5. Juni 2001

Bundesvorsitzender Dürr fordert aussiedlerfreundlicheres Klima

Die Siebenbürger Sachsen können sich dank ihrer reichen interkulturellen Erfahrung und verständnisvollen Toleranz stärker in das gesamteuropäische Umfeld einbringen. Dies stellte Volker E. Dürr, Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, am Pfingstsonntag, dem 3. Juni, auf der Kundgebung des Heimattages in Dinkelsbühl fest. Die bundesdeutsche Politik müsse ein Klima der Akzeptanz und Solidarität mit Aussiedlern schaffen und bei der Aufnahme Härten wie Familientrennung und Abschiebung vermeiden. Vor allem die Jugend müsse in die Lage versetzt werden, sich innovativ und leistungsbereit am Fortgang des europäischen Einigungsprozesses zu beteiligen, betonte Dürr. Die Rede des Bundesvorsitzenden wird im Folgenden vollinhaltlich wiedergegeben.
In einer Zeit der Entgrenzung und Neudefinition sind die Partnerschaft von Staaten in Europa und der Zusammenhalt ihrer Bürger im Besonderen erforderlich. Die Gestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion, die Reform politischer Systeme, die Aufnahme weiterer Staaten und die Erneuerung der internationalen Rolle der EU benötigen eine Klärung der Ziele und Prinzipien gesellschaftlicher Solidarität, erfordern eine Neuverständigung über die Aufgabenteilung und verlangen die Neubestimmung des Zusammenwirkens und des sozialen Ausgleichs in Europa.
 Bundesvorsitzender Volker E. Dürr umriss in seiner Rede auf der Festkundgebung in Dinkelsbühl wichtigste politische Zielsetzungen der Landsmannschaft. Foto: Josef Balazs
Bundesvorsitzender Volker E. Dürr umriss in seiner Rede auf der Festkundgebung in Dinkelsbühl wichtigste politische Zielsetzungen der Landsmannschaft. Foto: Josef Balazs


Zukunftsgestaltung in dieser entscheidenden Phase benötigt den öffentlichen Dialog und die Beteiligung vieler. Diesem Dialog stellen wir Siebenbürger Sachsen uns schon seit langem und nicht erst seit der Wende in Deutschland und in Osteuropa.
Von unserer Herkunft, unserer Geschichte und unserem bewegten Schicksal her verfügen wir, was interkulturelles Zusammenleben angeht, über eine reiche Erfahrung und gehören nach wie vor zu den historischen Trägern deutschen und damit gesamteuropäischen Kulturguts, ohne dabei unserer spezifisch siebenbürgischen Identität je verlustig gegangen zu sein. Diese in unser 850-jährigen Geschichte erworbenen Pfunde wie Verständigungswillen, Zusammenarbeit, Hilfsbereitschaft und Gemeinsinn bilden den Nährboden unserer ausgeprägten Integrationsbereitschaft, in der sich gesundes Selbstbewusstsein paart mit verständnisvoller Toleranz Andersartigen gegenüber. Darauf gründet sich unser Angebot an das gesellschaftliche und politische Umfeld, nämlich partnerschaftliches Zusammenwirken zu ermöglichen, Nachbarschaft im eigentlichen, aktiven Sinne zu pflegen. Auf diese Weise wollen wir mitbauen an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und humanitären Brücken in Europa und damit Brüche überwinden helfen.
Dabei bitte ich auch Sie, sehr geehrter Herr Verheugen und Herr Rech, zu berücksichtigen, dass der von meinen Landsleuten hier in Deutschland bereits seit fünf Jahrzehnten auch über die Grenzen der Republik hinaus geleistete Brückenschlag nur dann erfolgreich bleiben kann und Bestand haben wird, wenn unsere wirtschaftlich-soziale und kulturelle Eingliederung und Verankerung in der Bundesrepublik weiter ausgebaut wird und langfristig gesichert ist. Deshalb erwarten wir Siebenbürger Sachsen von einer auf das gemeinsame Europa ausgerichteten, zukunftsorientierten Politik in Deutschland:
Erstens: Dass zum Schutz und im Sinne der Obhutspflicht gemäß Artikel 116 des Grundgesetzes ein Klima der Akzeptanz und der Solidarität mit Aussiedlern geschaffen wird, dass ihre Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland, auch wenn sie nicht als Greencard-Anwärter gelten, gefördert wird und dass dabei Härten wie Familientrennung und Abschiebung vermieden werden müssen. Hierzu gehört auch, dass die vor einigen Jahren eingeführte 40-Prozent-Kürzung der Fremdrentenanteile von Aussiedlern aus den GUS- und den südosteuropäischen Staaten nicht erst nach der zu erwartenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zurückgenommen wird. Denn gerade wir Aussiedler haben seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wesentlich daran mitgewirkt, dass hier ein wirtschaftlich solides, sozial ausgewogenes und kulturell bereichertes demokratisches Gemeinwesen entstanden ist, und auch durch die Zuwanderung im letzten Jahrzehnt haben die Spätaussiedler dazu beigetragen, dass in dem vereinigten Deutschland kein Wohlstandsverlust eingetreten ist. Die überdurchschnittlich jungen Aussiedlerfamilien tragen zum schnellen Schließen von Lücken auf dem Arbeitsmarkt, zur Stärkung der sozialen Sicherungssysteme und zur Verbreiterung der kopflastig gewordenen Alterspyramide in Deutschland bei.
Zweitens: Die Eingliederung meiner nunmehr nahezu 250 000 Landsleute in Deutschland ist nur deshalb so erfolgreich verlaufen, weil wir, dem Subsidiaritätsprinzip folgend, auch mit staatlicher Förderung Organisationen, Hilfswerke, Trägerschaftsvereine und Kultureinrichtungen geschaffen haben, die Identität stifteten und als Zeichen unseres ursprünglichen Bürgerengagements integrationsfördernd gewirkt haben.
Aufgrund dieser sehr positiven Erfahrungen erscheint mir die Beachtung des Subsidiaritätsprinzips auch beim Zusammenwachsen Europas geboten.
Wir Siebenbürger Sachsen mit unserem als Brückenkopf nach Osteuropa wirkenden Kulturzentrum in Gundelsheim sind bereit, mit dem Kulturbeauftragten der Bundesregierung ein gemeinsames Umsetzungskonzept zur Kulturförderung gemäß § 96 BVFG zu entwickeln, das es auch unseren vielen ehrenamtlich tätigen Aussiedler wieder möglich macht, die vom Deutschen Bundestag geforderte Brückenfunktion wahrzunehmen.
Drittens: Vor allem unsere Jugend muss in die Lage versetzt werden, sich innovativ und leistungsbereit am Fortgang des europäischen Einigungsprozesses zu beteiligen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die viel zitierte europäische Wertegemeinschaft aus einer jahrhundertealten Tradition humanistisch-demokratischer Denkansätze erwächst.
Daran muss sich die Staatswerdung Europas orientieren und daran muss sich auch der Umgang der beitrittswilligen Staaten mit ihren Minderheiten messen lassen.
In diesem Sinne erhoffen wir uns auch weiterhin Unterstützung bei der Stabilisierung der deutschen Minderheit in Rumänien, deren Überleben nach unserer Überzeugung nur durch einen gesicherten Minderheitenschutz und die Wiederherstellung ihrer kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen möglich sein dürfte. Nur so können wir gemeinsam an dem Versöhnungswerk teilnehmen, das uns in Europa aufgetragen ist.
Viertens: Das Netz der Partnerschaften, in dem allen Akteuren, auch auf lokaler Ebene, die Möglichkeit gegeben werden sollte, ihre Erfahrungen einzubringen, muss sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene weiter ausgebaut werden. Gerne erinnern wir uns an die Feststellung unseres Bundespräsidenten Johannes Rau auf dem Heimattag 1987 in Dinkelsbühl, damals noch Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, dass die seit 1957 zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen bestehende Patenschaft zu einer vertrauensvollen Partnerschaft herangewachsen sei. Dies trifft gleichermaßen, sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Sparrer, für die mittlerweile anderthalb Jahrzehnte bestehende Partnerschaft zwischen der Großen Kreisstadt Dinkelsbühl und unserer Landsmannschaft zu. Ein besonders schönes und frühes Zeichen dieser partnerschaftlichen Verbundenheit ist die siebenbürgisch-sächsische Gedenkstätte, für deren Errichtung uns die Dinkelsbühler Bürger bereits vor über dreißig Jahren einen der schönsten Plätze ihrer Stadt zur Verfügung gestellt haben. Möge es der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, die sich seit ihrem Bestehen im gesellschaftlichen und politischen Brückenbau engagiert, gelingen, nun auch die Entstehung einer Partnerschaft zwischen Dinkelsbühl und einer siebenbürgischen Stadt in Rumänien, zum Beispiel dem romantischen Städtchen Schäßburg zu fördern.
Ich bin überzeugt, dass wir aus der Schaffenskraft und der Solidarität der Menschen, denen Deutschland zu einer liebens- und lebenswerten Heimat geworden ist, Stärke gewinnen, um gemeinsam unsere Zukunft in einem in Frieden und Freiheit zusammenwachsenden Europa zu gestalten. Mögen die Veranstaltungen, Ausstellungen und Begegnungen dieses Heimattages uns und unseren Gästen, auch den Bürgerinnen und Bürgern unserer Partnerstadt Dinkelsbühl, auch weiterhin viel Freude und Ermutigung schenken!
(Siebenbürgische Zeitung, Folge 10 vom 20. Juni 2001, Seite 2)

Tonmitschnitt: Forderungen an die Politik
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