5. Februar 2004

Ortsmonographie Zied: ein Dorf und seine Geschichte

Was soll man noch den Worten des weithin bekannten Historikers Thomas Nägler hinzufügen, der in seinem Vorwort die Arbeit als "ein Modell für ortsgeschichtliche Forschungsarbeit" bezeichnet sowie die "Flächen- und Tiefenforschung" hervorhebt, "wie sie sonst kaum einer anderen siebenbürgisch-sächsischen Ortschaft bis jetzt widerfahren ist".
Dabei handelt sich um Zied, eine Gemeinde in einem Seitental des Harbachtales, die vor hundert Jahren genau 384 sächsische Bewohner und 1934 mit 423 ihren Höchststand erreicht hatte. Der letzte Siebenbürger Sachse verließ 1995 die Gemeinde.

Wer sich mit den siebenbürgischen Orten beschäftigt, der weiß, dass allgemein die Dörfer nicht groß waren, meist eingezwängt in die geographisch vorgegebenen Täler, selbst Birthälm als ehemaliger Sitz des evangelischen Bischofs hatte 1930 nicht mehr als 1232 sächsische Einwohner. Dennoch spielte dieser Ort eine wichtige Rolle in der geistlichen bzw. wirtschaftlichen Entwicklung Siebenbürgens. Daher ist die Größe eines Ortes bzw. dessen Bevölkerungszahl nicht immer maßgebend für den Bedeutungsgrad in einer gewissen Zeitspanne. Dass Zied heute keine eigenständige Gemeinde mehr ist, sondern nach mehrmaligem Wechsel seit der Gebietsverwaltungsreform von 1968 gemeinsam mit dem Nachbarort Werd der Gemeindeverwaltung von Kirchberg unterstellt ist, ist ein Schicksal, das es mit anderen Orten teilt. Aber vielleicht liegt gerade in der Überschaubarkeit der Reiz nicht nur für die Bewohner, die einander kennen und z. T. auch miteinander verwandt sind. Auch für den Bearbeiter einer Monographie stellt es eine Herausforderung dar, diesen Mikrokosmos eingehend zu studieren und darzustellen. Wenn dann auch noch zwei Verfasser zusammentreffen, die nach jahrelanger, mühevoller Kleinarbeit und Recherche in staatlichen sowie kirchlichen Archiven, aber auch durch Befragung von ehemaligen sowie gegenwärtigen Bewohnern ihr erstes Ergebnis vorlegen, dann muss man sich einfach freuen, dass es noch möglich ist, Bearbeiter für solche Ortsgeschichten zu finden. Gewiss, wir haben es hier nicht mit Laien zu tun, die beiden Hauptverfasser und Herausgeber kennen sich seit Studientagen und sind überdies verheiratet. Irmgard Sedler als Germanistin und Volkskundlerin kam hier voll auf ihre Kosten und Werner Sedler, aus Zied stammend und ebenfalls Germanist, hatte auch ein persönliches Interesse am Zustandekommen der Dorfgeschichte. Hier steckt also auch viel Herzblut drin.

Das Buch beginnt mit einer doppelten Zeittafel, auf der parallel die wichtigsten Ereignisse für Siebenbürgen als Ganzes bzw. für Zied aufgelistet sind – ein guter Einstieg. So bleibt einem das Lesen der hundertsten Variante siebenbürgischer Geschichte erspart; man muss sich nicht durch allbekannte Darstellungen über Siebenbürgen hindurch lesen und auch die genannten Zieder Ereignisse sind ausreichend, um sich ein ungefähres Bild über den Ablauf der Ereignisse der und in der Gemeinde zu machen. Auch kann man immer wieder auf die beiden Zeittafeln zurückgreifen, wenn einem im Verlaufe der weiteren Lektüre eine zeitliche Zuordnung notwendig erscheint.

Nicht ganz nachvollziehbar sind jedoch die Lücken, vor allem in der jüngsten Geschichte, schmerzhaft zumal dann, wenn Daten mitteilen, dass etwas rückgängig gemacht (Häuserrückgabe) wurde oder sich etwas verstärkt hat (Auswanderung). Da will man doch etwas mehr wissen, ebenso wann die Staatsform geändert wurde (1947) und wer die ersten zwanzig Jahre nach dem Krieg das Sagen im Lande hatte, denn vor Ceaușescu hat sich ja schon einiges abgespielt und da sollte jedermann wissen, wem das zu verdanken ist, z. B. die Schulreform von 1948 oder warum in Zied 1946 eine Staatsfarm gegründet und 1959 die „Vergenossenschaftlichung der Landwirtschaft“ abgeschlossen wurde (wann begann sie eigentlich?). Ebenfalls dürfte nicht nur für Außenstehende wichtig sein zu erfahren, warum gerade Nordrhein-Westfalen 1957 die Patenschaft über die Siebenbürger Sachsen übernommen hat.

Sehr aufschlussreich und mit viel Akribie wurden zwei Kapitel behandelt, die Gemarkungsgrenzen und ihre Grenzzeichen sowie die Flurnamen. Hierbei gelingt es anhand von Luftaufnahmen und Karten die Namen zuzuordnen und zu begreifen, warum es im Lauf der Jahrhunderte so häufig Hattert-(Grenz-)streitigkeiten gegeben hat, die sich mitunter über Jahre und Jahrzehnte hinzogen. Aus den Flurnamen ergeben sich aber auch Rückschlüsse über frühere Nutzung und Zugehörigkeit der Flur und teilweise auch ihrer Lage, z. B. die Hanfteilungen, der Pfarrgrund, unter dem Reisig (hier in hochdeutscher Wiedergabe); Gleiches gilt für die Brunnen und Brückennamen. Den besonderen Reiz bei dieser Auflistung machen die z. T. auch in rumänischer Sprache vorhandenen Bezeichnungen aus, die oftmals eine lautlicher Übernahme aus der Mundart sind (z. B. de Weaderhoach = la weadăhoah = die Werder Hecke). Bei der Behandlung der Häuserlandschaft gewinnt man fast den Eindruck, einen Vorabdruck der vom Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrat herausgegebenen Bände zur Denkmaltopographie Siebenbürgens vor sich zu haben, so genau, mit Front- und Hofansichten und Grundrissen werden ausgewählte markante Objekte beschrieben, was auch für die Kirche und die Schulbauten zutrifft.

Sollte jemand den Altar in der romanisch-gotischen Kirche noch nicht kennen, so wird er ihm hier in allen Einzelheiten näher gebracht, und das auch im Bild: eine Zeichnung, schwarz-weiß und in farbiger Fotografie. Dies trifft auch auf das Chorgestühl und den sehr schönen Abendmahlskelch aus dem 16. Jahrhundert zu, den man auf insgesamt 15 Abbildungen (!) bis in die allerkleinsten Details bewundern kann. Interessant auch die Geschichten um die wenigen erhaltenen Totengedenkfahnen sowie die anderen kultischen Textilien, anhand derer die Autoren nicht nur die lokale Bedeutung ausbreiten, sondern die Funktionszusammenhänge erläutern und so den Bogen weiter spannen. Und wenn man erfährt, dass das vor dem Ersten Weltkrieg geplante und 1914 fertiggestellte Schulhaus mit schönsten Jugenstilelementen versehen ist und dass der Spruch im umlaufenden Fries “Treu und stark / Deutsch bis ins Mark” die Jahrzehnte überstanden hat – wohl nur, weil offensichtlich niemand von der kommunistischen Obrigkeit die Jugenstil-Lettern entziffern konnte – und demnach noch zu lesen sind, dann ahnt der Fremde, dass er sich doch nicht allzu weit von den eurpäischen Kulturströmungen befindet, auch wenn das imposannte Gebäude offenbar dem Verfall preisgegeben ist.

Abschließend widmet sich der erste Band noch den Predigern, Rektoren und Lehrern sowie dem neuen evangelischen Friedhof. Auch hier eine Seltenheit: Die Grabstelleninhaber werden Reihe für Reihe mit ihrer dazugehörigen Hausnummer aufgelistet.

Folgerichtig schließt sich nun das angekündigte umfangreichste Kapitel an: "Die Höfe und ihre Bewohner". Die Bearbeiter beschränken sich nicht auf die Nennung der zum Haus gehörenden Familien und der eingeheirateten Schwiegerkinder, sondern "gleichfalls als Nebenprodukt der Geschlechterforschung konnten wichtige Erkenntnisse bezüglich der Sesshaftigkeit, bzw. der Mobilität der Einwohner von Zied gemacht werden". So lässt sich neben dem Wechseln von einem Hof zum anderen auch das Kommen und Gehen aus und in die umliegenden Gemeinden nachvollziehen, ja selbst die Auswanderung nach Deutschland ist bei manchen Personen vermerkt. Durch eine Karte mit den Hofparzellen können die einzelnen Familien zugeordnet werden und somit erscheint einem die Gemeinde virtuell vor dem geistigen Auge.

Mit dem sehr umfangreichen Anhang mit einigen Urkunden, Protokollen, Verträgen u.a. sowie mit der Auflistung der verwendeten Quellen und der Sekundärliteratur wird das Buch über die kleine Gemeinde Zied nicht nur für die ehemaligen Bewohner zu einem lesenswerten Muss, sondern auch für all jene, die aus den angrenzenden Gemeinden (Agnetheln, Braller, Kirchberg, Martinsberg, Mergeln und Werd) stammen, zu einer Ergänzung ihrer vorhandenen oder noch zu erstellenden Ortsmonographie. Gespannt wartet man jetzt auf den zweiten Band. Das durchforstete Material hat sicher noch den einen oder anderen Schatz preisgegeben, der uns hoffentlich bald präsentiert wird.

uwa/rack

Irmgard & Werner Sedler u. a.: Zied. Ein Dorf und seine Geschichte. 1. Band, 448 Seiten, zahlreiche Abbildungen, Pläne und Zeichnungen. Ludwigsburg 2003. Das Buch ist zu beziehen bei: Renate Duldner, Uhlandstraße 20, 71665 Vaihingen/Enz. Telefon: (0 70 42) 45 40. E-Mail: reniduldner@gmx.de.

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 5. Februar 2004, Seite 8)

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