22. Januar 2004

"Gute, alte Zeit" humorvoll und realistisch geschildert

Wer sich über den siebenbürgisch-sächsischen Mikrokosmos um die Jahrhundertwende, vor dem Ersten Weltkrieg informieren will oder erfahren möchte, wie man als Siebenbürger Sachse den Makrokosmos der versinkenden österreichisch-ungarischen Monarchie erleben konnte, jedoch der schweren Kost wissenschaftlich anspruchvoller Darstellung eine kurzweilige und doch realitätsnahe Schilderung vorzieht, sollte die kürzlich erschienenen Erinnerungen des Kaufmanns und Publizisten Hans Schwarz zur Hand nehmen.
Das Buch lässt eine Zeit wieder aufleben, die man als Jugendlicher gelegentlich in den Wohnstuben der Großmütter und Großtanten zu erhaschen vermeinte, sie spiegeln mit selbstironischer Herzlichkeit eine Welt, in die man sich gerne zurückversetzen ließe, sie zeigen aber auch die Ursachen des nahenden Unheils auf, das diese Welt 1918 zerbersten ließ.



Hans Schwarz (1893-1949)
Hans Schwarz (1893-1949)
In der Flut der Memoirenliteratur, die derzeit den deutschen Büchermarkt überschwemmt, geht meist die Zeit, aus der berichtet wird, in der Selbstdarstellung des Autors unter. Man erfährt mehr oder weniger Belangloses über eine Person oder Persönlichkeit, selten aber bekommt man einen ungeschminkten Einblick in die geschichtliche Wirklichkeit, in die diese eingebettet ist. Ganz anders geht Hans Schwarz (1893-1949) vor, der sich 1943 entschlossen hat, seinen Kindern über die "versunkene Welt" zu berichten, der er entstammt. Zwar bildet sein wechselvolles Leben das Gerüst dieser Schilderung, ein Leben, das den Sohn eines k.u.k. Militärarztes aus Kronstadt über Karlsburg, Schäßburg, Mährisch-Weißkirchen, Wien und verschiedenste Fronten des Ersten Weltkrieges nach Hermannstadt führte. Doch stellt er sich eher in den Hintergrund und konzentriert sich auf Zeit und Umstände, auf Erlebnisse und Geschehnisse, an denen er teilhatte, die er aber als aufmerksamer Beobachter präzise, mit selbstironischer Distanz und doch auch unüberhörbarer Wehmut beschreibt.

Kennzeichnend für diese Art des sich selbst zurücknehmenden Memorialisten ist ein Satz über seine Militärzeit: "Ich war kein […] Rädchen, ich war nur eines der winzigsten Sandkörnchen, aus denen erst der Mörtel für den Armeebau gemischt wird." – Man ist immer wieder geneigt, statt über dieses Buch zu schreiben, den Autor selbst in seiner bilderreichen Sprache zu Wort kommen zu lassen.

Zunächst aber einige Sätze über den Verfasser, über dessen Leben und Wirken nach 1918 das gehaltvolle "Geleitwort" von Bischof D. Dr. Christoph Klein und die einfühlsam-informative "Nachbemerkung" der Herausgeberin Gudrun Schuster einige Hinweise geben. Nach dem Ersten Weltkrieg, den er als Frontkämpfer erlebt und erlitten hat, konzentrierte sich Hans Schwarz auf den Broterwerb als Kaufmann und Vertreter verschiedener reichsdeutscher Firmen in Hermannstadt und Bukarest. Nebenbei war er publizistisch tätig und hat vor allem in der Tagespost und im Klingsor Kommentare zum Zeitgeschehen veröffentlicht, aber auch Zukunftsfragen, etwa des Ausbaus der Bibliothek des Brukenthal-Museums angesprochen. Da er sich in der Volksgruppenzeit distanziert zurückgehalten hatte und somit politisch unbelastet war, konnte ihm nach dem 23. August 1944 die Schriftleitung des Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatts übertragen werden, das jedoch bereits am 19. September 1944 durch die neuen Machthaber eingestellt wurde. Er hat sich in der evangelischen Landeskirche aktiv eingebracht, Konzepte und Initiativen entwickelt, um in der Zeit der Deportation, Enteignung und Entrechtung dem drohenden Untergang entgegen zu steuern; seine "Betrachtungen zur Lage der Siebenbürger Sachsen im Frühsommer 1947" wurden, anonymisiert, in den Rumänienband der "Dokumentation der Vertreibung" aufgenommen. Aus dem Schreiben seiner Erinnerungen riss ihn der frühe Tod am 21. Dezember 1949 in Hermannstadt. Er hatte sie für seine Kinder bestimmt, die sie nun, in einer von Gudrun Schuster (Hardegsen) vorgenommenen Straffung und Redaktion, seinen Landsleuten dankenswerterweise weitergegeben haben.

Die "versunkene Welt", über die Hans Schwarz berichtet, wird auf zwei Ebenen erlebt und analysiert, auf jener des Makrokosmos eines Großreiches – der österreichisch-ungarischen Monarchie und der diese zusammenhaltenden Offiziere und Beamten – und auf jener des Mikrokosmos einer siebenbürgisch-sächsischen Familie, die traditionsgebundenes Bürgertum ebenso repräsentiert wie österreichisches Offiziersfamilienleben. Die immer wieder angestellten Vergleiche zwischen diesen beiden Welten sind nicht nur faszinierend, sie beleben auch die Darstellung und machen sie anschaulich.

Ein Beispiel: "Das Schäßburger Maischulfest war wohl ein Fest der Schule, aber gleichzeitig ein Fest der Verbundenheit der gesamten sächsischen Bevölkerung mit Schule und Kirche, es war sozusagen ein erweitertes Familienfest. Die Schulfeste an den österreichischen Schulen machten eher den Eindruck einer mehr oder weniger freudig erfüllten Pflicht […]. Im Grunde waren alle Beteiligten froh, wenn diese Pflicht ohne wesentlichen Missklang […] abgelaufen war." Nicht nur hier ist man als Leser geneigt, den Vergleich zum Hier und Heute des Pisa-Studien-Landes fortzusetzen. Ähnliches denkt man, wenn man die fassungslose Schilderung eines mährischen Kirchweihfestes durch den aus Siebenbürgen kommenden Hans Schwarz liest und angeregt wird, den Faden zu heutigen Festen weiter zu spinnen: "Der kirchliche Teil wurde am Vormittag rasch und schmerzlos abgetan, die Hauptsache aber blieb der Rummel mit dem Bier- und Schnapskonsum, mit Wurstbratereien, Lebkuchenzelten, Luftballonverkäufern, Orakelweibern […], Schaukeln und Ringelspielen. Über allem schwelte […] der dumpfe Dunst alkoholisierter Menschen und überspitzter nationaler Spannungen."

In diesen Spannungen sieht Schwarz Vorboten des drohenden Untergangs der k.u.k.-Monarchie. Er hält dem Nationalismus das – vielleicht etwas überhöhte Idealbild siebenbürgisch-sächsischen Toleranzdenkens entgegen: Sein Vater habe ihn gelehrt, "dass jedes Volk eine gottgewollte Naturerscheinung ist und deshalb seine Lebensberechtigung hat. Wenn daher eine Mehrheit die Minderheit in ihren Lebensrechten einzuengen versucht oder ihr diese streitig machen will, so ist dies nichts anderes als ein Unrecht, das sich früher oder später rächt. Diese Argumente waren für die sächsische Minderheit in ihrem Behauptungsgwillen gegen das magyarische Staatsvolk und seine Staatsgewalt in Siebenbürgen Jahrhunderte lang maßgebend." Dass gegenseitige Achtung und heimatverbundenes Zusammenleben keine hohlen Worte waren, zeigt an anderer Stelle die Schilderung einer Weihnacht an der Front des Ersten Weltkrieges: "Dann wurden Weihnachtspakete verteilt und deutsche und ungarische Weihnachtslieder und rumänische Colinde gesungen […] Ein kleiner Lichterbaum verdrängte für eine halbe Stunde festlich den Qualm der Petroleumfunzeln, wir versenkten uns in Briefe aus der Heimat und spülten schließlich unser Heimweh und unsere Sehnsucht nach Frieden mit Alkohol hinunter." Wie realistisch alles beschrieben wird, wie unrealistisch es klingt, wenn man weiß, dass bald danach rumänische und ungarische Soldaten einander feindlich gegenüberstanden.

Eine Besprechung soll der Lektüre nicht vorgreifen, sondern dazu anregen. Darum nur noch einige zitierende Hinweise auf den Humor, die Selbstironie, die Formulierungsgabe dieses Autors, der zum Beispiel seinen Großvater Teutsch, einen Weingroßhändler, "nicht nur als 'Weingeistvermittler', sondern auch als Kenner, Förderer und Vermittler geistiger Werte" beschreibt; der seit seiner Kindheit von den herrlichen "k.u.k. Militärpalatschinken" schwärmt, die "mein Lebtag eine unerfüllte gastronomische Sehnsucht bleiben" sollten; der sich selbst anlässlich der "Assentierung" zu den Leuten zählt, "die den militärischen Schönheitssinn verletzten", der über die "fürstlichen, prinzlichen und gräflichen Visitenkarten" schmunzelt, die seiner Schwester bei großen Bällen überreicht worden sind und "deren aristokratischer Glanz noch lange ihre Bankbeamtenpensionistenwohnung vergoldet hat"; der nicht die damals regelmäßig veranstalteten siebenbürgisch-sächsischen Vereinstage sehr treffend als ein "Kulturparlament" definiert, den nachhaltigen Eindruck schildert, den jene Menschen hinterließen, "die neben ihren beruflichen und ehrenamtlichen Aufgaben Zeit, Lust und Begeisterung für wissenschaftliche Forschung aufbrachten", sondern auch den "Überdruss" zu artikulieren vermag, der den Jugendlichen "bei dem unentwegten Hinweis auf unsere übermäßig gerühmte 800-jährige Geschichte" packt.

Natürlich kann der Historiker sich zumindest eine Kritik nicht verkneifen. Die Herausgeberin hat nämlich nicht ganz transparent aus den 900 Manuskriptseiten nur jene Ereignisse, Erlebnisse und atmosphärischen Schilderungen herausgegriffen, "die zusammen ein Zeitbild ermöglichen und von allgemeinem Interesse sein könnten. Um das zu erreichen, war es in erster Linie nötig den Text in erheblichem Maße zu kürzen, wobei natürlich eine gewisse Subjektivität bei der Auswahl unvermeidbar war [… und] in gewissem Maße auch interpretatorisch in den Originaltext eingegriffen" wurde (Gudrun Schuster). Wo gekürzt wurde, wo "vorsichtige stilistische Angleichungen" vorgenommen worden sind, wird nicht [zum Beispiel durch eckige Klammern und drei Punkte] dokumentiert, vielmehr die "Leserfreundlichkeit" in den Mittelpunkt der editorischen Arbeit gestellt.

Das allerdings ist mehr als gelungen, es ist ein spannendes, ein anregendes und ein informatives Buch entstanden, das man bereichert, amüsiert, auch nostalgisch in den Bücherschrank stellt, um es immer wieder zum Nach-Lesen hervorzuholen.

Konrad Gündisch

Hans Schwarz: Versunkene Welt. Erinnerungen. Herausgeber: Gudrun Schuster und Günter Schwarz. hora Verlag Hermannstadt/Sibiu 2003, 363 Seiten, ISBN 3-00-012579-5. Bestellungen zum Preis von 13,90 Euro, zuzüglich Versand, beim Buchversand Südost, Brigittte Rill, Seebergsteige 4, 74325 Erlenbach, Telefon: (0 71 32) 9 51 16 12, Fax: (0 71 32) 17 24 72, E-Mail: buchversand_rill@t-online.de, oder Günter Schwarz, Münchner Straße 31, 83301 Traunreut, Telefon und Fax: (0 86 69) 48 05, E-Mail: gunterschwarz@gmx.de.

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