28. Januar 2004

"Neuere Literaturgeschichte Siebenbürgens"

Mit dem Schwerpunkt „Neuere Literaturgeschichte Siebenbürgens“ veranstaltete Studium Transylvanicum seine 18. Internationale Akademiewoche vom 27. Dezember 2003 bis 2. Januar 2004 in Thalmässing.
Dass die Internationale Akademiewoche in Thalmässing (Mittelfranken) schon zum 18. Mal stattfand ist kein Wunder. In der Form, in der ich, einer der Neuzugänge, sie erlebt habe, ist sie nämlich eine wahrhafte Verwirklichung eines Lebensideals: Am wissenschaftlichen Thema, Siebenbürgen, im weiteren Sinne oder am Schwerpunkt Interessierte (diesmal rund 40) versammeln sich in einem Haus, hören sich Vorträge an, diskutieren, machen Spaziergänge, tanzen, kochen und speisen. Sie leben also unter der Ägide der Wissenschaft zusammen, ähnlich wie Aristoteles in der Nikomachischen Ethik die höhere Art der Freundschaft beschrieben hat, wobei das Wort „Akademie“ eine ursprüngliche und umfassende Bedeutung erfährt.

In den Vorträgen, die als verbindlicher Teil den Kern der Veranstaltung ausmachten, wurde über die siebenbürgische und vor allem siebenbürgisch-deutsche Literatur aus verschiedenen Perspektiven referiert. Cornelius Zach beleuchtete die rumänischsprachige Belletristik aus Siebenbürgen von Ion Budai Deleanu bis Emil Cioran unter dem Blickwinkel des Nationalismus. Der Nationalismus habe sich bei den siebenbürgischen Autoren vor dem zweiten Weltkrieg vorzugsweise auf die Darstellung der rumänischen Identität, der kulturellen Zugehörigkeit zu den Rumänen jenseits der Karpaten und auf die Propagierung der Idee der Latinität der rumänischen Sprache (wiederum als Identitätssuche) beschränkt, wobei beispielsweise Octavian Goga nach der Vereinigung zunehmend extrem rechte Ideologien vertreten habe, erläuterte Zach. Das Ende des ersten Weltkriegs bedeutete indessen für die Ungarn einen Verlust: Meinolf Arens zeigte in seinem Beitrag über József Nyirö, in dem er ansatzweise auch auf das übrige ungarischsprachige literarische Leben in Siebenbürgen einging, wie sich die siebenbürgischen Ungarn mit den neuen Verhältnissen abfanden: In den Werken Nyirös dominiere eine düstere Stimmung, eine fast elegische Schilderung der siebenbürgischen Verhältnisse. Franz Horvath präsentierte in einem weiteren Referat ein Hauptwerk der ungarischen Literatur, die Romantrilogie „Erdély“ (Siebenbürgen) von Zsigmond Móricz, in der die Anfänge der Herrschaft Gabriel Bethlens geschildert werden. Horvath ging auf das von Móricz geschilderte Selbstverständnis der Siebenbürger, auf die historischen Probleme des Zusammenlebens mehrerer Nationen ein. Des Weiteren vermittelte er einen Einblick in die neueste ungarische Lyrik, auf die Werke Zsófia Ballas, und die ungarischsprachige Presselandschaft Siebenbürgens zwischen 1919 und 1944. Die sächsische Presse desselben Zeitraumes beleuchtete Ingrid Gabel. In diesem Kontext fiel besonders auf, dass die journalistischen Aktivitäten der rumänischen Mehrheit und anderer Minderheiten in Siebenbürgen nicht berücksichtigt wurden.

In weiteren Vorträgen gingen András Balogh, Réka Sánta-Jakobhazi, Kurt Markel, Michael Markel und Petra Schaser auf die deutschsprachige Literatur in Siebenbürgen ein. András Balogh, Michael Markel und zum Teil auch Kurt Markel und Petra Schaser ergänzten das Bild der literarischen Verarbeitung der territorial-politischen Veränderungen des 20. Jahrhunderts in Siebenbürgen, indem sie auf das Siebenbürgenbild der Sachsen eingingen. Aus ihren Vorträgen wurde deutlich, dass hierbei zwei Perioden zu unterscheiden sind: die Zeit vor und nach der massenhaften Auswanderung der Sachsen. In der ersten Produktionsperiode nämlich richtete sich das deutschsprachige literarische Leben in Siebenbürgen vor allem an das eigene Publikum, an die in Siebenbürgen Lebenden. Aus diesem Grund ist den Werken Adolf Meschendörfers eine ganz andere Bedeutung zuzuschreiben als jenen Hans Bergels oder Eginald Schlattners, die sich vor allem an das in Deutschland lebende Publikum richten. Erläutert wurde in den genannten Vorträgen vor allem das Siebenbürgenbild bei diesen Autoren: Während es sich bei Meschendörfer um ein Selbstbild handelt, analog zu ungarischen Schriftstellern, beschreibt Schlattner Siebenbürgen für Deutsche aus Deutschland und geht auf kritische Distanz, um Siebenbürgen in ein in Deutschland gängiges thematisches Feld zu integrieren, namentlich den Umgang der Menschen mit dem Nationalsozialismus bzw. Kommunismus. Damit können die nicht siebenbürgischen Leser einen Zugang zu Siebenbürgen finden. Dass Hans Bergel in seinem Roman „Wenn die Adler kommen“ anders vorgeht und Siebenbürgen verklärt, wurde sowohl in mehreren Vorträgen als auch in den anschließenden Diskussionen als Hauptursache seines im Vergleich zu Schlattner mäßigen Erfolgs in Deutschland angesehen. Den Fall Paul Celan und seine Wirkung auf die siebenbürgische Literatur thematisierte András Balogh und machte dabei deutlich, dass Celan inzwischen als Klassiker der deutschen Literatur gilt und damit einen besonderen Status erlangt hat.

Für viele unbekannt war bis zum Vortrag Réka Sánta-Jakobházis die Person und die dichterische Tätigkeit der Schäßburgerin Ursula Bedners. Besonders interessant war auch der Streit um Eginald Schlattner bzw. um die Art, wie sein umstrittenes Leben sein erfolgreiches Werk bestimmt, ein Thema, das dank der Vorträge Petra Schasers und Kurt Markels in die Veranstaltung mit einbezogen wurde. Unvergesslich bleibt für mich das von einer sechsköpfigen Gruppe improvisierte kleine Schauspiel, in dem während der Silvesterparty der Streit zwischen Schlattner und Bergel satirisch dargestellt wurde.

Diskussionen folgten teils im Anschluss an die Vorträge, teils im Rahmen zweier so genannter Proseminare, in denen unter der Leitung von András Balogh und Ingrid Gabel Ausschnitte aus den besprochenen Werken lebhaft und polemisch besprochen wurden.

Zuletzt wurde bekannt gegeben, dass die 19. Akademiewoche zum Jahreswechsel 2004/2005 unter dem Titel „Historische Räume Siebenbürgens“ stattfinden wird. Anhand dieses Themas wird Siebenbürgen aus einer neuen, eher auf die einzelnen Regionen fokussierten Perspektive beleuchtet.

Victor Edgar Onea Gáspár

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