26. Dezember 2003

Eine Siebenbürgische Weihnachtsgeschichte

In der neuen Heimat angekommen, erinnert sich ein Lehrerehepaar an Weihnachten in Siebenbürgen. Trotz kommunistischer "Gebote" strahlte das Fest der Hoffnung tief in die Herzen der dörflichen Bevölkerung hinein.
Die erste Adventszeit, Zeit des Kommens, der Hoffnung, die unsere Familie in Deutschland erleben durfte. Wir versuchten, Einblicke zu gewinnen in eine neue, uns noch fremde Welt, hörten bei COOP und REWE schon im Oktober die uns so bekannten, vertrauten Weihnachtsmelodien, erlebten bei kirchlichen Veranstaltungen, bei Kerzenschein und Weihnachtsstollen besinnliche, erbauliche Stunden, die Zeit eines Neubeginns, in neuem Umfeld, unter anderen Sternen. Wir kauften gleich die ersten Schokoweihnachtsmänner (man konnte ja nie wissen, ob es die später noch gab, und wie lange die Reise nach dem heimatlichen Siebenbürgen dauern würde), und schickten diese auf besagte, unsichere Reise, wollten wir doch den zu Hause Verbliebenen eine kleine Freude bereiten, sie auch einen Hauch des Glanzes deutscher Advents- und Weihnachtszeit erahnen lassen.

Und mitten in die Feierlichkeit solcher Stunden kamen dann oftmals Fragen: "Wie war das eigentlich bei euch in Siebenbürgen? Habt ihr dort auch Advent und Weihnacht gefeiert? " Bei solchen Fragen bekamen unsere Augen einen besonderen Glanz und mit stockender Stimme, dem etwas anderen Klang "unseres Deutsch" begannen wir zu erzählen: vom Adventskranz, den man selber band und auf den Tisch in der guten Stube stellte oder an den Leuchter hing, von dem "Advent, Advent, ein Lichtlein brennt... " , vom Vorboten Nikolaus, den unendlich langen Tagen und Wochen bis Heiligabend, den großen Heimlichkeiten im Haus, dem Drohen der Eltern mit dem strafenden Weihnachtsmann, der scheinbar alle unsere Unarten mitbekommen und notiert hatte, dem Höhepunkt des Festes, dem Gottesdienst an Heiligabend mit anschließender, so sehnlichst erwarteter Christbescherung der Kinder unter dem kirchlichen Weihnachtsbaum, dem etwas ängstlichen Heimweg aus der Kirche, denn an jeder Ecke konnte der strafende Weihnachtsmann nun stehen, vom Weihnachtsbaum- und Mann zu Hause, den Geschenken, die, wenn auch oft bescheiden waren, und und und...

Unsere Zuhörer wollten aber noch mehr wissen, ob da in Siebenbürgen, unter den herrschenden Verhältnissen, man erzählte sich ja so vieles, religiöse Veranstaltungen noch irgendwie möglich waren und zu welchem Preis? Derartige Fragen erinnerten mich an eine Mortesdorfer Weihnacht der sechziger Jahre.

Wir hatten in kurzer Zeit ein gutes Verhältnis zur Dorfgemeinschaft aufbauen können. Eltern und Schüler, die Gemeinde waren mit unserer Arbeit zufrieden, beschränkten wir uns nicht bloß auf das ABC und Einmaleins im Klassenraum. Laientheater auf der Dorfbühne und auch in Nachbarorten wurde gespielt, eine Volkstanzgruppe von uns geleitet und betreut, geselliges Zusammensein kam unter unserer Regie zustande, und manch unfreiwilliger Wortmann (Trauzeuge) holte sich für seine Hochzeitsansprache bei uns Rat.

Die Harmonie war aber trotz dieser Vertrauensbeweise keine vollständige. Warum nahmen wir, diese neuen, jungen Lehrer an kirchlichen Veranstaltungen, an den sonntäglichen Gottesdiensten nicht teil?

"Es begab sich aber zu der Zeit, das ein Gebot ausging...", ein Gebot von der allmächtigen, allgegenwärtigen kommunistischen Partei, welches besagte: "Es gibt ihn nicht, den Herrgott, Schwindel die Geburt seines Sohnes, Christus!" Und als Juri Gagarin nach seiner Erdumkreisung keinem Herrgott im Himmel begegnet war, hatte man den hinreichenden Beweis in der Hand. Darum sollten wir Lehrer, im Dienste der Partei und des Staates, der uns ja bezahlte, gegen solchen Aberglauben und unnötiges Beten, das nur Zeitverlust bei der Erfüllung der Arbeitsnormen bedeutete, Aufklärung leisten und dabei mit gutem Beispiel der Gemeinde vorausgehen, diese vom Kirchgang abhalten und selbst keine Kirche mehr betreten. Auch fehlte es nicht an Drohungen, wenn solche Parteigebote nicht eingehalten würden.

So standen wir oft am Sonntagmorgen am Fenster oder Gassentor, schauten den aus allen Gassen in festlicher Sonntagstracht, der Kirche zuschreitenden Menschen nach. Dabei sein durften wir nicht. Und das Gebot verschärfte sich: "Pfuscht dem Pfarrer ins Werk. Was er kann könnt ihr doch auch! Lenkt die Kinder und Jugendlichen durch Sport und Spiel, durch irgendwelche Kurzweil, durch Musik und Tanz von der Kirche weg, und führt sie zum atheistischen, zum wissenschaftlichen Bekenntnis!" Wir taten unsere Pflicht halbherzig und widerwillig, und die Kinder und Jugendlichen nahmen den Köder dementsprechend an.

Arg wurde es besonders zu den kirchlichen Feiertagen, Weihnachten und Ostern. Dann verschärften sich die Gebote, dann war unsere atheistische Bereitschaft besonders gefordert. Auch gab es den Weihnachtsbaum und die Konfirmation nur bei der Evangelischen Kirche, bei der Orthodoxen aber nicht, wodurch unsere rumänischen Kollegen weniger von solchen Aufgaben betroffen waren. Es gingen weitere drohende Gebote aus. Der gute, alte Nikolaus hatte ausgedient. "Bald nun ist Winterzeit" sangen wir umgedichtet mit den Kindern, und diese dachten dabei an den Weihnachtsmann und das Christkind. Den Tannenbaum durften wir unter dem neuen Namen "Winterbaum" behalten. Winterbaum?! Welche Vorstellungen, Gefühle konnte er in Kinderherzen erwecken? Statt der Christbescherung in der Kirche, für welche die Frauen des kirchlichen Vereins in der Vorweihnachtszeit von Haus zu Haus gingen und Zucker, Mehl, Schmalz, Äpfel und Geld sammelten, Lebkuchen buken, Bleistifte, Hefte und Taschentücher kauften, sollten wir den Winterbaum im Kulturheim organisieren. Es sollte gleichzeitig eine Faschingsveranstaltung sein mit tollen Kostümen und fröhlicher Musik. Aber selbst die Narrenkostüme verschwammen in der Kinderphantasie zu einem einzigen, dem pelzverbrämten, roten Mantel, der nur zu Nikolaus und dem Weihnachtsmann passen wollte. Auch dafür hob man ein Gegenstück, den Wintermann in Anlehnung an den russischen "Väterchen Frost" aus der Taufe. So hatten wir also unter der weisen Führung der Partei alles beisammen: Die Kerzen brannten am Winterbaum und mit "Kling Glöckchen" begrüßten wir Väterchen Frost.

Am letzten Schultag vor den Winter- und nicht Weihnachtsferien ging es dann wieder und mit besonderem Nachdruck aus, wenn auch mit halbem Munde gesprochen, das besagte Gebot: Dass keiner bei der Winterbaumfeier am 24. Dezember fehle. Unter dem Baum sollten wir tanzen und spielen, und Geschenke waren vorbereitet, reicher, viel reicher als unter dem kirchlichen Weihnachtsbaum. Da ließ sich die Partei nun mal nicht lumpen.

Heiligabend: Sie standen sich gegenüber, die hell erleuchteten Fenster und Türen des Kulturheimes und die alte, niedrige Pforte in der Ringmauer zum Kirchhof, hinter der der Lichterglanz des Weihnachtsbaumes verborgen blieb.

Der Abend sank, und das verschneite Dorf mit seinen Gassen wurde still. Und in diese Stille hinein schwang die Abendglocke ihren Weihnachtsgruß, ihren Ruf: "Macht hoch die Tür, die Tor' macht weit": Sie standen offen, die Tür unseres hell erleuchteten Kulturheimes und die Pforte zur Kirche.

In ihrer Festtracht, dem Kirchenpelz, schritten sie an der hellen Tür des Kulturhauses vorbei, drängten sich durch die niedrigere Pforte, Frauen und Männer, Greise, Jugendliche und unsere Kinder. Und wir standen im Rampenlicht, zwei einsame Clowns. Aber unsere Pappnasen wackelten froh, die Masken versteckten den Glanz unserer Augen, die Freude auf unseren Gesichtern. Unsere Kinder gingen an diesem Heiligabend den anderen, den guten Weg.

"Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot ausging... Da machte sich auch auf Josef aus Galiläa, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vetrauten Weibe." Das Tonband im Faschingssaal übertönte die ersten Orgelklänge und schmetterte hinaus in den Winterabend: "Ja, wenn wir alle Engel wären, dann wär‘ die Welt...? Engel. Und siehe des Herrn Engel trat zu ihnen und sie fürchteten sich sehr... und des Herrn Engel sprach zu ihnen: ‚Siehe, ich verkünde euch große Freude, denn euch ist heute der Heiland geboren!‘" Das Tonband verstummte: "Dann wär' die Welt..."

Warum trugen wir unsere Narrenkappen noch? Es war doch außer uns keiner in dem großen Raum, unter unserem Kulturheimwinterbaum. Wir legten sie ab und lauschten hinüber: "Es ist ein Ros' entsprungen..." Die Orgel und der Gesang der Gemeinde trugen es durch ihren Klang aus der Kirche heraus, zu allen Menschen, auch zu uns herüber, und weiter und weiter " aus einer Wurzel zart". Einsam standen wir in dem großen Saal. Wo waren sie, unsere sonst so braven, folgsamen Kinder? "Ein jeglicher in seine Stadt."

Sie standen drüben, unter dem Weihnachtsbaum, an der Krippe und lauschten der frohen Botschaft: "Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus!" Auch uns erfasste das Evangelium dieser Christnacht: "Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden". Erst zaghaft, dann beherzter stimmten wir in den Gesang der Gemeinde ein: "Stille Nacht, heilige Nacht", "Und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie... Aber sie fürchteten sich nicht." Wir traten vor die Tür und unsere Herzen sangen mit: "O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtzeit.!"

Wenn ich heute an jene Zeit zurückdenke und dann noch gefragt werde: "Ja, habt ihr euch denn nicht gewehrt?" Dann denke ich, die Zeit hättest du, der heute fragt, selber erleben müssen.

Johann Untch

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