es wäre zu wünschen, dass er auch hier Wurzel schlägt.

Dr. Gerda Bretz-Schwarzenbacher

(Südostdeutsche Vierteljahresblätter, Folge 4/1989)

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