27. Dezember 2003

"Das Lutherhaus in Lechnitz"

Nun, da jede ehemals deutsch besiedelte Ortschaft in Nordsiebenbürgen ihr eigenes Heimatbuch besitzt (mit dem Korbflechterdorf Tatsch schloss sich der Kreis), erscheint ein Buch über ein Haus, "Das Lutherhaus in Lechnitz". Ein sehr gutes Buch, von jedem Standpunkt aus betrachtet. Ein "seltenes Dokument siebenbürgisch-sächsischen Gemeinschaftslebens", wie auf dem Einband zu lesen ist.
Am Anfang steht ein Spendenaufruf vom 25. März 1913. Friedrich Wilhelm Lieb, der im Hauptberuf 30 Jahre lang Schuldirektor in Lechnitz war, hat ihn an die Bewohner der Gemeinde gerichtet. Das Faksimile in zierlicher Sütterlin-Schreibschrift leitet quasi dieses Gedenkbuch für ein Gemeindehaus ein, das im Laufe von 20 Jahren entstanden ist, nach weiteren zehn Jahren praktisch aber schon Vergangenheit war. Man weiß ja warum. F. W. Lieb, der auch Presbyter und Dirigent der Musikkapelle sowie Obmann des Gesangsvereins und der Freiwilligen Feuerwehr in Lechnitz war, hat die Entstehung des Hauses angeregt. Er hat sie trotz mancher Schwierigkeiten durchgesetzt und alles aufgeschrieben, was damit zusammenhing. Mit seiner Handschrift - und wie akkurat die war! - wurde er zum eigentlichen Verfasser des lange Zeit verschollen geglaubten Manuskripts, das nun 62 Jahre nach seinem Tod gedruckt erscheint.


Das Lutherhaus erhielt seinen Namen noch bevor es existierte, nämlich 1917 zum Andenken an die 400-jährige Reformation. Es war und ist gewiss das schönste und geräumigste seiner Art im Bistritzer Bezirk und wurde am 25. November 1934 feierlich eingeweiht. Die "16 Kameraden", die seine Entstehung und Verwaltung begleitet haben, konnten das dem Hause gewidmete Gedenkbuch handschriftlich bis 1943 fortsetzen. Ein Schluss wurde dann 1963 von Martin Kremer in Rothenburg o. d. Tauber verfasst.

55 Jahre nach der Flucht der Nordsiebenbürger Sachsen im Herbst 1944 erlebt die Gemeinde Lechnitz ein wichtiges Ereignis. Im August 1999 erfolgt die Übergabe der evangelischen Bartholomäuskirche an die reformierte Gemeinde der in Lechnitz lebenden Ungarn als ein Geschenk. Es bleibt, einstweilen, der einzige Fall dieser Art in Siebenbürgen. Der ökumenische Festgottesdienst wird von zwei Bischöfen der beiden Konfessionen (Augsburger bzw. Helvetisches Bekenntnis) zelebriert. Es nehmen daran auch mehr als 100 mit Bussen angereiste Sachsen, ehemalige Lechnitzer, teil. Das ausschließlich aus eigenen Mitteln und Kräften der sächsischen Dorfgemeinde erbaute, auch heute noch stattlich wirkende Lutherhaus erlebt einen weiteren Höhepunkt seines Bestehens. Es ist ein sinnvoller und würdiger Übergang, denn nur so können nach der massiven Auswanderung Kirschengebäude und Gemeindehaus vor dem Verfall gerettet werden. Nur so können sie unter veränderten Verhältnissen ihre dem christlichen Glauben gewidmete Bestimmung bewahren.

Es ist ein großes Verdienst des Herausgebers und "neuen" Verfassers Wigant Weltzer aus Rothenburg, die vorhandenen Dokumente aktualisierend bearbeitet und daraus im Auftrag der HOG Lechnitz sowie in Zusammenarbeit mit dem wohl besten Zeitzeugen, Martin Hauptmann (83), ein so schönes und wertvolles Buch gestaltet zu haben. Was den besonderen Wert des Buches ausmacht: Der Leser bekommt gleichzeitig mit der sehr genauen Chronik des Gemeindehauses einen guten Einblick in die Ortsgeschichte, in das kulturelle und gesellschaftliche Leben, in die Sitten und Bräuche dieser großen nordsiebenbürgischen Gemeinde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie in der neueren Zeit nach der Wende. Viel Freude bereitet ihm aber vor allem die Illustration. Gut die Hälfte der 24 im Buch enthaltenen Schwarzweiß-Bilder stammt aus dem Jahr 1939. Die Originale werden im Fotoarchiv des Volkskundemuseums in Berlin-Dahlem aufbewahrt. Autorin war die 1906 in Freising geborene Erika Groth-Schmachtenberger, als Bildreporterin für die "Münchner Illustrierte" und später für die "Berliner Illustrierte" zwischen 1935 und 1942 in Ungarn, Jugoslawien und Rumänien unterwegs. Auf ihren Reisen dokumentierte sie intensiv und detailliert die einzelnen Trachten und Festkleidungen, daneben Brauchtum, Baustile und Einrichtungen. Ihre Bilder wirken authentisch, sind zugleich Dokument und Kunstfoto. Dabei wurde gerade Lechnitz zu einem Schwerpunkt ihrer Siebenbürgen-Aufenthalte. Das Hauptaugenmerk galt dem sächsischen Element. Aber auch ein Foto vom Jahrmarkttanz der rumänischen Jugend von 1939 findet Eingang ins Buch (Seite 127). Welch eine Ähnlichkeit in der Trachtenkleidung! Die beeindruckend gelungenen (gut ausgewählten) Bilder der Erika Groth-Schmachtenberger sind d e r Schmuck dieses Buches. Da es sich, wie wir in Erfahrung bringen konnten, um eine Wiederveröffentlichung handelt, hätte die Bildautorin einige Zeilen der speziellen Würdigung im Buch verdient, zumindest im Bildnachweis auch die Nennung ihres Vornamens. Eine wenn auch nur ungefähre Datierung der anderen Bilder wäre zweckdienlich gewesen. Lobend zu erwähnen ist hier allerdings außer der akribisch genauen Dokumentation nicht zuletzt das neun Seiten starke "Sächsische ABC" im Schlussteil.

Das in Kommission beim Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde Heidelberg verlegte, von der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung München finanziell geförderte Buch ist im Oktober 2003 in einer ersten Auflage von nur 200 Exemplaren erschienen. Dank seiner hervorragenden Qualität fand es beste Aufnahme nicht nur bei Lesern mit Lechnitzer Herkunft. Somit ist es kein Wunder und sehr zu begrüßen, dass die Herausgeber sich sofort zu einer Neuauflage entschlossen haben, die voraussehbar ebenfalls sehr bald vergriffen sein wird. Ehe die Spuren verwehen … - möge "Das Lutherhaus in Lechnitz" in vielen Häusern und Familien und ganz gewiss in jeder Bibliothek mit "Transylvanica" einen guten Platz finden.

Ewalt Zweyer

Wigant Weltzer (Herausgeber): Das Lutherhaus in Lechnitz. Chronik eines evangelischen Gemeindehauses in Siebenbürgen. Verlegt in Kommission bei: Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. Heidelberg, 2003. 148 (+12) Seiten, ISBN 3-929848-37-6. Zu bestellen bei Katharina Dürr, Reifensteinweg 12, 97286 Sommerhausen, Telefon: (0 93 33) 18 97. Bei Bestellung vor Weihnachten kostet das Buch einschließlich Porto und Verpackung 19 Euro. Ab 1. Januar 2004 beträgt der Buchpreis 24 Euro.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2003, Seite 8)

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