2. Januar 2004

Parallelen zwischen Friesen und Siebenbürger Sachsen

Von dem Tag an, als der Ostfriese Enno Meyer (während einer Siebenbürgenreise in den neunziger Jahren) in der Schwarzen Kirche zu Kronstadt eine kleine Landkarte von Friesland entdeckte, begann seine Liebe zu Siebenbürgen, seiner Landschaft, Geschichte und Mundart. Die Siebenbürgerin Lilli Pelger, eine Arbeitskollegin des Ostfriesen, berichtet.
Hatten wir während der Pausen im Schulhof etwas zu besprechen, ging das auf Ostfriesisch und Sächsisch los. Jeder verstand den anderen gut. Nun lud Enno Meyer meinen Mann und mich als Gäste in sein schönes altes Elternhaus in Aurich ein anlässlich der Ausstellung "Die Friesische Freiheit". Anhand von Dokumenten und gegenständlichen Exponaten wurde die geschichtliche Entwicklung dieses westgermanischen Volkes veranschaulicht - dabei wurden auch interessante Vergleiche mit den Siebenbürger Sachsen gezogen.

Es gibt erstaunlich viele Gemeinsamkeiten: Friesland liegt an der Nordsee auf den Inseln und zwischen Meer und Moor - Siebenbürgen, das Land jenseits der Wälder, weit vom ungarischen Königshof entfernt. Friesland wurde vom Einfall der heidnischen Normannen bedroht, auch versuchten binnenländische Mächte von den frei geborenen Friesen Steuern zu erpressen, wo doch nach der Überlieferung Karl der Große selbst den tapferen Friesen seinerzeit in Rom die Freiheit und den kaiserlichen Schutz für alle Zeiten verliehen haben soll. Wilhelm von Holland und später Sigismund von Luxemburg haben vier bzw. sechs Jahrhunderte später dieses legendäre Karls-Privileg bestätigt und verbrieft. Unsere moselfränkischen Vorfahren, zum Schutz der ungarischen Krone (ad retinendam coronam) gerufen, kämpften gegen die letzten Schübe mongolischer Wandervölker und später immer wieder gegen Unterdrückung und Freiheitsberaubung, bauten nach der Rodung uralter Wälder Burgen und Wehrkirchen. Die Friesen ihrerseits errichteten gemeinschaftlich ihre Deiche und entwässerten Moore. Und der gleiche Monarch, nämlich Sigismund von Luxemburg, der zu den Friesen stand, hat Siebenbürgen so geliebt, dass er sechs Monate lang von Kronstadt aus regiert haben soll, dass er Siebenbürgen über ein Jahrzehnt lang dem Deutschen Reich angliederte und schließlich auf seinen Wunsch hin in Großwardein/Oradea bestattet worden sein soll. In Friesland und in Siebenbürgen gab es den anerkannt freien Bauernstand. In Friesland und in Siebenbürgen wählte jede Ortseinheit ihren Pfarrer und Richter selber. Dem "Karlsprivileg" entspricht das "Andreanum" von 1224, der "Goldene Freibrief".

Bei der Lektüre friesischer Texte fiel mir auf, dass nicht nur die meisten Wortstämme uns schon bekannt sind, sondern dass es auch ähnliche Wendungen, anekdotische Begebenheiten und ähnliche Märchen gibt. Das in Joseph Haltrichs Sammlung enthaltene Märchen vom "Borstenkind" hat viel Ähnlichkeit mit "Jan Stickelswin" - wenn auch balkanisch-orientalische Elemente ins siebenbürgische "Borstenkind" mit eingeflossen sind.

Zur bäuerlichen Kleidung friesischer Männer gehören auch weiße Pelzmäntel, das gegerbte Leder nach außen, so wie die "Kirchenpelze" siebenbürgisch-sächsischer Bauern, bloß ohne bunte Verzierungen. Und die friesische Frauentracht kennt "karolingische Fibeln", die wie die "Patzel" der siebenbürgischen Frauentracht aussehen.

Zu guter Letzt: Die friesische Gastfreundlichkeit. Wir wurden in einem schönen alten Bürgerhaus von Aurich aufgenommen, zum jahrhundertealten "Steinhaus" gefahren, besuchten Wasserschlösser, den alten Thingplatz, das siebengiebelige Landschaftshaus, Warften, Hünengräber, den Upstalsboom, die Insel Langeoog, sahen riesige bäuerliche Gehöfte, fuhren durch die Geest, durch die Marsch, sahen Wallhecken und das "Ewige Meer", sahen Schlafdeiche, neue Deiche und Sieltore und lernten nebenbei, dass "Moin, Moin" nichts mit "Morgen" zu tun hat, sondern "schön" bedeutet, und dass "Wicht" Mädchen heißt. Und wir fanden bestätigt, dass aufrichtiger Zusammenhalt und Freiheit den sozialpolitischen Frieden und das Wohlergehen aller bewirken können.

Friesen sprechen untereinander durchwegs Friesisch, wobei sie das Hochdeutsche selbstverständlich mühelos beherrschen. (Mir klingt das in der Lautung ähnlich wie das vorzügliche Hochdeutsch unserer Landsleute aus Rohrbach.) Sollten nicht auch wir unserer jungen Generation, wie das auch die Luxemburger tun, unsere uralte moselfränkisch-siebenbürgische Mundart nahe bringen, wenn auch nur soweit, dass sie verstanden wird?! Warum soll die alte Stammessprache in den uns folgenden Generationen verstummen?!

Noch ein Letztes: Friesen sind bedächtig, fleißig, ordentlich; sie beobachten still, bevor sie hervortreten, halten gute Nachbarschaft, freuen sich an den hergebrachten Festen und Bräuchen. Was uns an solcher Lebenshaltung unsere Eltern und Großeltern, Verwandte und Nachbarn vorgelebt haben, sollten wir weiter pflegen. Der Schweizer Kurt Marti drückte das so aus: "Was die Bäume lehren: wer nicht Wurzeln hat, wächst in keine Zukunft".

Lilli Pelger


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 20 vom 15. Dezember 2003, Seite 5)

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